Es geschah in einem Café, an einem Mittwochmorgen, oder das was eine freischaffende Künstlerin als Morgen bezeichnet. Sie saß da, grübelte über essentielle Fragen, als ihr plötzlich ein Herr in die Quere kam. Direkt vor sie stellte er sich und damit zwischen sie und die letzten, herbstlichen Sonnenstrahlen. Verdutzt sah sie auf, blinzelnd, und unwillkürlich schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass das Licht ihn umgab als würde er einen Heiligenschein tragen. Was natürlich nicht möglich war.

Herr:Verzeihen Sie, sind Sie die Schriftstellerin X.Y.

X.Y.:Ja, die bin ich, und wenn Sie meinen, dass ich nur deshalb keine vollwertige Schriftstellerin bin, weil ich im Eigenverlag veröffentliche, dann sind Sie völlig falsch gewickelt.

Herr:Nein, nein, das wollte ich gar nicht sagen.

X.Y.:Dennoch, auch wenn Sie es nicht sagen wollten, gedacht haben Sie es sich sicher. Nun, vielleicht gibt es auch viel Unsinn, der da publiziert wird, aber auch Verlage publizieren viel Unsinn, und der steht dann auch noch in den Regalen. Ich möchte ja nicht wissen wie viele ungehobene Schätze da versauern, nur weil die Herren Verleger und Lektoren usw. sich nicht die Mühe machen zu lesen.Wissen Sie warum ein Buch in ein Regal kommt oder in die Bestsellerlisten?

Herr:So ungefähr.

X.Y.;Ich werde es Ihnen erklären. Es gibt drei Möglichkeiten – wollen Sie sich jetzt setzen oder auf die Seite treten. Sie stehen mir in der Sonne.

Herr setzt sich.

X.Y.:Gleich viel besser. Also, die drei Möglichkeiten. Entweder es gibt einen Protegé im Verlag oder es ist ein Thema, das gerade jeder lesen will oder man hat schon einen berühmten Namen. Das garantiert Absatzzahlen, aber niemand macht sich mehr die Mühe unentdeckte Talente zu fördern.

Herr:Na ja, ganz so ist das nicht so.

X.Y.:Ach, und Sie können das beurteilen?

Herr:Ein wenig.

X.Y.:Es ist auf jeden Fall alles eine geschobene Partie. Warum kommt ein Buch in die Bestsellerlisten? Weil es gut ist? Nein, weil es vermarktet wird, und weil die Leser, na die verstehen ja erst recht nichts davon. Bis auf ein paar Ausnahmen. Ab und an verirrt sich sogar ein gutes Buch in die Bestsellerlisten, aber das passiert eben. Genauso wie es passiert, dass man einen Leser findet, der Ahnung hat.

Herr:Aber eigentlich wollte ich mit Ihnen reden wegen Ihres Manuskripts.

X.Y.:Aha? Jetzt bemüht man sich schon extra her für eine Absage? Ich sage Ihnen was, ich bin fertig mit der Verlagsmafia. Die haben meine Arbeiten gar nicht verdient. Weiß ja auch keiner zu würdigen. Ich meine, die Absagen, die hätten Sie sehen sollen. So Floskeln wie „Passt nicht ins Format“ oder so ein Zeug. Das muss man sich mal vorstellen. Also, da könnte kommen wer will, ich habe es nicht notwendig mich zu prostituieren. Das hieße doch Perlen vor die Säue zu werfen. Das habe ich nicht notwendig.

Herr:Eigentlich bin ich gekommen um Ihnen zu sagen, dass wir an einer Zusammenarbeit interessiert sind. Der Verlag ... (der Redaktion bekannt, wird aber nicht genannt) – Sie wissen, es ist einer der renommiertesten im gesamten deutschsprachigen Gebiet – möchte Ihnen einen Vertrag anbieten.

X.Y.: Wenn das so ist ... Wo soll ich unterschreiben?

Denn letztendlich ist die Frage, ob man sich prostituiert, nicht eine solche der Moral, sondern der Gelegenheit.

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