SPÖ unreformierbar ? Zu Christian Kerns Kritik an Rendi-Wagner

Der frühere SPÖ-Bundeskanzler und SPÖ-Parteiobmann Christian Kern hat in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung zurückhaltende Kritik an der SPÖ, der jetzigen Vorsitzenden Rendi-Wagner, der Tatsache, dass zahlreiche seiner Reformen zurückgedreht werden, geübt.

https://www.tt.com/politik/innenpolitik/15753932/kern-auf-distanz-zu-rendi-wagner-hoch-gewinnt-spoe-nimmer

Meinem Eindruck nach hat Kern mit seiner Kritik an der SPÖ bzw. ihrer jetzigen Vorsitzenden Rendi-Wagner teilweise recht und die SPÖ wäre aus meiner Sicht gut beraten, sie zumindest teilweise ernst zu nehmen.

Hier meine Einschätzungen:

.) Zu sagen, es reiche ein weibliches Gesicht und der Einsatz für das Rauchverbot in der Gastronomie, könnte zuwenig sein, um die SPÖ ernsthaft in die politische Mitte zu rücken und die dominante Stellung, die die ÖVP in der Bundespolitik seit 33 Jahren hat, ernsthaft zu gefährden (auch deswegen, weil die ÖVP nach dem Koalitionsplatzen jetzt für dasselbe Rauchverbot eintritt). So gesehen droht der SPÖ ein Labour-Party-Schicksal der jahrzehntelangen Opposition von 1979-1997. Vielleicht braucht die SPÖ so wie britische Labour-Party eine jahrzehntelange Oppositionsphase und eine Niederlagenserie bei Parlamentswahlen, um sich selbst zu reformieren (was Pam Rendi-Wagner mit ihrem teilbritischen Hintergund eigentlich wissen sollte). Traditionalistische Sozialdemokratische Parteien sind offensichtlich eben so. Der niederländische Parteiforscher Arend Lijphardt - IIRC - sagte einmal, eine jede Partei trage auf ewig den Stempel ihrer Geburt. Das könnte auch heissen, dass die SPÖ auf ewig und unreformierbar die Austromarxistische Partei bleibt, die sie in den 1920er und 1930er Jahren war. In diesem Sinne kann man auch die Plakatserie der SPÖ Wien, die auf Historisches abzielte, verstehen.

.) In Sachen Wirtschaftskompetenz macht die SPÖ einen der ÖVP weit unterlegenen Eindruck (die einzige Ausnahme wären vielleicht die Verluste der schwarz-blauen Betriebspensionsreform), und sie macht keine sonderlichen Anstalten, das ernsthaft zu korrigieren. Auch die Forderung nach Entschädigung der Wirte nach der zurückgezogenen Raumtrennungsvorgabe, die teure Umbauten erforderte, hörte man immer nur aus der ÖVP, nie aus der SPÖ.

.) In Sachen Greta Thunberg stimme ich Kern nicht zu: mich stört ihre Eisenbahnfixiertheit, ihre Panikmacherei, ihre Unkonkretheit, ihre völlig unkritische Wiedergabe von fragwürdigen IPCC-Thesen. Aber gemäß dem Welpeneffekt und dem Kindchenschema sind wir Zwangsbemütterer und -beväterer genetisch gezwungen, tolpatschige und fehlermachende Kinder wie Klein-Greta einfach wunderbar zu finden.

.) Der Wiener SPÖ geht es immer noch zu gut, als dass sie ihren Widerstand gegen eine ernsthafte Parteireform aufgeben würde. Die Wiener SPÖ hat nach wie vor eine bequeme Dominanz, regiert und sucht sich den Koalitionspartner nach Belieben aus. Allerdings könnte das eine trügerische Ruhe vor dem Sturm sein.

.) Die Verwienerung der SPÖ ist - auch wenn sie das selbst nicht erkennt - ein Riesenproblem, das ihr bei Bundeswahlen noch fürchterlich auf den Kopf fallen kann.

Die letzten Beispiele waren die Besetzung des Volksanwalts und die Besetzung des Wahlkampfmangers / Parteisekretärs.

.) Die Kritik an Rendi-Wagner bzw. der jetzigen SPÖ mit Machismus und Frauenfeindlichkeit abzutun, könnte zu einfach sein und der SPÖ mehr schaden als nutzen. Die frühere Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) setzte sich für Studiengebühren in geringer Höhe ein und war damit ein Kontrapunkt zum Füllhornsozialismus, der das Denken der SPÖ nach wie vor stark bestimmt. (Das Füllhorn ist ein Gegenstand aus der griechischen Mythologie, der sich selbst mit Goldmünzen füllt, wenn man welche herausnimmt; kritik am Füllhornsozialismus ist daher immer Kritik an bei Linksparteien vorhandenem Populismus)

CC / Joachim Bergauer https://de.wikipedia.org/wiki/Gabi_Burgstaller#/media/Datei:Gabi_Burgstaller.jpg

Frühere Salzburger Landeshauptfrau Burgstaller (SPÖ): darf eine Sozialdemokratin für Studiengebühren sein ? Oder wird sie dafür von der Wiener Zentrale durch Absetzung, Unterstützungsverlust und Bundespolitikverbot bestraft ?

Studiengebühren in geringer Höhe, die die Kosten bei weitem nicht abdecken, haben auch symbolische Funktion: sie dienen dazu, das Kostenbewusstsein zu erhöhen und Numerus-Clausus-Flüchtlingseffekte aus Deutschland, die das österreichische Budget stark belasten ohne Nutzen, wenn die Absolventen nach dem Studium wieder nach Deutschland zurückgehen, einzudämmen.

Und Studiengebühren haben natürlich auch einen sozialen Effekt: da die Steuern überwiegend aus Lohneinkommen und Arbeitseinkommen gespeist werden und das Gratisstudium bzw. steuerfinanzierte Studium für Alle EU-Bürger auch Reichen zugute kommt, ist das Gratisstudium in vielen Bereichen eine Umverteilung von Unten nach Oben, auch deswegen, weil zukünftige Akademiker eine Schicht sind, die in der Zukunft zu großen Teilen ein hohes Einkommen haben wird. Die nachgelagerten Studiengebühren, die die NEOS fordern, sind daher auf jeden Fall ein interessantes Modell. Der Erfolg der NEOS beruht eben auch darauf, dass sie in der Studiengebührenfrage die besseren Sozialdemokraten als die SPÖ sind.

Auc, wenn der frühere steirische Landeshauptmann Franz Voves von seinem Wiener Parteifreind (sic!) Häupl fürchterlich gemobbt wurde als "Pegida"-Vertreter und damit unter die 30%-Rücktrittsmarke gedrückt wurde, nur weil er sich für Sanktionen gegen Integrationsverweigerer ausgesprochen hatte, so glaube ich eigentlich, dass er damit recht hatte.

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/eheannullierung-bei-integrationsverweigerung-55305

SPÖ bezeichnet ihre eigene Unreformierbarkeit, Stillstand und Verharren in widerlegten und unzeitgemäßen Dogmen als Stabilität ?

Auch die Neigung, Alle Andersdenkenden als "Unanständig" einzustufen, könnte sich zu einem Riesenbumerang der SPÖ-Wahlkampflinie entwickeln. Und vielleicht war ja diese "Anstands"-Parole, die Rendi-Wagner offensichtlich zumindest abgenickt hat, ein Grund für das sehr schlechte Abschneiden der SPÖ bei der EU-Wahl.

Ein gutes oder schlechtes Beispiel für die Unreformierbarkeit der SPÖ gab - wohl unfreiwillig - der ehemalige SPÖ-Nationalrat Josef Broukal, der Kurzzeitkanzler Gusenbauer mit "A star is born" belobhudelt hatte - in der Sendung Punkteins gestern, 17.6. ab.

Die Hauptfehler machte er in dieser Sendung meiner Meinung nach bei Gewaltentrennung und Studiengebühren.

Auch seine Medienschelte erschien übertrieben, ebenso wie sein Lob für den früheren ÖGB-Chef-Verzetnitsch, der die Streikkasse des ÖGB für die BAWAG verpfändet hatte und die BAWAG in den Konkurs schlittern liess.

Zu Wirtschafts- und Pensionsfragen:

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/der-grosse-privatpensionsbetrug-durch-schwarz-blau-eins-57081

Siehe auch: Paul Lendvai

https://derstandard.at/2000105016951/Am-Krankenbett-der-Sozialdemokratie

Ich finde die Kritik von Lendvai am rot-blauen Misstrauenantrag für teilweise übertrieben; man kann sowas schon machen. Und Rendi-Wagner hat seit ihrem Antritt eine Anti-Kurz-Rhetorik oder Anti-ÖVP-Rhetorik vermieden (so sprach sie nicht von "Misstrauen", sondern von "mangelndem Vertrauen" oder so), was aber wegen des SPÖ-Bundesparteibeschlusses, der SPÖ-FPÖ-Koalitionen verbietet, auch alternativlos erscheint.

Durch das schlechte Wahlergebnis bei der EU-Wahl ist sie alles andere als gefestigt.

Bill Clinton war als US-Gouverneurskandidat erst erfolgreich, nachdem er auf Konfrontationskurs mit der Gewerkschaft gegangen war, bei Rendi-Wagner ist diesbezüglich nichts zu bemerken.

Ich finde auch die Kritik von Lendvai an der britischen Ex-Premierministerin May für übertrieben:

https://derstandard.at/2000103917325/Grossbritannien-Der-Machtkampf?_blogGroup=1&ref=rec

May hat zwar bei der Parlamentswahl die absolute Mandatsmehrheit ganz knapp verloren, aber dennoch einigermassen bequem mit dieser nordirischen Kleinpartei weiterregieren können.

Sie hatte eine ruhige, sachliche Art und war für die Fehler und Probleme der Zeit nicht verantwortlich, z.B. Einleitung des Brexit-Abstimmungsverfahren unter diesen Umständen, Einleitung der Russland-Sanktionen wegen Budapest-Memorandum, in dem GB die Grenzen der Ukraine garantierte.

Die angebliche Qualitätszeitung "Der Standard" kopiert nun auch schon die Art der SPÖ, berechtigte Kritik mit hypermoralisierenden Keulen wie der Frauenfeindlichkeitskeule niederzuknüppeln:

https://derstandard.at/2000104962488/Kerns-Ratschlaege-an-Rendi-Wagner-Maennliches-Ego

Mit nichtssagenden "Wählen statt Schweigen"-Parolen bewirkte die SPÖ vielleicht unabsichtlich den Erdrutschsieg der ÖVP bei der EU-Wahl. Und als One-trick-Pony macht die SPÖ dasselbe, was sie seit 40 jahren macht: vor einem angeblichen Rechtsruck zu warnen. In Anbetracht des Platzens der ÖVP-FPÖ-Koalition eine offensichtlich völlig gescheiterte Strategie.

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