Medien- und Bundesregierungsskandal Vertuschung zutreffender Umfragen bei Überraschungswahlen ?

Die angebliche Überraschungswahl bei den Gemeinderatswahlen in Graz, bei der die KPÖ angeblich "überraschend" stimmenstärkste Partei wurde und um ca. 9% dazugewann, während hingegen die ÖVP angeblich "überraschend" stark verlor, nämlich ca. 12 %, wächst sich nun immer mehr zu einem Medienskandal aus.

Denn zahlreiche Medien hatten angeblich laut Redaktionsinsidern Umfragen, die dieses Wahlergebnis sehr präzise vorhersagten, allerdings wurden diese präzisen Vorhersagen meist nicht publiziert, während die weit daneben liegenden Umfragen publiziert wurden.

Die Gründe der Medien dafür, die falschen Umfragen zu publizieren und die treffenden Umfragen zu vertuschen, dürften unterschiedlich sein:

1.) Der Glaube, dass diese treffenden Umfragen nicht stimmen können, weil sie zu überraschend wären (damit verbunden auch der Glaube, dass die falschen Umfragen publiziert werden können, weil sie sich eben vom letzten Wahlergebnis kaum unterschieden)

2.) Der vorauseilende Gehorsam, keine Umfragen publizieren zu wollen, die der ÖVP mißfallen könnten (Dies betrifft vor allem ÖVP-nahe Medien)

3.) absichtliche Wahlmanipulation, also z.B. in diesem Fall die sogenannte "Demobilisierung" der ÖVP-Wähler.

Die Vertuschung sich im Nachhinein als richtig erweisender Umfragen ist bzw. wäre nicht nur ein Verstoss gegen journalistische Ethik, sondern auch verfassungsrechtlich fragwürdig: zahlreiche Höchstgerichte haben Judikatur, dass die Veröffentlichung von Umfragen eine Art Medienpflicht ist, und dass die Bürgerinnen und Bürger ein Recht auf derartige Umfragepublikationen haben.

Auf jeden Fall ist es problematisch, wenn Medien willkürlich entscheiden, welche Umfragen sie veröffentlichen und welche sie vertuschen, insbesondere, wenn sie die Umfragen veröffentlichen, die sich im Nachhinein als völlig falsch erweisen, hingegen diejenigen Umfragen unterdrücken, die sich im Nachhinein als richtig erweisen.

Und ganz besonders krass ist diese Problematik der Umfragenselektion/Umfragenauswahl durch Medien dann, wenn die Wähler und Wählerinnen dadurch getäuscht und in die Irre geführt werden.

So wäre die Graz-Wahl wahrscheinlich wesentlich anders ausgegangen, wenn die Medien die richtiger liegenden Umfragen veröffentlicht hätten: dann hätten sich nicht viele ÖVP-Wähler in Sicherheit gewiegt, dass die ÖVP sowieso gewinnt, und wären am Wahltag zur Wahl gegangen, statt sich der Stimme zu enthalten durch Nichtwählen.

Und die KPÖ hätte dann vielleicht nicht die Kleinparteien aufgesaugt und es wären dann wahrscheinlich Kleinparteien mit 1.5 bis 2% ins Stadtparlament gekommen.

In Zusammenhang mit dieser Vertuschung der zutreffenden Umfragen und gleichzeitiger Veröffentlichung falscher Umfragen steht auch der Paragraph Strafgesetzbuch 263 "Täuschung bei einer Wahl":

"Täuschung bei einer Wahl oder Volksabstimmung

§ 263. (1) Wer durch Täuschung über Tatsachen bewirkt oder zu bewirken versucht, daß ein anderer bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen eine ungültige Stimme abgibt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."

So gesehen müssten die Journalisten und -innen, die krass irreführende Umfragen veröffentlichten, hingegen die zutreffenden Umfragen vertuschten, möglicherweise mit dieser Strafe bestraft werden.

Allerdings hat dieses Gesetz auch eine gravierende potenzielle Gesetzeslücke: nämlich dass es zwar verboten ist, jemanden beim Stimmabgeben in die Irre zu führen (was auch beinhält, jemanden irrezuführen, indem man ihn/sie dazu bewegt, gegen seinen Willen eine ungültige Stimme abzugeben), aber es ist scheinbar nicht verboten, jemanden durch Irreführung dazu zu bewegen, entgegen seinem Willen nicht an der Wahl teilzunehmen, z.B. weil ihm als Folge seiner Nichtteilnahme durch die von Medien publizierten bzw. vertuschten Umfragen ein völlig anderes Wahlergebnis vorschwebte, als sich dann tatsächlich verwirklichte.

Für sowas gibt es möglicherweise noch nicht einmal einen Begriff, wie zum Beispiel "taktisches Nichtwählen" oder "irregeführtes taktisches Nichtwählen", also nur deswegen nichtwählen, weil man fälschlicherweise glaubt, die eigene Partei liege weit vorne, während man gewählt hätte, wenn die richtigen Umfragen publiziert worden wären, und nicht, bzw. nicht nur die irreführenden.

Da es sich beim Strafgesetzbuch um ein Bundesgesetz handelt, das von der Bundesregierung und ihren Parlamentsparteien geändert werden kann und schon längst geändert werden hätte sollen, ist die Kanzlerpartei ÖVP, d.h. Kanzler Kurz wahrscheinlich selbst schuld oder mitschuld, dass ihre Grazer Filiale mit Bürgermeister Nagl (für sie) niederschmetternd abgewählt wurde !!!!

Das "irregeführte taktische Nichtwählen" steht auch in Zusammenhang der "underdog-effect" beim Wählen: eben weil der angeblich unerschütterliche ÖVP-Wahlsieg laut Umfragen schon feststand, könnten viele, die bei Kopf-an-Kopf-Umfragen die ÖVP gewählt hätten, den grünen "underdog" gewählt haben.

https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinderatswahl_in_Graz_2021

https://www.meinbezirk.at/graz/c-politik/spoe-verpasst-den-stadtsenat_a4912525

https://steiermark.orf.at/stories/3119779/

https://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/gemeinderatswahl/6029269/ExklusivUmfrage-zur-GrazWahl_OeVP-drei-Wochen-vor-der-Wahl-klar

Hier die veröffentlichten Umfragen zur Graz-Wahl, die die ÖVP zwischen 30% und 38.4% prognostizierten, während sie in Wirklichkeit 25.x% erzielte, und die die KPÖ auf 17.8% bis 25.4% prognostizierten, während sie in Wirklichkeit 29% erreichte. Man kann übrigens annehmen, dass die Grazer ÖVP intern selbst zutreffende Umfragen hatte, als sie auf den Vor-Rot-Rot-Grün-Mehrheit-Warnwahlkampf umstellte. Allerdings ist es schon eine seltsame Doppelmoral, nur sich selbst für den internen Gebrauch zuzugestehen, allerdings gleichzeitig den Medien Vertuschung zutreffender Umfragen und Veröffentlichung irreführender Umfragen zu erlauben.

Die ÖVP als Kanzlerpartei hätte spätestens nach dem ersten Wahlgang der Bundespräsidentschaftswahl 2016, bei dem sich eine ähnliche Problematik der Irreführung der Wählerinnen und Wähler durch Umfragepublikationen ergab, alle betreffenden Gesetze diesbezüglich, auch den §263 StGB überprüfen müssen, auch alleine schon aus Eigeninteresse.

Auch der §264 StGB "Verbreitung falscher Nachrichten bei einer Wahl oder Volksabstimmung" könnte knapp nicht zutreffen: "Verbreitung falscher Nachrichten bei einer Wahl oder Volksabstimmung

§ 264. (1) Wer öffentlich eine falsche Nachricht über einen Umstand, der geeignet ist, Wahl- oder Stimmberechtigte von der Stimmabgabe abzuhalten oder zur Ausübung des Wahl- oder Stimmrechts in einem bestimmten Sinn zu veranlassen, zu einer Zeit verbreitet, da eine Gegenäußerung nicht mehr wirksam verbreitet werden kann, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."

Die Umfragen, die die ÖVP bei 35% hatten und die KPÖ bei 20%, z.B. von OGM in der "Kleinen Zeitung", der in Graz meistgelesenen Zeitung, die auch vom ORF weitergegeben und wiederzitiert wurden, erschienen ca. drei Wochen vor der Wahl, also zu einer Zeit, als eine Gegenäußerung gerade noch wirksam verbreitet werden konnte. Außerdem hätte die ÖVP dann einem ÖVP-nahen bzw. kirchennahen Medium widersprechen müssen.

Aber die ÖVP glaubte scheinbar, alles sei perfekt und der Bubi-Charme und der Welpen-Effekt von Sebastian Kurz würde auf lange Zeit alles überstrahlen und wäre so eine Art Erfolgsgarantie, deswegen könne bzw. müsste man "weiterwurschteln".

Als großer "Weiterwurschtler" bis zum völligen Untergang galt auch Kaiser Franz Joseph I. (, der erste und letzte, gestorben 1916), der so ähnlich wie Kurz nötige Reformen verschleppte, was auch zum ersten Weltkrieg und zum Untergang des Habsburgerreiches beitrug.

Bei der sogenannten Grazer "Überraschungswahl" war die Zahl der Nichtwähler laut manchen Medienberichten stark gestiegen, von ca. 95.000 auf ca. 104.000. Die Zahl der Wahlberechtigten ist ungefähr gleich geblieben, mit ca. 223.000.

Und diese Neu-Nichtwähler dürften hauptsächlich Ex-ÖVP-Wähler und -innen gewesen sein, die wegen der irreführenden Umfragepublikationen glaubten, der Wahlsieg der ÖVP stünde ohnehin fest, und sie müsste daher gar nicht zur Wahl gehen, um einen ÖVP-Wahlsieg sicherzustellen.

Laut SORA-Wählerstromanalyse Graz 2021 hatten die ÖVP mit 7000 und die FPÖ mit 5000 die größten Wählendenabwanderungen ins Nichtwählerlager. Eine ebenfalls große Wählerwanderung gab es laut Analyse von der ÖVP zu den Grünen, dem ÖVP-Koalitionspartner auf Bundesebene, mit ebenfalls 7000 Stimmen laut Analyse. Auch diese Wählerwanderung kann durch Veröffentlichung irreführender Umfragen bei gleichzeitiger Vertuschung zutreffender Umfragen verursacht gewesen sein.

Siehe auch:

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/erdrutschsieg-fuer-die-kpoe-in-graz-74072

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/aufruf-zum-ungueltigwaehlen-bei-bundespraesidentenwahl-25099

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/antrag-auf-aufhebung-des-bundespraesidentenwahlgesetzes-22563

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/oesterreich-vom-wahlchaos-zum-demokratieerneuerer-durch-reihungswahlrecht-25299

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/unser-extremismusfoerderndes-und-manipulationsanfaelliges-praesidentenwahlsystem-18790

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/der-kaputte-bundespraesident-und-das-kaputte-system-28896

(Eine dieser Blogs hatte übrigens 6 von 6 Fischen bei Null Fischern ! )

Der US-amerikanische Autor und Politikwissenschafter Jason Brennan, der mit dem Buch "Against Democracy", in dem er sich für Epistokratie statt Demokratie aussprach, einen Verkaufserfolg erzielte, hat sich in einem anderen Buch mit Wahlpflicht beschäftigt, mit "obligatory voting", oder "Compulsory Voting". Die englischsprachige Wikipedia bezeichnet seine Hauptbeschäftigungsfelder als "pathologies of democracy, and the consequences of freedom"; als "Krankhaftigkeiten der Demokratie und (schlechten) Konsequenzen der Freiheit".

Auch eine generelle Wahlpflicht wäre eine Möglichkeit, demobilisierende Wahlmanipulation durch Publikation falscher Umfragen bei gleichzeitiger Vertuschung richtiger Umfragen, die oftmals zur Stimmenthaltung großer Teile der Wahlberechtigten führt, zu verhindern.

D.K:

Das ist die Botschaft, die Medien durch Veröffentlichung irreführender Umfragen und Vertuschung zutreffender Umfragen den Grazer ÖVP-Wählern (und ähnlicherweise FPÖ-Wählern) vermittelten.

Bei genauer Beobachtung ist diese Botschaft völlig unlogisch und widersprüchlich, eben weil die ÖVP Null Wähler erreichen würde, wenn alle ÖVP-Wähler sich daran halten würden.

Die Fixierung von Politik und Medien auf Meinungsumfragen ist generell ein Übel, das auch die Wahlen und Abstimmungen verfälscht. Der frühere britische Premier Cameron richtete seine Brexit-Abstimmungs-Strategie auf Umfragen aus, die eine 80%-Mehrheit für "Remain", also in der EU bleiben, anzeigten.

Allerdings drehten während der Kampagne die Meinungen und Medienberichte, auch und sehr wesentlich verursacht durch Camerons Strategie, die auf völlig anderen Umfragen gestützt war.

Neben der oft mangelhaften Deklarierungsbereitschaft und der Tendenz, frei nach der Noelle-Neumann´schen Schweigespirale gesellschaftlich-erwünschte Antworten bei Umfragen zu geben, aber nicht das wirkliche zukünftige Wahlverhalten, gibt es eine weitere Problematik, die Meinungsumfragen ziemlich unbrauchbar machen: namälich die Spätentscheider und die Spät-Umentscheider, die last-minute-deciders und die last-minute-redeciders.

Viele Befragte scheinen sich lange nicht mit dem Wahlkampf und der Politik beschäftigt zu haben, und geben daher ihr Wahlverhalten bei der letzten Wahl an, nicht ihr Wahlverhalten bei der kommenden Wahl. UNd erst in der letzten Phase führen dass die Wahlkampfthemen zu einer Entscheidung oder Umentscheidung. Und auch diese Spätentscheider und Spätumentscheider sind Gründe, warum es angeblich "Überraschungswahlen" gibt. Allerdings ist dieses Phänomen der Spätentscheider ein altbekanntes, das sich zahlreiche Medien einfach weigern, zur Kenntnis zu nehmen, weil die Meinungsumfragen, insbesodnere, wenn man die wirklichen Fehlerquoten und Schwankungsbreiten vertuscht, Leser- und Sehermagneten und daher auf Gewinngeneratioren für die Medien sind. Es regiere eben im Kapitalismus das Geld, und nicht die Wahrheit, könnte man sagen.

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