OMG, dachte ich, als ich heute Morgen im Bett kurz auf das Tablet schaute: Ein Anschlag in London, Auto fährt in Menschenmenge, Täter stechen auf Passanten ein, Tote und Verletzte.

OMG, dachte ich, während ich das Tablet schnell wieder ausschaltete, jetzt geht der Irrsinn wieder los. Die Empörungs-, Abwiegelungs- und Relativierungsmaschinen laufen wieder an, produzieren mit gewaltigem Hub neue Meinungswellen, die sich auftürmen, in ein paar Tagen brechen und schließlich in einem leichten Plätschern am Strand des Vergessens auslaufen.

Im Fernsehen wird es Sondersendungen geben, wo routinierte Experten und Moderatoren die gleichen Fragen und Antworten ins Mikrofon blähen wie bei jedem Anschlag. Die Zeitungen schmeißen kurzfristig ihre Redaktionspläne um und pflastern die Titelseiten mit Live-Tickern und Hintergrundberichten. Politiker rund um den Globus überbieten sich mit Beileidsbekundungen an ihre britischen Kollegen und irgendwer singt: „You never walk alone“. Einige TV-Verantwortliche beißen sich ins Knie, weil die großen Talkshows Sommerpause pausen und man hätte ja so schön Quote machen können.

In den Social Media wird es nicht besser sein. Die allseits bekannten Empörungsführer werden wieder nichtssagende und Beifall heischende Posts produzieren, die dankbar geliked und geteilt werden. Der alte Witz „Das hat wieder mal gar nichts mit gar nichts zu tun“ hat wieder Konjunktur. Alle warten auf die ersten verwackelten Youtube-Videos, die Unerhörtes zeigen. Die Betreiber der üblichen Verschwörungsblogs wittern die Chance auf Extra-Klicks und beeilen sich, wüste Spekulationen in die Tastatur zu hauen. Irgendjemand fragt, wo denn die Proteste der Muslims bleiben, und alle lachen.

Und dann wird wieder gefordert was das Zeug hält: mehr Sicherheit, Integration und Toleranz auf der einen Seite; weniger Migranten, zügige Abschiebungen und kein Einknicken vor dem Islam auf der anderen Seite. Jemand warnt vor Hate Speech und andere denken „wenn nicht jetzt, wann dann?“. Schließlich bekennt sich der IS zur Tat und alle sind sich einig in der Forderung „Der IS muss vernichtet werden“.

Zeit für Positives. Bei jedem Anschlag gibt es irgendwo einen Held. Man muss ihn nur finden. Wer ist es diesmal? Ein Obdachloser, ein Taxifahrer oder ein Polizist? Jemand, der dem Volk wieder ein Licht in der Dunkelheit zeigen kann und dafür mit 15 Minuten Berühmtheit belohnt wird.

Ich muss gähnen. Man weiß ja, dass diese Empörungs- und Abwiegelungswellen nur in den Medien stattfinden, gewissermaßen an der Oberfläche des verfluchten Meeres. Egal, wie hoch sie schlagen, am Meeresgrund spürt man davon nichts. Da geht alles seinen gewohnten Gang. Dort landen weitere vollbesetze Schlepperboote in den Häfen, irgendwo wird eine neue Moschee gebaut, werden Abschiebepläne verworfen und neue Integrations-Budgets verabschiedet und in einer kleinen Bude, irgendwo in Europa, heckt ein religiös Verblendeter einen neuen Anschlag aus.

Was solls? Ich leg das Tablet unters Bett und beschließe noch eine Runde zu schlafen. In den nächsten Tagen gibt es nichts Neues. Garantiert.

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Margaretha G

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