Bei der nordischen Ski-WM gab es den fast schon üblichen Doping-Skandal. Und auch dieses Mal traf es wieder Österreich, bzw. zwei österreichische Sportler, Langläufer, um genau zu sein. Langlauf gehört zusammen mit Radfahren, Gewichtheben, Laufen, etc. zu den Kraftsportarten, bei denen es darum geht, über lange Zeit viel Kraft aufzubringen. Beim derzeitigen Dopingskandal hat es auch Fussballer und handballer erwischt.

Seit sie beim Eigenblutdoping erwischt wurden, giesst sich ein wahrer Shitstorm über die zwei Athleten, die gleichzeitig Polizeischüler waren, was auf Sportminister Strache und Innenminister Kickl, die/der die Beiden bei der Abreise lobpreisten, möglicherweise ein schlechtes Licht wirft. Aber auch Bundespräsident Van der Bellen trug mit seiner Lobhudelei für Marcel Hirscher zur kritiklosen Glorifizierung des Spitzensports bei.

Dennoch wurden die beiden Sportler möglicherweise überzogen kritisiert und auch von ÖSV-Präsident Schröcksnadel als "Idioten" kritisiert.

In Wirklichkeit gibt es viele Argumente, dass das Doping im Spitzensport System ist.

Spitzensport ist eines der knallhärtesten Leistungs- und Konkurrenzsysteme, die es in unserer Gesellschaft gibt: der Schnellste bekommt oft riesige Preisgelder, Werbeverträge, Aufmerksamkeit, Popularität, Medienauftritte, der Viertschnellste bekommt oft einen Pappenstiel für jahrelanges Training. Zudem besteht im Spitzensport ein extrem hohes Verletzungsrisiko, das sich auch in Todesfällen äußern kann, wie z.B. dem Tod der Ski-Weltmeisterin Ulrike Maier auf der Abfahrtsstrecke, als ihr Genick im Sturzraum durch einen Stock, der zur Kamerafixierung bzw. Zeit- oder Geschwindigkeitsmessung verwendet werden sollte, gebrochen wurde.

Ob der Tod des Rallyefahrers Henri Toivonen auf Doping zurückzuführen ist, ist fraglich. Er nahm bei seiner Todesrallye Husten- bzw. Grippemittel, denen auch ein Dopingeffekt nachgesagt wurde, vielleicht auch in dem Sinne, dass sie die Risikobereitschaft erhöhen, was bei Rallye eher von Bedeutung sein kann, als in anderen Sportarten.

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/moraltheologische-aspekte-des-rallyesports-35074

Auch im Radsport gibt es immer wieder Todesfälle durch Doping, das nicht nur die Leistung erhöht, sondern in vielen Fällen auch geeignet ist, die Leistung so weit zu erhöhen, dass es zu Überforderung des menschlichen Körpers kommen kann.

Ein krasser Fall ist der von Tom Simpson im Jahr 1967. Dieser Fall zeigte auch die systematische Vertuschung von Doping im Spitzensport.

http://www.spiegel.de/sport/sonst/doping-opfer-simpson-der-mann-der-tot-vom-rad-fiel-a-494130.html

http://www.spiegel.de/sport/sonst/doping-chronik-anabolika-kokain-tod-a-428940.html

Der Fall Simpson wurde von Sportlern, Familienangehörigen, Sportfunktionären und Medien, für die die Sportberichterstattung eine Haupteinnahmenquelle ist, vertuscht, bis ein Journalist viele Jahre später die Sache aufrollte.

Eigenblutdoping erhöht kurzfristig die Leistung, und es ist relativ gesehen sicher: es besteht keine Ansteckungsgefahr, weil es sich ja um eigenes Blut handelt, es besteht eine geringe Infektionsgefahr, die auch beim Blutspenden oder bei einer Blutuntersuchung besteht.

Natürlich ist es unfair, aber das extreme Konkurrenzverhältnis im Spitzensport macht es relativ wahrscheinlich.

Weitere bekannte Dopingfälle in der Geschichte des Sports sind:

Lance Armstrong, Radsport, siebenfacher Tour de France-Sieger, also Sieger beim wahrscheinlich weltweit bedeutendsten Radsportwettbewerb: seine gesamte Karriere war von Dopingverdacht begleitet, aufgeflogen ist die Sache erst nach seiner aktiven Karriere; alle Siege wurden nachträglich aberkannt.

CC / z.g. Haggisnl https://de.wikipedia.org/wiki/Lance_Armstrong#/media/File:Lance_Armstrong_Tour_2010_team_presentation.jpg

Ben Johnson, Olympiasieger und Weltrekordhalter im 100-Meter-Sprint. Medaillen und Rekordwerte wurden nachträglich aberkannt.

CC / z.g. Mafugah https://de.wikipedia.org/wiki/Ben_Johnson_(Leichtathlet)#/media/File:Ben_Johnson_2017_(cropped).jpg

Dopingähnliche Praktiken sind in vielen anderen Bereichen völlig normal: Soldaten, Studenten, Börsenmakler, Künstler nehmen leistungsstärkende Medikamente, um dann, wenn sie müssen, Höchstleistungen bringen zu können.

Auch das macht die Dämonisierung des Doping, die mit hohen Strafen einhergeht, schwierig bis unmöglich. (Im konkreten Fall drohen den zwei Österreichern drei Jahre Haft)

Abgesehen von den Fällen, in denen Doping nachgewiesen werden konnte, gab und gibt es viele Fälle, in denen es Dopingverdacht gibt, der von Ex-Sportlern geäußert wurde, obwohl nichts bewiesen wurde, bzw. nichts bewiesen werden konnte:

Florence Griffith-Joyner, mehrfache Olympiasiegerin, Weltmeisterin und Weltrekordhalterin im Kurzstreckenlauf (100m und 200m).

Serena Williams, 23-fache Grand-Slam-Einzel-Siegerin im Tennis, neben Steffi Graf die einzige Frau, die zweimal den Grand-Slam gewann, also die vier wichtigsten Tennis-Turniere im selben Jahr.

Kjetil-Andre Aamodt, einer der erfolgreichsten Skirennsportler der Geschichte (er ist der männliche Skirennsportler mit den meisten WM-Medaillen), mehrfacher Weltmeister und Olympiasieger, er nahm sehr viel Hustenmittel, denen eine Dopingwirkung nachgesagt wurde, obwohl dieses Mittel damals nicht als Dopingmittel eingestuft war. Die Schwierigkeit, zwischen Dopingmitteln und Nichtdopingmitteln zu unterscheiden, ist einer der weiteren Gründe, warum der "Kampf gegen das Doping" aussichtslos sein könnte. Erfolg im Spitzensport kann so gesehen auch bedeuten, die gerade noch erlaubten Dopingmittel zu verwenden.

Generell kann man es so sehen, dass das Doping im Spitzensport neben den Todesfällen ein Beispiel dafür ist, was Papast Franziskus/Bergoglio "Wirtschaft, die tötet" nannte.

Aber es ist nicht nur die Wirtschaft. Doping, Sportbetrug (Schwalben und Foulprovokation im Fussball wie im WM-Finale 2006 zwischen Zidane und Materazzi können dazu gezählt werden), Todesfälle können auch gesehen werden als ein grenzwertiger Aspekt der Gesellschaft, so wie Gladiatorenspiele ("morituri te salutant", "Die Todgeweihten grüssen Dich" ) im antiken Rom, bei denen der Tod einfach dazugehörte zur Unterhaltung der Volks- und Zusehermassen.

Es gäbe vermutlich kaum Doping, insbesondere kaum tödliches Doping, kaum Betrügereien (wie Schwalben, ..), kaum Todesfälle im Spitzensport, wenn weniger Besucher und Seher sich dafür interessieren würden, wenn die Preisgelder gleichmässiger zwischen Erstem und Zehnten verteilt wären.

Die zahlenden Kunden bekommen eben, was sie wollen: und wenn sie eine Helden-Show wollen, dann bekommen sie eben eine Helden-Show, auch wenn die "Stars" (leuchtende Sterne) sich so wie die Sterne am Himmel bei näherer Betrachtung oft als Geröll und taubes Gestein entpuppen.

Ich empfinde den Shitstorm von Sportoffiziellen wie ÖSV-Präsident Schröcksnadel, der jetzt von "Idioten" spricht, heuchlerisch und auch ungerecht. Gemessen an der Idiotie des gesamten Systems mit oft absurd hohen Einnahmen für den Ersten und kaum Preisgelder für den Vierten, der oft nur um 0.5% langsamer ist, verhalten sich Doper möglicherweise relativ rational und vernünftig.

Derselbe Schröcksnadel hatte übrigens bei einem früheren Dopingfall gesagt: "Austria is to small a country to make good Doping" ("Österreich ist ein zu kleines Land, um gutes Doping zu machen" ). Mag schon sein, aber wie viele Produkte importieren wir Österreicher Doping eben aus Deutschland, auch in diesem Fall war ein deutsches Institut in das Eigenblutdoping verwickelt. Dieser Umstand macht die Berichterstattung deutscher medien, es habe Ösaterreich und Osteuropa "getroffen", einseitig.

Idiot ist aus meiner Sicht eher derjenige, der an den sauberen Spitzensport glaubt und der glaubt, dass alle Siege im Spitzensport mit sauberen Methoden erzielt werden. "Winning ugly", also "schmutziges Gewinnen" ist im Spitzensport relativ häufig und wird es wohl auch immer bleibebn.

"Die Gier nach Gold" und den damit verbundenen Preisgeldern, Werbeverträgen und Medienauftritten - guter Titel, denn genau das ist der Grund für Doping. Und Idioten sind vielleicht nicht die Doper, sondern nur diejenigen darunter, die es so dumm anstellen, dass sie dabei erwischt werden.

Es gibt auch ganze Dopingkulturen und systemisches Doping: frühere Ostblockstaaten (wie die DDR) dürften systematisch Doping verwendet haben, um mit hervorragend guten Medaillenbilanzen bei Sportereignissen wie Olympiade von der Wirtschaftsmisere ihrer Länder abzulenken (so gesehen hat der Spitzensport auch einen - zumindest potenziell - diktaturverlängernden Effekt). Wegen ähnlichem angeblichen systemischen Doping wurde Russland von Sport-Großereignissen ausgeschlossen, was möglicherweise auch den Hintergrund der Krim-Krise hatte. Nachdem russische Sportler als Nicht-Mitglieder des russsischen Teams antreten durften (ohne Dopingnachweis), verlief sich die Sache irgendwie. Aber vom Prinzip her ist die Einstufung aller Länder als systematische Doper eine interessante Möglichkeit: der frühere Skisprung-Trainer Toni Innauer meinte einmal, ohne den Nationalismus wären nur ein Bruchteil der Zuseher im Stadion. Ohne Medien, die "nationale Helden" feiern, wäre die Kluft zwischen Spitzenverdienern und Randverdienern viel geringer, was auch den Dopinganreiz stark verringern würde.

In ärmeren Ländern sind die Dopingkontrollen oft viel schlechter, sodass ein Athlet oder eine Athletin muskelaufbauendes Doping lange verwenden kann, bevor er/sie es absetzen muss, um auf internationalen Wettbewerben nicht aufzufliegen.

Weitere Dopingfälle aus österreichischer / deutscher Sicht:

Bernhard Kohl, Radsport

Andreas Berger, 100-Meter-Sprint

Jan Ulrich, Radsport

Eigenblutdoping (wie im jetzt aufgeflogenen Fall) ähnelt dem Blutspenden oder der Blutabnahme für Blutuntersuchungen.

Tötet Geld Moral ? War der Spitzensport früher anständiger und ritterlicher und sportsgeistorientierter, als er noch nicht vom Geld, von fetten Werbeverträgen und von sonstigen Geschäftemachereien verdorben war ?

Ist das System der Skandal, und nicht der einzelne Dopingfall ?

https://de.wikipedia.org/wiki/Doping

Auch Medien, die "Wir haben gewonnen!" titeln, wenn drei Österreicher gewonnen haben, können als Teil dieses Systems betrachtet werden: die oft kritiklose Sportberichterstattung erhöht die Auflage und damit die Einnahmen und Bedeutung von Medien. Wer sagt übrigens, dass "Drei Österreicher haben Gewonnen!" stimmt ? Vielleicht waren es nur drei egoistische Individuen, die sich für Österreich gar nicht sonderlich interessieren, außer in der Hinsicht, dass es Trainingsmöglichkeiten bereitstellt ? Aber die Schlagzeile "Drei egoistische Individuen haben gewonnen" wäre natürlich Kassengift und würde die Auflage und die Verkaufszahlen eher senken als erhöhen, und daher werden Sie diese Schlagzeile wohl nie lesen, obwohl sie manchmal angebracht wäre.

Gladiatorenspiele im Antiken Rom: der Tod war systemimmanent; dass dabei auch leistungssteigernde Mittel verwendet wurden, kann man als sicher betrachten, auch wenn die Zuschauermasse davon wenig bis nichts ahnte, sondern nur an der "Show" interessiert war.

Sind wir angeblich "Modernen" da wirklich viel besser ?

Zum systemischen Doping in der DDR

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