Wien - Schlafstadt fast ohne nicht-städtische Arbeitsplätze ?

Die Stadtregierung von Wien hat einen neuen STEP (Stadtentwicklungsplan) erarbeiten lassen.

Es finden sich zahlreiche problematische Punkte, die ein mitunter verheerendes Bild auf die Ära Häupl werfen.

Das Vorwort stammt von Baustadträtin Vassilakou, die eigentlich Translationswissenschaft studiert hat, und daher ungeeignet zu sein scheint für das Bauressort. Aber der "Mafia-Pate von Wien", Michael Häupl (das ist gemeint in Anlehnung an die Wortwahl von SPÖ-Vorsitzendem und Ex-Kanzler Christian Kern, der Erwin Pröll als "Paten von St. Pölten" bezeichnete), vertrat die Auffassung, die Grünen sollen nicht gegen Bauprojekte opponieren, und eben deswegen müsse eine Translationswissenschafterin das Bauressort übernehmen. Kein Wunder, dass der geschasste frühere Baustadtrat Rudolf Schicker, selbst Diplomingenieur für Bauwesen, jahrelang vor Wut schäumte, das Ressort an eine Branchenfremde verloren zu haben.

Vassilakou behauptet, es zeichne sich seit Jahren ein Trend ab, dass Industrie und Handel wieder in die Städte zurückkehren.

Das mag ja für andere Städte zutreffen, aber für Wien offensichtlich nicht: die Shopping City Süd und das Niemetz-Werk in meiner unmittelbaren Nachbarschaft sind Beispiele für Abwanderung nach Niederösterreich, nicht für Rückkehr nach Wien.

Das neue Konzept der "produktiven Stadt" kann auch gesehen werden als eine Absage an das frühere Konzept der "Smart City". Das frühere und offensichtlich neuerdings als gescheitert betrachtete Konzept der "Smart City" hiess - polemisch gesagt: "Is uns wurscht, ob Handel und Industrie abwandern - Hauptsache, die Wissenschaft bleibt und die HighTech"; das BiotechCenter in Wien, Landstrasse ist ein Beispiel dafür (sorry, dass ich viel über meine Umgebung spreche, aber über die eigene Umgebung weiß man halt oft besser Bescheid).

Die nach Niederösterreich abgewanderte Niemetz-Fabrik für das, was man früher politisch unkorrekt Schwedenbomben (angeblich zu militaristisch) oder Negerküsse (angeblich zu rassistisch) nannte, und heute, im politisch-überkorrekten Zeitalter "Schaumsüssigkeitenware" oder so ähnlich genannt werden muss, hatte natürlich zahlreiche Gründe, abzuwandern: hauptsächlich erstens die in Wien hohen Kommunalsteuern und Kommunalgebühren und zweitens die Unmöglichkeit, zu erweitern. Gerade die Niemetz-Fabrik wäre stadtkompatibel gewesen: kaum Abgase und Lärm. Aber für Antikapitalisten oder StaatsMonopolKapitalismus-BefürworterInnen muss kapitalistische, privatwirtschaftliche Fabrik natürlich von vornherein böse sein.

Der Teufelskreis, in dem sich Wiener Industrie und Wiener Stadtpolitik jahrzehntelang befanden, war: je mehr Wiener Betriebe abwandern, umso heftiger glaubte die Stadtregierung, die Kommunalsteuern und Kommunalgebühren erhöhen zu müssen, und je höher die Stadtregierung glaubte, die Kommunalsteuern und -abgaben erhöhen zu müssen, umso mehr Wiener Betriebe wanderten ab.

Ein weiterer großer Fehler des inzwischen gekübelten Smart-City-Konzepts (passend zum Frühjahrputz-Motto "Der Dreck muss weg!" ) war die absolute Unvereinbarkeit mit der Zuwanderungspolitik.

Große Mengen ungebildeter bzw. schlecht ausgebildeter Flüchtlinge, welcher Art auch immer (Kriegs- oder Wirtschafts-), aufzunehmen, während das Smart-City-Konzept eigentlich Hochgebildete erfordert hätte, war ein Fehler, den die allmächtige Stadt-SPÖ wegen der vielfach willfährigen Journalistenmeute gekonnt zu vertuschen vermochte, galt es doch laut SPÖ-Rhetorik, Strache als Bürgermeister zu verhindern, weshalb alle Journalisten und -innen, ziemlich sinnfrei (mit Ausnahme von parteipropagandistischen Standpunkten) gemeinsam mit den Gemeindebediensteten in einer neu herbeifusionierten Teilgewerkschaft, Younion, geparkt und bevormundet wurden, und um Strache zu verhindern, müssen alle Missstände der SPÖ-Politik vertuscht werden.

Ausreichend Flächen für die Industrie (und auch für den Handel) zur Verfügung zu stellen, ist ja eine nette Idee, hat aber zahlreiche Haken: erstens ist es falsch, nach Abwanderung der Betriebe den Platz zur Verfügung zu stellen, den sie vorher gebraucht hätten, um zu bleiben. Jetzt, nachdem das Kind bereits mit dem Bade ausgeschüttet wurde, ist es halt umso schwerer, das Kind mit verschüttetem Wasser wieder in die Wanne zurückzubekommen: ein Entropie-Problem, ähnlich dem Problem, die zuviel aus der Tube gedrückte Zahnpasta wieder in die Tube zurückzubekommen.

Groß lobt sich der STEP 2025 für "Paradigmenwechsel: Integrieren statt Verdrängen"; allerdings bedeutet Paradigmenwechsel auch: "In den letzten 30 Jahren haben wir alles falsch gemacht, ab jetzt machen wir genau das Gegenteil dessen, was wir früher gemacht haben."

Normalerweise ist so ein Eingeständnis des Scheitern ein gefundenes Fressen für jede Oppositionspartei, und genau das ist vielleicht ein Grund, warum die Langversion des STEP 2025 underreported ist.

Ein echter Hammer ist die Bilanz auf Seite 23: "Die Stadt (Wien) importierte im Jahr 2015 Waren im Wert von rund 33.8 Mrd. Euro. Der Wert der ausgeführten Waren bezifferte sich in diesem Jahr auf rund 18.6 Mrd. Euro. Es kam zu einem Importüberschuss von rund 15.2 Mrd. Euro."

Die Formulierung "Importüberschuss" ist aus meiner Sicht ein ernstzunehmender Kandidat für das "Unwort des Jahres". Jeder normale Wirtschaftswissenschafter und jede normale Wirtschaftswissenschaftlerin würde hier von einem "Handelbilanzdefizit" sprechen. Aber Wien ist bekanntlich anders, anders als normal, anders als wissenschaftlich. Daher hat das in der Wissenschaft gebräuchliche Wort "Handelsbilanzdefizit" in Wien Verwendungsverbot, alleine schon deswegen, weil Defizit so negativ klingt. Viel besser klingt für durchgeknallte Propagandaapparate "Importüberschuss". "Überschuss" klingt nach Luxus, immer gut, passt zur Stadt mit der angeblich höchsten Lebensqualität.

Dieses Konzept ist durchaus erweiterbar: in Zukunft wird man wohl nicht mehr von "Bildungsdefiziten" oder von "Bildungsmängeln" sprechen, sondern von "Unbildungsüberschüssen". Klingt gleich viel positiver, obwohl´s dasselbe ist.

Aber zurück zum Handelbilanzdefizit der Stadt Wien: hier geht es nicht um ein klitzekleines Defizit, sondern um ein riesiges: die Importe sind fast doppelt so groß wie die Exporte.

Wäre Wien ein Staat mit einer eigenen Währung, so müßte Wien entweder den Staatsbankrott erklären, oder die eigene Währung massiv abwerten.

Aber zum Glück oder leider ist Wien kein eigener Staat, der den Staatsbankrott erklären kann oder die eigene Währung massiv abwerten kann. Die alternative Methodik des Roten Wien, anstelle von Staatsbankrott oder Währungsabwertung mit diesem riesigen Handelbilanzdefizit - äh, nein, um Shitstorms der SPÖ-nibelungentreuen Journaille zu entgehen, muss ich ja "Importüberschuss" sagen - umzugehen, ist bzw. war: mit aller Macht sich an die Beteiligung an der Bundesregierung zu klammern (Häupl beim Parteitag: "Es ist Alles zu tun, um Schwarz-Blau zu verhindern" ), um über den Finanzausgleich der Länder das zu kompensieren, was man auf Ebene der Marktwirtschaft verliert.

Seite 35: Als Trend für die Beschäftigungsentwicklungs in Wien wird kurioserweise unter dem Kapitel "Technologischer Wandel" "internetgestützte Sharing Economy, z.B. Airbnb, Uber" gepriesen, genau das Uber, das erstens als prekäre Beschäftigung kritisiert werden kann und das zweitens gerade Fahr- und Beförderungsverbot in Österreich erhalten hat, nach einer Klage der Taxifahrerinnung.

Auch im Kapitel "Konjunkturentwicklung und Wohlfahrtsstaat" geht der STEP mMn in die falsche Richtung: "Jährliches BIP-Wachstum: d.h. reicht Wirtschaftswachstum, um Beschäftigung zu sichern ?" lautet die Frage im STEP.

Die Zukunft ist aber ungewiss, wie die STEP-Verfasser und - Abnicker hätten wissen müssen, wenn sie ihn gelesen hätten. Vielleicht reicht das zukünftige Wirtschaftswachstum, um Beschäftigung zu sichern, vielleicht aber auch nicht.

Soll damit suggeriert und nahegelegt werden, die Politik sei ähnlich wie im Füllhornsozialismus allmächtig und könne die Wirtschaft ankurbeln, so als wäre sie ein Oldtimer mit Startkurbel, die man vorne reinstecken und drehen muss ? Gerade bei einer kleinen Volkswirtschaft wie der österreichischen verpuffen solche Konjunkturankurbelungsversuche, wie sie die Linke regelmässig versucht, in einer Erhöhung der Verschuldung, einer Verschlechterung der Handelsbilanz und in einer Ankurbelung der AUSLÄNDISCHEN Wirtschaft ohne verhältnismäßigen und rechtfertigbaren Effekt im Inland.

Oder hat diese Passage eine reine Ausredenfunktion: falls sich die Beschäftigung verschlechtert, die Arbeitslosigkeit massiv steigt, alles den Bach runter geht, sind nicht wir Politiker und -innen schuld, sondern eben das böse Wirtschaftswachstum, das in diesem Falle nicht hoch genug war.

Wozu man dann überhaupt noch Politik braucht, wenn Politiker und -innen sich dann sowieso immer auf das zu geringe Wirtschaftswachstum herausreden, das an allem schuld sei, bestätigt das Reich-Ranicki-Diktum: "So sehen wir betroffen, die Zeit ist aus, und alle Fragen blieben offen".

Auch dass Technologien automatisch zu Stadtwachstum führe, wie im STEP behauptet, ist eine fragwürdige Annahme: neue Technologien (wie das Internet) bringen den früheren Vorteil der Stadt zum Verschwinden.

Es stimmt zwar, dass - wie im STEP behauptet - global gesehen ein Trend zur Verstädterung existiert, aber eben deswegen, weil in der weniger entwickelten Welt der technologische Unterschied zwischen Stadt und Land noch größer ist als in Europa.

Über die (potenziellen) negativen Aspekte des Bevölkerungswachstum der Stadt Wien breitet der STEP den Mantel des Schweigens: höhere Mieten, schwerer zugängliche Wohnungen. Phänomene der Überbevölkerung.

Auch das Bekenntnis zur Agglomerationspolitik mit partnerschaftlicher Zusammenarbeit auch mit Niedriglohnregionen in der Slowakei beispielweise kann man problematisch sehen: aufgrund des niedrigeren Lohnniveaus in der Slowakei kann dadurch höhere Arbeitslosigkeit in Wien entstehen, auf die die Wiener Stadtregierungspolitiker dann sicher reagieren werden mit dem Allheilmittelsatz: "Das zu niedrige Wirtschaftswachstum ist schuld".

Na, klar, schuld sind immer die Anderen, am "besten" der tote Jörg Haider, der kann nicht mehr dagegenargumentieren, eben deswegen, weil er tot ist.

Interessant auch die Statistik mit den Erwerbstätigen nach Branche auf Seite 41:

überdurchschnittliche hohe Wachstumsraten von 2001 bis 2012 hatten

Beherbergung und Gastronomie mit 28.9%

Finanz- und Versicherungsdienstleistungen mit 26.1% (ein ähnlicher Trend, der die österreichische Linke und die AK / Arbeiterkammer an Maggie Thatcher und Tony Blair so kritisiert hat, die Ausrichtung an der Finanzwirtschaft; die Deindustrialisierung Wiens in der Ära Häupl ähnelt der Deindustrialisierung Großbritanniens in der Ära von Maggie Thatcher, die von der Österreichischen Linken als "Neoliberal " bezeichnet wird)

Öffentliche Verwaltung mit 15.8% (z.B. Landesbeamte)

Erziehung und Unterricht mit 27.7% (z.B. Landeslehrer)

Gesundheit und Soziales mit 24.4%

Kunst und Unterhaltung mit 33%

Freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen mit 28.4%

während unterdurchschnittliche Wachstumsraten in diesem Zeitraum hatten:

Sachgüterproduktion mit minus 1.3% (dieses Minus ist gar nicht so groß, aber wenn man die Zunahme der Bevölkerung um 10-15% mitberechnet, dann bedeutet das bereinigt ein Minus von ca. 15%)

Handel mit minus 13.2% (bei den oft geringen Gewinnspannen im Handel und den hohen Kommunalsteuern und -gebühren kein Wunder, dass Viele gezwungen sind, nach Niederösterreich abzuwandern)

Eine Betrachtungsweise dieser Daten fehlt im STEP: diese Daten stellen eine starke Schrumpfung des privaten Sektors (wegen Schrumpfung von Handel und Sachgüterproduktion im Vergleich zum Bevölkerungswachstum) und ein starkes Wachstum des öffentlichen Sektors dar (wegen Wachstum bei Verwaltung, Unterricht, Gesundheit, Sozialem und Kunst). Diese Verstaatlichung bzw. Verstadtlichung bedeutet auch für das Budget eine schwere Belastung.

Auch eine mögliche Katastrophe ist die Statistik auf Seite 42: das Arbeitsvolumen sei im Zeitraum von 2000 bis 2012 gleichgeblieben, aber die Anzahl der Erwerbstätigen um 12% gestiegen.

Eine mögliche Erklärung für dieses Auseinanderklaffen ist ein Anstieg der Teilzeitbeschäftigung.

Aber wenn man annimmt, dass die Teilzeitbeschäftigung in diesem Zeitraum konstant, also gleich, geblieben ist, so hiesse das, dass die Arbeitsproduktivität um 12% gesunken ist.

Was laut Benya-Formel (nach dem früheren ÖGB-Chef Anton Benya) eigentlich bedeuten hätte müssen, dass auch die Löhne und Gehälter um 12% hätten sinken müssen.

Die Abwanderungsprozesse von Handel, Gewerbe und Industrie nach Niederösterreich bei gleichzeitigem Bevölkerungswachstum in Wien stellen auch verkehrstechnisch ein Problem dar: durch diese gegenläufigen Prozesse verlängern sich die Wege zum Arbeitsplatz und damit auch die Umweltverschmutzung.

Gerade die langen Wege zwischen Wiener Wohnung und niederösterreichischem Arbeitsplatz sind zu Fuss oder durch Fahrrad nicht zu erledigen. Man braucht ein Auto, was der Willenbekundung der "Stärkung nachhaltiger Formen der Mobilität" (Seite 53) eigentlich widerspricht.

Einer grünen Stadtpartei kann sowas möglicherweise egal sein, sie kann ja immer noch davon ablenken, indem sie sich lautstark über Novomatic empört. Eine Firma, die gemäß der Vassilakou´schen Rhetorik eigentlich eine eigene Kategorie verdient haben müsste, so a la "Spielsuchtausbeutung". Aber nichts davon: wegen der Automatisierung läuft Novomatic möglicherweise unter "Freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen".

https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/strategien/step/step2025/veranstaltungen/

https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/strategien/step/step2025/kurzfassung/index.html

https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008379a.pdf

https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008500a.pdf

D. Knoflach

Der Dreck "Unpassende Daten" muß weg ! Das gescheiterte Konzept der "Smart City", das sich als Dreck erwiesen hat, muss weg ! Wien räumt auf ! Geringverdienender Menschendreck wird per Räumungsklage aus den Wohnungen geräumt. Frühjahrsputz macht´s möglich !

D. Knoflach

Schwedenbombenfabrik, alleine schon wegen des politisch-unkorrekten militaristischen Namens in Wien nicht willkommen, aber auch wegen fehlender Expansionsmöglichkeiten und hoher Kommunalsteuern und -gebühren abgewandert.

D. Knoflach

Laut Mercer-Studie (und nur dieser!) ist Wien angeblich die lebenswerteste Stadt der Welt für Führungskräfte, aber es gibt auch Andersdenkende.

D. Knoflach

Abriss des Gebäudes der Niemetz-Fabrik in Wien-Landstrasse; Schwedenbomben waren wohl zu wenig smart, um ins Smart City-Konzept der Wiener Stadtregierung zu passen. Nach erfolgreicher Vertreibung der Industrie versucht die Stadtregierung nun mehr oder weniger verzweifelt, sie wieder zurückzuholen.

P.S.: Wien ist als Sonderfall der österreichischen Verfassung Stadt, Gemeinde und Bundesland zugleich.

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gloriaviennae

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