Über Anna Netrebko, ihre Schuhe, die Inflation und den Zermürbungskrieg in der Ukraine

Anna Netrebko ist so eine Art Super-Opernstar, der zwischen die Fronten des Ukrainekrieges geriet: von der Herkunft her Russin, machte sie zahlreiche Karriereschritte im Westen, z.B. auch in Österreich und bei den Salzburger Festspielen (mit z.B. Helga Rabl-Stadler als Intendantin).

Im Ukrainekrieg versuchte sie verständlicherweise, sozusagen einigermaßen neutral gute Beziehungen zu beiden Seiten zu haben, und musste sich Kritik von beiden Seiten gefallen lassen, dass sie zu sehr mit der jeweils anderen sympathisieren würde.

Vom russischer Seite wird Netrebko vorgeworfen, sie hätte sich für Geld an den angeblich dekadenten, angeblich perversen Westen verkauft.

Und von westlicher Seite wird Netrebko das genau Umgekehrte vorgeworfen, nämlich sie sei viel zu pro-russisch, pro-putinistisch, etc.

Die Wahrheit dürfte wohl in der Mitte liegen.

Besonders pikant folgender Shitstorm von "Österreich" gegen Netrebko: sie würde "die Sparer verhöhnen", weil sie sich Stiefel um 9000 Euro vor dem Black Friday gekauft habe, und dazu gepostet hat "Wozu auf den Black Friday warten ?" , oder so.

Ob die Gehälter bzw. Bezahlungen für Opernspitzenstars zu hoch seien, ist eine Frage, die man diskutieren kann, aber man kann nicht als Österreich (einmal Staat, einmal Zeitung) erst Netrebko hohe Gagen zahlen und sich dann hinterher beschweren, dass sie das wieder ausgibt, von mir aus auch für Schuhe. Ja, Frauen haben manchmal einen Schuhkauffetisch, so soll Imelda Marcos 1000 Paar Schuhe besessen haben.

Aber Männer haben halt einen Fetisch für was anderes, zum Beispiel für den Kauf von Autozubehör oder so.

In Zeiten der hohen Inflation kann es durchaus sinnvoll sein, das Geld sofort auszugeben. Wenn man ein halbes Jahr auf den Black Friday wartet, die Inflation 80% pro Jahr beträgt wie in Argentinien noch vor kurzem, dann beträgt die geometrische Halbjahresinflation 34%. Wenn die Nominalpreise am Black Friday in einem halben Jahr um 20% niedriger sind, aber derartige Inflation dazukommt, dann zahlt man in Kaufkraft gerechnet am Black Friday um 14% mehr, auch wenn man nominell um 20% weniger zahlt (nominell bedeutet in Geldwerten, real in Kaufkraftwerten).

Von der behaupteten "Sparerverhöhnung" und "Überheblichkeit" ist wenig bis nichts zu erkennen. In Wirklichkeit ist wohl eher dieser Österreich-Artikel eine Verhöhnung der Sparer, weil erstens eine gute Chance verspielt wurde, den Lesern und Leserinnen die Inflation nahezubringen/zu erklären, und weil zweitens das Warten und Geldentwerten zum Ideal erklärt wird.

Übrigens ist Netrebko mit Yusif Eyvazov verheiratet (Heirat in Wien), der ein gebürtiger Aserbaidschaner und dessen Namen so klingt, als hätte er einen Bezug zum Islam. Und daher ist es sehr unplausibel, dass Netrebko die oftmals harten anti-islamischen Kriege von Putin, beginnend mit Tschetschenien, gefolgt von Krim und Syrien bedingungslos befürworten würde. Sie daher wegen zur großer Nähe unter irgendwelchen Vorwänden für eine angebliche Putin-Nähe zu shitstormen, erscheint verfehlt.

Übrigens der Ukrainekrieg dauert jetzt schon fast 2 Jahre lang und wird zum blutigen Zermürbungskrieg. US-Aussenminister Blinken versucht das so darzustellen, als wäre Putin alleine schuld an den zahlreichen toten Russen, was eine gewisse Plausibilität hat, aber nicht die einzige Möglichkeit ist, das zu sehen. Denn schliesslich ist es ja nicht die russische Artillerie, die russische Soldaten in großer Zahl tötet, sondern die vom Westen aufgerüstete ukrainische. Beim Zermürbungskrieg ändert sich am Frontverlauf kaum was, aber es sterben haufenweise Soldaten, hauptsächlich durch Artillerie. Statt der Hoffnung auf den schnellen Sieg verlagern sich die Hoffnugen der Kriegsparteien darauf, die Verluste der jeweils anderen würden zu einem Putsch, einer Revolution oder einem Regierungswechsel führen. Laut verschiedenen Statistiken sterben derzeit ca. 4-mal soviele Russen wie Ukrainer, und Russland hat viermal soviele Menschen wie die Ukraine, sodass bei ständiger, fast-ewiger Fortführung irgendwann einmal kein Ukrainer und kein Russe mehr übrigbleiben könnten.

Manchmal frage ich mich, ob wir da in so eine Art Phyrrhus-Sieg reindriften nach dem Motto "Noch so ein Sieg, und wir sind verloren".

Die Art und Weise, wie der Westen, dem ich auch Österreich zuzähle, 1956 zahlreiche Ungarn opferte, um die Sowjetunion zu beschädigen, bewirkte eine nachhaltige anti-westliche Stimmung in Ungarn, von der nun Orban profitiert.

Ebenso wie die Art und Weise, wie der Westen in den 1980er-Jahren zahlreiche Afghanen opferte, um die Sowjetunion zu beschädigen, eine nachhaltige anti-westliche Stimmung in Afghanistan bewirkte, von der nun die Taliban profitieren.

Und ebenso wird dieser Ukraine-Krieg möglicherweise bei zahlreichen Ukrainern und Russen eine anti-westliche Stimmung bewirken. Es besteht die Gefahr, dass, egal, wie der Krieg ausgeht, die Beziehungen sowohl zur Ukraine als auch zu Russland (oder zu Teilen der Bevölkerung dieser Staaten) nachhaltig beschädigt sein könnten.

https://www.oe24.at/leute/oesterreich/netrebko-ueberhebliches-posting-sorgt-fuer-wirbel/576272100

Link zu Foto mit den Schuhen des angeblichen Grauens:

https://www.instagram.com/p/Cz4GS6xIv0_/

(Aus urheberrechtlichen Gründen wird Foto sicherheitshalber nicht direkt gebracht)

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Matt Elger

Matt Elger bewertete diesen Eintrag 26.11.2023 08:12:58

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