Manifest zur Wahrung der Privatsphäre

1890, Harvard Law Review: Brandeis und Warren forderten erstmals “the right to be let alone”[1] – sie formulierten gewissermaßen den Anspruch, die individuelle Privatsphäre zu wahren. Was wurde aus dieser Forderung – insbesondere nach dem Bekanntwerden des PRISM-Systems sowie den Aktivitäten von Google, Facebook & Co.?

1998, EU: Im Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention wird festgehalten, dass „jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs hat“[2]. Ich habe heutzutage nicht das Gefühl – auch nicht nach dem doch durchwegs überraschenden Ende der Vorratsdatenspeicherungspflicht[3],[4] – dass ich diesen Anspruch so einfach durchsetzen kann. Stellen wir uns das mal konkret vor: Facebook fragt mich nicht mehr, wie mein Klarname lautet. Facebook will nicht mehr wissen, wo ich gerade arbeite, wo ich zur Schule gegangen bin und mit wem ich befreundet bin. Facebook verzichtet auf die Bekanntgabe meines Beziehungsstatus („dein Profil ist zu 72% vollständig, deine FREUNDE interessiert das.“).

Facebook speichert selbstverständlich nicht die private Kommunikation, die über diese Plattform betrieben wird. Google wiederum möchte nicht mehr wissen, wo mein aktueller Standort ist. Gmail teilt mir nicht mehr mit, dass ich mich von einem anderen Computer als bisher üblich angemeldet habe. Die eingegebenen Suchbegriffe werden selbstverständlich nicht ausgewertet – man bekommt dann leider auch keine Supersonderangebote für Windeln und Babynahrung mehr, wenn Google glaubt, dass man schwanger sei.

Ich bin dafür, die dringend notwendigen Maßnahmen zur Wahrung der Privatsphäre auf die Unternehmen zu überwälzen – denn diese schlagen schließlich Profit aus unseren Daten. Es sollte Standardeinstellungen geben, die weder unsere Standortinformationen noch über unser Surfverhalten Auskunft geben. Wer diese Dienste aktivieren möchte, kann dies gerne tun. Die Unternehmen sollten zudem verpflichtet werden, uns einmal jährlich kostenlos in einem Datenbrief[5] Auskunft darüber zu geben, welche Daten sie über uns zu welchem Zweck speichern, und an wen sie diese weitergeben.

Der Konsument soll das Recht haben, Werbung (bzw. beeinflussende Faktoren) ablehnen zu dürfen, frei zu entscheiden, ob Tracking und Cookies eingesetzt werden – in Form einer obligatorischen (und jederzeit wiederrufbaren) Zustimmung an das einzelne Unternehmen. Der Konsument soll die Wahlmöglichkeit bekommen, was mit seinen personenbezogenen (und teilweise überaus sensiblen Daten, etwa im Gesundheitsbereich oder bei politischen Überzeugungen) Daten geschehen soll. Es muss für den Einzelnen leichter werden, sich und seine Privatsphäre entsprechend zu schützen.

Nun gibt es bekanntlich die Bevölkerungsschicht, die pauschal wissen lässt: „Jo, ich hab‘ doch nix zum Verstecken!“ Mittlerweile bemitleide ich diese Gruppe. Wer nicht fähig ist, Individualität zu wahren, Geheimnisse für sich behalten zu wollen oder Beziehungen zu führen – den kann ich nur bemitleiden. Auch Politiker oder andere Personen, die stark in der Öffentlichkeit präsent sind, suchen Zuflucht in eine Umgebung, wo sie Fehler machen dürfen, wo sie sich kritisch äußern dürfen, wo sie Süchten nachgehen dürfen. Wem allerdings nicht bewusst ist, wohin diese allumfassende Aufzeichnung des persönlichen Verhaltens führen kann und was man alles daraus ableiten kann (Verlässlichkeit, Kreativität, Loyalität, Gruppenverhalten und vieles mehr), der wird mit vollem Karacho in die unsichtbare Wand hineindonnern. Ich versuche in meinen Beiträgen, stückweise diese Wand sichtbar zu machen, in dem ich mir Zeit nehme, die kritischen Meinungen verschiedener Autoren zusammenzutragen, und diese wie ein Puzzle auf diese Wand draufzukleben. Meine Vision dahinter ist, dass laufend mehr Menschen erkennen, wie fremdgesteuert wir agieren, und was wir selbst tun können, um unser Leben selbstbestimmt zu gestalten.

Es geht mir darum, hier provokativ auf das aufmerksam zu machen, wofür Generationen vor uns gekämpft haben – den Staat geht es überhaupt nichts an, welche Religion ich praktiziere, welche Medien ich konsumiere, wann ich aufstehe oder wann ich aus dem Haus gehe. In Zeiten von Diktatur (und DDR) war es beinahe selbstverständlich, Widerstand gegen das Regime zu leisten, da hatte jeder irgendetwas zu verstecken. Diesen Mut, den es damals erforderte, sich gegen physische Gewalt aufzulehnen, braucht es heutzutage, um sich gegen den Psychoterror der STändigen, Anlasslosen und SIcherheitsorientierten Überwachung zur Wehr zu setzen. Man könnte auch sagen: STASI. In meinem Beitrag[6] zu Alphaville, einer Festungssiedlung in der Nähe von Sao Paulo habe ich den Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit dargestellt, denn wenn man darum kämpfen muss, bekommt man keines von beidem. Weder Sicherheit, noch Freiheit. Es sollte selbstverständlich sein, nicht um seine Privatsphäre, um seine Daten oder seine Identität kämpfen zu müssen.

Weitere Links: NSA will Datensammeln nicht aufgeben[7] und Gefahren der totalen Vernetzung[8].

PS.: Gibt es eigentlich schon eine eigene Auszeichnung zur Wahrung der Privatsphäre? Hätte jemand von euch Lust, gemeinsam mit mir eine solche Plattform der Würdigung aufzubauen?

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