Verfassungsänderung zur Regierungskrisen-Schwindelverhinderung nötig ?

Österreich ist in schlechter Verfassung; Österreich hat eine schlechte Verfassung. Die Verfassung wird in der österreichischen Politik gern dazu verwendet, dem gegnerischen Lager "Verfassungsbruch" vorzuwerfen, aber was wirklich drinsteht oder nicht drinsteht in der Verfassung, das interessiert keinen.

Unter "Regierungskrisenschwindel" verstehe ich zum Beispiel, wenn ein Kanzler einen falschen Grund angibt dafür, dass er beim Präsidenten die Entlassung eines Ministers beantragt und wenn der Präsident diesen Antrag erfüllt. Das kann - wie wir gesehen haben - auch das Platzen einer Regierung und die Bildung einer demokratiepolitischen-bedenklichen Minderheitsregierung zur Folge haben.

Der Möglichkeit, in Zukunft in einen Befangenheitsverdacht geraten zu können (und das war die offizielle Begründung für die Entlassung Kickls) besteht in Wirklichkeit bei Jedem und Jeder, so gesehen hat das "Argument" von Kanzler & Entourage das Maximum an möglicher Willkür erreicht.

Die wirkliche Begründung für die Entlassung (die aber nie gesagt wurde) dürfte eine ganz andere sein: nämlich, dass und wie Kickl das EuGH-Urteil zur Abschiebung straffällig gewordener Ausländer kritisierte und dass diese Kritik am EuGH dem proeuropäischen Regierungsprogramm widersprach.

Womit wir bei den unerwähnten Alternativen wären:

im zeitlich ersten Fall (dem Dornbirn-"Mord" ) wäre die Alternative vermutlich gewesen: die Abschiebung bzw. einvernehmliche Ausreise eines Kurden in eine militärisch gesicherte Kurdenzone im Nordirak, und nicht in die Türkei, also sein rein juristisches Herkunftsland. (für die Erläuterung des türkisch-kurdischen Konflikts bitte Suchmaschinen anwerfen, das spare ich mir der Einfachheit halber jetzt einmal)

im zeitlich zweiten Fall (der Kickl-Entlassung) wäre die Alternative gewesen: die lange diskutierte Abschaffung der Einstellungsweisung, die die Kickl-Entlassung überflüssig gemacht hätte.

Und jetzt zur Verfassung:

Im Falle, dass der Präsident im Alleingang vorgezogene Neuwahlen verkündet, sieht die Verfassung die Angabe eines Grundes vor; und er darf diesen Grund auch nur einmal verwenden. D.h. er darf nicht zweimal hintereinander aus dem selben Grund das Parlament auflösen und vorgezogene Neuwahlen ansetzen.

Wenn vorgezogene Neuwahlen auf andere Art und Weise zustande kommen, sieht die Verfassung keine Grundangabe vor. Die Argumentation/Begründung kann so absurd und verrückt sein, wie sie will; für die hingepfuschte Verfassung ist das völlig egal.

Kurz hätte auch sagen können: "Ich habe herausgefunden, dass Kickl ein bekiffter Ausserirdischer von Alpha Centauri ist und daher seine Entlassung durch den Bundespräsidenten vorgeschlagen" und auch diese Begründung wäre aus Sicht der Verfassung völlig in Ordnung gewesen.

Daher kann auch ein Willkürargument, das auf Jeden und Jede zutrifft, wie zum Beispiel in diesem Fall "möglicher zukünftiger Befangenheitsverdacht" ausreichend sein für Ministerentlassung und anschliessendes Platzen der Regierung.

Dass ein auf Willkür beruhender Ministerrauswurf gemäß der in alle Parteien gültigen "Wir lassen uns Keinen rausschiessen"-Devise ein Platzen der Regierung zur Folge hat, ist irgendwie logisch. Und man kann der FPÖ nicht den Vorwurf machen, hier sich keinen "rausschiessen" lassen zu wollen, weil alle anderen Parteien das genauso machten und machen. (Ich habe übrigens auch das Ansinnen von Vilimsky und Strolz, Pilz müsse das Parlament verlassen, auch aus diesem Grund kritisiert)

Der Grund, der laut meiner Reformvorstellung mitgeliefert werden sollte, sollte verschiedenen Kriterien entsprechen: er sollte zutreffend, unwillkürlich und präzise sein. Er sollte nicht vage, allgemeingültig (auf Jedermann gültig) sein.

Die Angabe des falschen Grunds verhindert auch Lernprozesse und schafft Konflikte, die für die Zukunft sehr problematische Folgen haben können.

Es stimmt zwar, dass schon vor vielen Jahrhunderten der damalige Kanzler Metternich sagte: "Der Balkan beginnt am Rennweg" (also in Österreich).

Aber wir sollten uns nicht damit zufrieden geben, auf ewig ein Balkanland mit Balkanzuständen und Balkanverfassung zu sein.

CC / Thomas Lawrence (1820-1825) https://de.wikipedia.org/wiki/Klemens_Wenzel_Lothar_von_Metternich#/media/File:Prince_Metternich_by_Lawrence.jpeg

Kanzler Metternich (Anfang des 19. Jahrhunderts): "Der Balkan beginnt am Rennweg / in Österreich".

Wollen wir, dass das ewig so bleibt, dass der Balkan in Österreich und mit Österreichs Verfassung beginnt ?

Oder wollen wir eine Verfassung, die rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht ?

Im Politik und Medien scheinen Fast Alle die FPÖ derart massiv zu hassen bzw. zu shitstormen, dass keiner merkt oder sagt, dass Kickl mithilfe eines puren Willkür-"Arguments", das auf Jeden zutrifft, aus dem Amt geschossen wurde.

Was uns sehr viel über die absolut lausigen Standards in Österreichs Politik und Medien sagt, die vielfach Balkan-Niveau haben und kein Demokratie&Rechtsstaats-Niveau.

P.S.: nur falls jemand auf die Idee kommt, mir Rassismus vorzuwerfen, weil ich hier den Begriff "Balkan" mit negativem Unterton verwende: ich habe selbst südslawische Vorfahren und bin daher selbst auf gewisse Weise Balkan und Balkankenner.

"Kickl muss weg! Egal, ob mit plausibler Begründung oder unplausibler." Linksextremismus auf den Strassen Wien, dem solche "Feinheiten", wie die, ob der Ablösungsgrund auf jeden zutrifft oder nicht, egal ist.

Auch verantwortungsethische Fragen nach dem "Danach" sind in ideologisch-verhärteten Gruppen egal. Die antimonarchistischen Demonstranten der späten 1970er Jahre wollten den Schah von Persien unbedingt weghaben, weil so dekadent, etc. Dass danach ein mörderisches Mullahregime kommen könnte, der Iran-Irak-Krieg und eine Serien sunnitisch-schiitischer Kriege bis hin zum Syrienkrieg, bedachten die antimonarchistischen Demonstranten nicht.

https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000138

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