Bob Geldof, seit Live Aid die Gutmenschenstimme im Pop-Business, hat sich bzgl. Brexit zu Wort gemeldet.

Die britische Musikindustrie würde durch einen Brexit stark beschädigt, sagte Geldof in einem Interview, das auch als youtube-Video erhältlich ist.

Ehrlich gesagt, dieses Video und dieses Interview erscheint mir in vielerlei Hinsicht problematisch:

1.) Geldof verdammt den Brexit, bevor die Bedingungen des Brexit bekannt sind. Natürlich kann es sein, dass die Bedingungen des Brexit so sein werden, dass die britische Musikindustrie leidet, aber es kann auch sein, dass die Brexit-Bedingungen für Großbritannien (GB) und für die britische Musikindustrie gleich gut oder noch besser werden als die EU-Mitgleidschaft, allein schon deswegen, weil die Brexit-Bedingungen noch völlig offen sind.

2.) Die Wechselkkurse: solange GB in der EU war, bzw. vor der Brexit-Abstimmung, hatte das britische Pfund einen hohen Kurs gegenüber dem Euro, der auch Exporte von GB in die Eurozone erschwerte, auch Exporte der britischen Musikindustrie in die Eurozone. Durch den Brexit sank der Kurs des britischen Pfund gegenüber dem Euro, wodurch britische Exporte stimuliert und angekurbelt wurden, auch Exporte der britischen Musikindustrie.

3.) Die Nettozahlungen bzw. deren Wegfall: durch den Brexit entfallen auch die Nettozahlungen GBs in die EU-Budgets. Dieser Wegfall kann zu Steuersenkungen in GB führen, die britische Künstler und -innen sowie der britischen Musikindustrie zusätzliches Einkommen verschaffen können. GB war unter den vier größten EU-Mitglieder dasjenige mit den höchsten Nettozahlungen im Vergleich zu den Rückflüssen aus EU-Töpfen.

4.) Geldof argumentiert nicht rational, sondern er argumentiert emotional: er erwähnt keine Wechselkurse, keine Handelsbilanzen, aber er erwähnt sein Kinder und ihre Zukunft.

5.) Der Kurswechsel Geldof von Neutral auf Anti-Brexit erfolgte genau zeitgleich mit dem Kurswechsel der Corbyn-Labour-Party von Neutral auf Anti-Brexit. Es sieht so aus, als wäre Geldof ein Corbynist, ein Sympathisant des linken bis linksextremen Flügels der Labour Party, auch Live Aid mit der versteckten Unterstützung von linksextremen Diktatoren würde dazu passen.

Ich hatte ja nichts dagegen, wenn er dieselbe Position wie der Zentrist Tony Blair bezogen hätte und immer gegen den Brexit gewesen wäre, aber zeitgleich mit Corbyn die Position zu wechseln, als wäre er ein Parteiapparatschik der extremen Linken, ist ziemlich schäbig.

6.) Ich habe eher den Eindruck, das mit der britischen Musikindustrie und dem angeblichen Schaden durch den Brexit ist für Geldof nur ein Vorwand. Ihm geht es offensichtlich eher darum, britische Kriegsteilnahme wie im Irakkrieg zu verhindern, und die kriegsunfähige EU erscheint ihm als geeignetes Mittel, um GB aus allen Kriegen herauszuhalten, auch aus den notwendigen. Vielleicht ist er so eine Art britischer Schuldkultvertreter, für den jeder Bürgerkrieg und Völkermord in Afrika immer noch besser ist als eine westliche Militärintervention, die versucht, diesen Bürgerkrieg bzw. diesen Völkermord zu beenden.

7.) Auch sein Argument, ohne die britische EU-Mitgliedschaft würde es wieder einen Krieg zwischen Frankreich und Deutschland geben, ist ziemlicher Unsinn der Marke "Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben".

8.) Auch Geldof´s Behauptung, die Briten hätten weit mehr Talent als andere gleichgroße oder größere Nationen, ist Unsinn. Der Erfolg der britischen Popmusik hat sehr wesentlich mit angelsächsischer Dominanz, mit dem Sieg von GB und USA im Zweiten Weltkrieg zu tun. Natürlich hatte GB ebenso wie die USA in vielerlei Hinsicht einen Vorsprung in Sachen Qualitäts-Pop, aber der sinkt mit jedem Jahrzehnt und er wird weitersinken. Dafür ist typisch, dass Geldof längst vergangene Erfolge erwähnt, z.B. die der Beatles in den 1960er Jahren. Ähnlich wie die britischen Imperiums-Nostalgiker lebt Geldof in einer Brit-Pop-Nostalgie, die langsam, aber sicher erodiert.

Auch Geldof´s Argumentation, die Alternative zum Brexit sei eine Wiederaufnahme der 600 Jahre Krieg, die vor der EU-Mitgleidschaft waren, ist ziemlicher Unsinn und große Angst- und Panikmache, die auf die kindlichen und jugendlichen Popfans eine extrem starke Wirkung haben kann.

Kurz vor der Brexit-Abstimmung lag der Wert eines Pfund Sterling bei 1,32 Euro, nach der Brexit-Abstimmung fiel der Kurs eines Pfund Sterling auf 1,1 Euro.

Das heisst: angenommen ein Tonträger, z.B. CD wird in GB um 5 Pfund Sterling hergestellt, und ein gleichwertiger Tonträger wird in der EU, z.B. in Deutschland um 6 Euro hergestellt, dann war der britische Tonträger bei einem Vor-Brexit-Abstimmungs-Kurs von 1,32 nicht bzw. gering konkurrenzfähig, weil er 1,32*5, also 6,60 Euro kostete und somit mehr als der gleichwertige deutsche um 6 Euro.

Hingegen war derselbe Tonträger um 5 Pfund Sterling bei einem Nach-Brexit-Abstimmungskurs von 1,1 Euro konkurrenzfähig und billiger als der deutsche, weil er 5*1,1, also 5,5 Euro kostete und somit weniger als der deutsche um 6.

Gerade Teen-Ager haben oft ein extrem knappes Budget, weil sie Schüler und Schülerinnen oder Lehrlinge oder Studierende sind.

Der ca. halbe Euro Unterschied macht hier oft den Unterschied bei der Kaufentscheidung.

Was die Währungskurse betrifft, so stimmt genau das Gegenteil von dem, was Geldof behauptet, der Brexit nutzt der britischen Musikindustrie, es sei denn, es kommt eine so starke Abschottung (ein "hard Brexit" ) heraus, dass gar nichts mehr exportiert werden kann.

Aber das wäre die rationale Argumentation, Geldof hat sein ganzes Leben lang die emotionale Schiene bedient, nicht die rationale.

Er hat sein ganzes Leben lang Gefühle erzeugt, die den Verstand ausschalten, und dies macht er auch hier.

Es ist wirklich traurig, dass die heutige Popbranche derart emotional verdummt ist, und dass keiner oder kaum einer von den Pop-Journalisten wahrhaftig ist, die in Wirklichkeit nur Lobhudler und Büttel der Industrie sind, die die Pop-Künstler prinzipiell nie oder fast nie kritisieren.

Die Pop-Journalisten müssen vielleicht auch über die Lügen der Stars schweigen und sie vertuschen, weil sie ansonsten keine Interviews mehr bekommen, und Interviews mit Popstars sind die Quintessenz von Pop-Magazinen.

Es ist traurig, wieweit die Kultur verkommen ist, wie weit die Lüge und die Wahrheitsvertuschung triumphiert haben, wie weit Emotion Vernunft getötet hat, wie weit kommerzielle Interessen und Abhängigkeitsverhältnisse die journalistische Ethik und Wahrhaftigkeit zerstört haben.

In Wirklichkeit sind Geldof und die überwältigende Mehrheit der Pop-Journalisten mit all ihrer Verlogenheit und Vertuschung ein widerliches Beispiel für den neoliberalen Triumph der Lüge über Moral und Wahrheit.

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