Traktorka töten! Wie ich meine erste 30-Tage-Sperre bei Gesichtbuch provoziere

Teil eins meiner Betrachtung darüber, wie Gesichtbuch, Zwitscher und ein dummes Netzgesetz den Faschismus unterstützen

Schluss mit lustig!

Was lachen wir damals – unsere Schenkel klopfend gar –, als bekannt wird, dass das Gesichtbuch Fotos von weltberühmten Skulpturen löscht – weil man das Pipi sieht! Beim dummen Algorithmus der Zuckerberg'schen Löschroboter fällt das unter Nacktheit. Etwas später, als bekannt wird, dass das Gesichtbuch auf Zuruf von rechts die Wände von Antifaschisten sperrt, lachen wir nicht mehr. Ganz ähnlich ist es bei den anderen Gemeinsam-Flachgebilden im Weltweitnetz. Weswegen ich beschließe, bei Gesichtbuch so lange zu provozieren, bis ich eine 30-Tage-Sperre bekomme. Und es zu dokumentieren. Mission accomplished: Seit 5.45 Uhr wird gesperrt!

Planet Blade Runner

Bei der Recherche stoße ich jedoch auf Beunruhigendes. Zum Beispiel wird die FPÖ-kritische Seite "Blutgruppe HC-Negativ" einfach auf Zuruf einer (rechten? – no na ned!) Meldemeute gesperrt. Noch beunruhigender ist der Grad der Organisation der Meldemobs von rechts: Man kennt einander, ist vernetzt, kommuniziert (natürlich über Gesichtbuch) und achtet peinlich genau darauf, der privaten Firma des Kameraden Mark keinen Grund für eine Sperre zu geben. Im Schutz des Plauderraums verabredet man sich dann konspirativ zu konzentrierten Meldeattacken gegen "den Feind". Die Brandstifter sitzen also schon längst bequem in Biedermanns Keller.

Es kommt noch schlimmer: Offenbar unterhalten auch Staaten Meldemeuten! Unschwer ist zum Beispiel die Türkei zu entlarven. Zu ihren Meldeopfern gehören deutsch-kurdische und türkische und britisch-kurdische Aktivisten gegen die genozidäre Kurdenpolitik der Türkei, wie zum Beispiel der Journalist Bahtiyar Gürbüz (D), der Journalist Kerem Schamberger (D), die Aktivisten Mark Campbell und Ari Murad (beide GB). Wenn es darum geht, den Dieb von Ankara zu befriedigen, ist Mark Zuckerbergs Frankenstein immer willfährig und schnell: Als Gürbüz Fotos von toten kurdischen Jugendlichen veröffentlicht, dauert es bis zur Sperre nur wenige Stunden. Die Folge: Manche, wie Kerem Schamberger, verlassen das Gesichtbuch und richten ein privates Netztagebuch ein.

Noch absurder ist die Sperre des Black-Lives-Matter-Aktivisten und Journalisten der "New York Daily News", Shaun King. Zwecks Dokumentation von Hasssprech veröffentlicht King das Bildschirmfoto einer empfangenen Hassnachricht – und wird prompt vom Algorithmus gesperrt. Genauso wie kurz zuvor das berühmteste Foto aus dem Vietnamkrieg gelöscht wird, auf dem das Napalmopfer Kim Phúc zu sehen ist – Nacktheit? Kinderpornografie? Wos waas ma!

Eine Ironie hingegen ist es, dass Shaun King erst wenige Monate vor dieser Blitzsperre von Gesichtbuch eingeladen ist, vor hochrangigen Mitarbeitern der Firma über Hasssprech, seine Merkmale und ihre Erkennung zu referieren. Deswegen hat King rein zufällig eine Telefonnummer, die er nun anrufen kann, um Erklärungen zu fordern. Schließlich wird King schnell wieder entsperrt, es sei (so sagt man ihm) ein bedauerlicher Irrtum geschehen. Den Nachgeschmack schildert King so: "Um diese Sache aufzubauen, brauchte ich zehn Jahre ... diese Gemeinschaft von über 800.000 Menschen, dass das mit einem Knopfdruck, einem Filter abgestellt werden kann ... ist ein mulmiges Gefühl."

Mir stinkt da noch etwas: King hat zufällig eine Nummer, die er anrufen kann. Die allermeisten Opfer von Algorithmen und Meldemeuten haben die nicht. Die Opfer können zwar per Rückmeldung dagegen protestieren, aber Al Bundy sagt mir, dass das bisher nur diese "eine Frau aus Michigan" erfolgreich geschafft hat.

Wollt ihr den totalen Krieg?

Es wundert mich nicht weiter, als ich entdecke, dass sich auch "Linke" als Meldemeute organisieren, weil auch linke Netzwerke gut organisiert und durch einen gemeinsamen "Feind" verbunden sind, dem es eben gilt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sozusagen Bombe mit Bombe. Offenbar tobt im Weltweitnetz nun der totale Weltkrieg.

Wie das aber mit totalen und weltweiten Kriegen so ist, gibt es eine Menge kollateraler Opfer. Das sind Menschen und Organisationen, die von links und rechts gleichermaßen mittels Meldemeuten zum Schweigen gebissen werden. Doch darüber schreibe ich im zweiten Teil – nun zurück zu meinem Tagebuch der 30-Tage-Sperre auf Gesichtbuch.

Entjungferung tut weh

Es ist nun zwei Jahre her, dass ich meine virtuelle Unschuld verliere und in den Klub der vom Gesichtbuch Gefickten gerate. Damals erkenne ich zum ersten Mal, wie wichtig uns dieses Spielzeug geworden zu sein scheint. Wir Älteren können das mit dem Phantomschmerz aus der Wählscheibenzeit vergleichen, wenn die Post wegen nicht bezahlter Rechnung das Fernsprechgerät abschaltet.

Aber meine damalige, erste Amputation währt nur drei Tage, ich hab mehr Zeit zum Kiffen, Vögeln und Saufen, sodass ich es gut verkrafte und nach der Entsperrung alles unter "scheiß drauf" abspeichere. Doch heute, zwei Jahre und eine Diskussion mit einem stellvertretenden Chefredakteur später, finde ich mich auf einem globalen Schlachtfeld wieder, wo sogar ein so unbedeutender Mensch wie ich als ein Feind betrachtet wird, den es mundtot zu machen gilt.

Was nur der erste Schritt zum echt Totmachen ist ...

Ich will nicht mehr mit dir spielen!

Was kann harmloser und normaler sein, als zu einem Thema – zu jedem Thema! – Argumente auszutauschen und das bessere Argument gewinnen zu lassen? Zumal das in unserer Zeit so leicht und schnell geht, zumal der Stellvertretende jemand ist, den ich schon lange auch außerhalb des Weltweitnetzes kenne und zumal es eine gebildete Person ist. Und auch das Thema ist harmlos, fast dumm: Gelten die Argumente eines Kritikers auch dann, wenn er als Kind missbraucht worden ist? Die These des Stellvertretenden lautet: Prinzipiell gelten sie, außer es handelt sich um einen als Kind missbrauchten Kritiker (Hamed Abdel-Samad), der die Religion des Stellvertretenden kritisiert. Meine These hingegen lautet: Hääää???

Der Stellvertretende sagt erst ein persönliches Treffen ab, weil sein Kraftfahrzeug verkühlt ist, um sich wenige Tage später kommentarlos auf Gesichtbuch von mir zu entfreunden. Ich denke zu diesem Zeitpunkt: So schnell kann man wieder Kind sein? Wie wunderbar! Kurz später werde ich auf Gesichtbuch für drei Tage gesperrt. Der Grund: Eine gesetzlich nicht verbotene, weltberühmte Karikatur eines weltberühmten Propheten (in der "Red nose"-Version), die schon seit sieben Jahren gut sichtbar auf meiner Wand ist. Die Tatsache, dass die Karikatur seit so vielen Jahren weder Algorithmen noch Zensoren stört, dass auch legale Karikaturen anderer Propheten auf meiner Wand zu sehen sind und die Zeitnähe der plötzlichen Sperre zu meiner Debatte mit dem Stellvertretenden lässt mich vermuten, dahinter stünde wohl das einzige Zensurorgan außerhalb der Firma: der Zorn der Gerechten in Gestalt einer "beleidigten" Meldemeute von Langschläfern.

Als ich dann noch erfahre, dass es Ali Utlu, dem deutsch-türkischen Aktivisten, der sich in Deutschland prominent gegen Genitalverstümmelung (und gegen Erdoğan und gegen Nazis und gegen religiösem Faschismus) einsetzt, regelmäßig so ergeht, dass er nach Debatten auf Gesichtbuch gelöscht und/oder gesperrt wird, beschließe ich zum Thema zu recherchieren, dumme Algorithmen, Zensoren und stellvertretende Linksnazis so lange zu provozieren, bis ich in die Königsklasse der Gesperrten aufsteige. Ich dokumentiere all das per Bildschirmaufnahme, und nun schreibe ich für euch darüber einen Essay in zwei, drei Teilen. Als mir noch Kollege Heiko Heinisch und andere Autoren zu dieser Idee gratulieren, mache ich mich an die Arbeit.

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invalidenturm

invalidenturm bewertete diesen Eintrag 09.07.2020 23:59:31

Zaungast_01

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