Leon ist ein mittlerer Angestellter mit mittlerem Einkommen. So wie es auch schon sein Vater war. Aber Leon ist ganz anders als sein Vater.

Leon verfügt bei weitem nicht über ein Vermögen von 1 Million. Sein Haus hat er mit Kredit, der noch 25 Jahre läuft, finanziert, die notwendigen Eigenmittel haben ihm Vater und Schwiegervater geschenkt. Sein Auto wechselt Leon alle 2 Jahre und ist geleast.

Seinen Kindern wird Leon, wenn alles gut geht vielleicht etwas hinterlassen, doch sicher niemals ein Nettovermögen von mehr als 1 Million. Trotzdem ist Leon strikt gegen die Einführung einer Erbschafts- und Vermögenssteuer, weil Leon mag es einfach nicht, wenn die Reichen belastet werden sollen. Die haben doch etwas geleistet und das muss man wirklich respektieren.

Leon ist alles andere als reich, dennoch fühlt er sich denen, die es in seinen Augen geschafft haben, den Reichen und Erfolgreichen, nahe, ja manchmal sogar ein bisschen zugehörig. Werden die Reichen verteufelt, fühlt er sich mitangegriffen, auch wenn es ihn als mittleren Angestellten mit einem durchschnittlichen Einkommen niemals betreffen wird.

Schon sein Vater war ein mittlerer Angestellter mit mittlerem Einkommen, aber er möchte nicht mit seinem Vater verglichen werden. Das war doch eine ganz andere Zeit und überhaupt: sein Vater war in dem Alter in dem Leon jetzt ist, schon ein alter Mann. Er starb mit siebzig und ohne Leon ein nennenswertes Vermögen zu hinterlassen, obwohl er sein Leben lang hart gearbeitet hat.

Leon ist jetzt Ende vierzig und weigert sich alt zu werden. Mit siebzig will er sein Leben noch genießen, reisen, sich verwöhnen lassen, einen Senioren-Ultra-Marathon bestreiten.

Leons Vater war, wie dessen Vater, weder arm noch reich. Er lebte sein Leben in einer Mietwohnung, auf seine Autos sparte er eisern. Einen Kredit für ein Auto aufzunehmen, dafür hatte sein Vater kein Verständnis. Ins Restaurant essen zu gehen, kam nur bei besonderen Anlässen in Frage. Leons Vater war nie arm, aber reich war er auch nicht.

Leon ist auch nicht arm, aber reich ist er auch nicht. Die Kinder, das Haus, das Auto, die Golfclubmitgliedschaft, alles kostet heutzutage viel Geld. Sein Vater fuhr einmal im Jahr mit dem Auto nach Kroatien ans Meer. Wenn Leon ans Meer will, fliegt er, meist um die halbe Welt, weil das gibt ihm das Gefühl doch ein wenig reich zu sein. Früher hätte man ihn als Mitglied des Jetsets betrachtet, dachte er sich oft nicht ohne Stolz auf seinen Flügen.

Sein Vater war als mittlerer Angestellter mit einem mittleren Einkommen Mitglied der Gewerkschaft. Leon möchte lieber einem Managementclub angehören, als Gewerkschaftsmitglied zu sein. Er ist überzeugt, dass er gute Chancen hat, irgendwann in einen dieser elitären Zirkel aufgenommen zu werden. Berührungsängste hat er keine, er weiß wie er sich verhalten muss, wenn er mit Leuten in Kontakt kommt, die meinen gesellschaftlich über ihm zu stehen.

Sein Vater wusste nicht wie Austern schmecken, Leon hat sie schon einmal im Bett gegessen und dazu Champagner getrunken, weil er das einmal in einem Film gesehen hatte. Es fühlte sich gut an. In diesem Moment dachte Leon einen Augenblick daran es wirklich geschafft zu haben und zu jener Welt zu gehören, zu der sein Vater nie Zutritt hatte.

Die Autos, die sein Vater fuhr waren nicht stylisch. Wenn Leon seinen Wagen - tiefer gelegt, Ledersportsitze - neben dem seines Chefs parkt, kann keiner sagen, welcher der beiden Wagen dem Chef gehört. Für Leon ist dies ein klarer Beweis, dass die Reichen gar nicht mehr so weit weg sind. Deswegen mag er einfach nicht, wenn die Reichen kritisiert werden, ist strikt dagegen ihnen etwas wegzunehmen, obwohl Leon nicht reich ist, wirklich nicht. Dennoch lebt er manchmal ein Leben, an dem Menschen wie sein Vater niemals Anteil hatten. Wenn sich sein Vater etwas Gute gönnen wollte, ließ er sich hin und wieder massieren. Leon macht an Wochenenden manchmal Wellness in Thermen und trifft dort in der Sauna einen Mann, der ihm gegenübersitzt und für Leon wohlhabend aussieht. Leon kennt ihn nicht, weshalb der Mann genauso gut ein mittlerer Angestellter mit mittlerem Einkommen sein könnte. Es ist schwer einen nackten Mann finanziell richtig einzuschätzen. Aber der Mann wirkt auf Leon freundlich, also schätzt er ihn wohlhabend ein. Er will das einfach glauben und möchte dem Mann sagen, dass er ihn sympathisch findet, ja, dass er ihn mag, und er glaubt fest daran, dass er diesem Mann ein wenig ähnlich ist. Leon will ihm sagen, dass er sich keine Sorgen machen muss, wegen der Erbschafts- und Vermögensteuer und so, er, Leon, werde alles ihm Mögliche dafür tun, dass den Reichen nichts weggenommen werden wird. Erfolg muss sich doch lohnen, oder? Doch dann nickt er dem Nackten nur stumm lächelnd zu.

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Claudia Tabachnik

Claudia Tabachnik bewertete diesen Eintrag 27.09.2017 19:28:36

Margaretha G

Margaretha G bewertete diesen Eintrag 27.09.2017 16:43:46

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