Bhutan. Ein Reise in das Himalaya-Glückswunderland.

Als wir nach drei Tagen im chaotischen, lauten und schmutzigen Delhi nach einem atemberaubenden Flug über dem Himalaya und einem kühnen Manöver des Piloten auf der kurzen Landebahn des Flughafen Paro aufsetzen, beginnen zwei der außergewöhnlichsten Wochen meines Lebens. Das Flughafengebäude mit geschnitzten Fassadenelementen, die glasklare Luft und die freundlich-neugierigen Menschen, die unsere Pässe kontrollieren, prägen den Eintritt in die neue Welt.

Die Reisegruppe ist bunt gemischt: Nord- und Südamerika, Schweiz, Polen und Ungarn sind vertreten, mehrere Deutsche und insgesamt vier Österreicher. Gemeinsamkeit der Teilnehmer ist die Zugehörigkeit zum Buddhismus, die sie in jenes Land führt, in dem kulturelle Pflege, tiefe Volksgläubigkeit und selbstverständlicher Umgang mit dem Erbe der Vorfahren das Alltagsleben vollkommen durchdringen.

Tourismus und Wasserkraft

Tourismus ist nach dem Verkauf von Strom die zweitgrößte Einnahmequelle des Landes. Individualreisen ist nicht möglich – die Gruppenreisen mit einheimischen Guides werden von verschiedenen Reiseagenturen durchgeführt und sind bestens organisiert. Den Reisenden bleiben Koffertragen, Fahrpläne studieren, Hotelzimmerbuchen erspart, sie können sich mit allen Sinnen auf das Abenteuer Bhutan konzentrieren.

Unser Begleiter für die nächsten elf Tage, Rinchen Dorji, begrüßt uns in einem der drei für uns bereitgestellten Busse. Er ist ein außergewöhnlich gutaussehender Mann Anfang 30, verheiratet, Vater von zwei Kindern. „Glücklichsein liegt in unserer eigenen Verantwortung!“ sagt er gleich am Anfang der Tour und beantwortet bereitwillig alle unsere Fragen. „Früher gab es schon oft 10 Kinder pro Familie. Aber jetzt haben wir Geburtenkontrolle und bekommen zwei Kinder.“ Lebenserwartung? „65, aber wir werden jetzt älter!“ lacht er. Als ich ihm sage, dass er dem König ähnlich sehe (und zwar als einziger der durchwegs sympathischen Guides) wird er sogar ein bisschen rot.

Armes reiches Bhutan

Bhutan ist ein armes Land. Das Durchschnittseinkommen liegt laut Wikipedia bei 9 Euro pro Monat – was angesichts der Preise kaum möglich erscheint. Schule und medizinische Versorgung sind gratis, die Kinder in ihren traditionellen Schuluniformen machen einen zufriedenen, fröhlichen Eindruck, wenn sie am späten Nachmittag nach Hause gehen.

Bhutan ist aber auch ein sehr reiches Land. Bei einer Bevölkerungszahl von 790.000 Einwohnern ist es das am wenigsten dicht besiedelte Land Asiens mit der wohl höchsten Dichte an Klöstern.

„Dzong“ heißen die einzigartigen, zwischen 1630 und 1650 erbauten Klosterburgen, die in fast jedem Tal zu finden und sowohl weltliche als auch religiöse Zentren des jeweiligen Bezirkes sind. Den Einheimischen, die man abends auch einmal in Jeans sieht, ist das Betreten des Dzongs ohne bhutanesische Tracht bei Strafe verboten. Dzongs dienten als Zentrum des Handels, als Armee-Stützpunkt und als Austragungsort von religiösen Feierlichkeiten – und heute auch als Touristenattraktionen ersten Ranges. Darüber hinaus gibt es eine Unzahl an kleinen Klöstern, Lhakhangs aus vielen Jahrhunderten, die neuesten gerade erbaut, die ältesten beispielhaft erhalten oder renoviert. Abertausende Buddhastatuen in verschiedensten – männlichen und weiblichen - Formen, von überlebensgroß bis fingerspannenklein, Wandmalereien und Thangkas (Rollbilder) haben tiefe Eindrücke bei uns hinterlassen.

Straßen, die mit Autos befahrbar sind, gibt es erst seit den 60-er Jahren des 20. Jahrhunderts. Ein riesiges Straßenprojekt nach Zentralbhutan ist in Bau, jetzt – und wohl noch einige Jahre lang – holpert man viele Stunden im Bus über die staubige Strecke, um dann nach weiteren stundenlangen Fußmärschen versteckte Orte, Klöster, Gedenkstätten oder einen Fußabdruck im Felsen zu sehen. Das alles wurde hinterlassen vom hochverehrten Guru Rinpoche (Padmasambhava) und seiner Gefährtin Yeshe Tsogyal, die den Vajrayana-Buddhismus nach Bhutan brachten.

In der Hauptstadt Thimpu herrscht rege Bautätigkeit – nach streng bhutanesischen Vorgaben. Die Form der Fenster und Fassaden ist nur in jenem Stil erlaubt, der seit Jahrhunderten die Schönheit der Häuser und Tempel ausmacht. Viele ziehen nach Thimpu, die Einwohnerzahl hat die 100.000-er-Grenze überschritten, hier gibt es Arbeit, Schulen, Unterhaltung.

Als wir an einer Stupa haltmachen, sehen wir auch alte Menschen, die mit einer Mala (dem buddhistische Rosenkranz) ihre Runden drehen. „Ja!“ lacht Rinchen, „viele Leute liefern auf dem Weg zur Arbeit ihre alten Eltern hier ab – mit einem Lunchpaket. Am Abend holen sie sie wieder – so können sie den ganzen Tag um die Stupa laufen.“ Als Pensionist bereitet man sich in Bhutan eben lieber auf eine gute Wiedergeburt vor, statt vor dem Fernseher Serien anzuschauen...

Der König

Der Titel des bhutanischen Königs ist Druk Gyalpo, Drachenkönig. Der vierte König Jigme Singye Wangchuck zog aus den politischen Unruhen in benachbarten indischen Bundesstaaten und in Nepal für sich und sein Land Konsequenzen: Er dankte 2006 freiwillig zu Gunsten seines Sohnes Jigme Khesar Namgyel Wangchuck ab und kündigte die ersten Wahlen zu einer Nationalversammlung an.

Der junge König hat in einer großen öffentlichen Zeremonie seine bildschöne Freundin geheiratet, im Vorjahr haben die beiden einen Sohn bekommen. Fotos der Königsfamilie sind überall zu sehen, auf Plakaten, Hauswänden und – neben vergoldeten Buddhastatuen und Wandbildern – auch in den Tempeln. Die Liebe zur Königsfamilie ist auch den Worten unserer Guides zu entnehmen. Der König scheint eine geliebte und gewürdigte Vatergestalt zu sein, den Worten seiner Landeskinder nach um Gerechtigkeit bemüht und die Modernisierung des Landes verantwortungsvoll gemeinsam mit der Regierung gestaltend.

„We have Love-Marriage!“ stellt Rinchen Dorji stolz fest – und das bedeutet auch, dass es mit der Liebe wieder zu Ende sein kann und „Divorce“, Scheidung, angesagt ist. Seine eigene Love-Marriage führt er offenbar vorbildlich: Nach der wochenlangen Abwesenheit während der Tour macht er „alles“: Kochen, die Kinder in den Kindergarten bringen und wieder abholen, den Haushalt. Seine Frau kann in Ruhe arbeiten gehen – bis zur nächsten Tour, dann liegt die Last wieder auf ihren Schultern.

Yonten und Tigernest

Yonten Yamtso ist der jüngste unter den Guides. Immer freundlich und nett, nimmt er meine Bedürfnisse häufig schon wahr, bevor ich sie ausgesprochen habe. „Can I help you?“ werde ich von ihm täglich hören und glücklicherweise auch am Tag des großen Aufstiegs zum Tigernest, dem an den Fels geklebten Taktshang Kloster, Bhutans berühmtestem Postkartenmotiv. 800 Höhenmeter, unzählige Stufen, steil in die Felswand gesetzt – eigentlich nichts für mich! Aber Yonten schnappt sich („Can I help you?“) meinen Rucksack, Reisegefährte Dominik nimmt mich – abwechselnd mit seiner Freundin Heidi – an der Hand – und schon geht es hinauf zum Traumziel, an dem der große Heilige Padmasambava meditierte, die Dämonen bezwang und von Yeshe Tsogyal besucht wurde, die sich gelegentlich in eine Tigerin verwandelte und in dieser Gestalt zum geliebten Meister flog.

Die Reisegruppe: Neue Freunde fürs Leben

Tag für Tag wachsen wir Teilnehmer mehr zusammen. Mit den Guides und den Busfahrern entwickeln sich Beziehungen auf Augenhöhe. Unsere langjährigen Freunde Detlev und Claudia, die die Reise gemeinsam mit Hans seit vielen Jahren einmal jährlich von Deutschland aus organisieren, sind verlässliche Leuchttürme im Meer der täglichen neuen Eindrücke.

Alle Touren – ob Trecking oder wie in unserem Fall mit spirituellen Zielen – beginnen und enden in Paro. Wir logieren im ältesten Hotel Paros, das großstädtisches Flair versprüht. Wehmut beginnt sich breitzumachen. Die Guides wissen noch nicht, wann die nächste Tour für sie beginnen wird. Am Abschiedsabend gibt es Gesangsdarbietungen aus Österreich und Bhutan. Yonten rappt.

War da nicht etwas mit dem Glück? Dem Bruttonationalglück, für das Bhutan so berühmt geworden ist, weil es den Erfolg nicht einfach am Bruttonationalprodukt festmachen will, sondern an der Zufriedenheit der Bürger?

„Glücklichsein liegt in unserer eigenen Verantwortung!“ hatte Rinchen Dorji am Beginn der Reise gesagt. Wir werden uns daran erinnern müssen, wenn wir alle wieder in unseren Heimatländern gelandet sind und der Alltag von uns Besitz ergriffen hat.

Etwas Heimweh nach dem Glückswunderland Bhutan muss aber gestattet sein.

https://www.prikk.world/de/meinungen/user-blog/989/bhutan-von-beate-kraml

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