Dies ist ein Kapitel aus dem „Buch der königlichen Kunst” von Bô Yin Râ (Josef Anton Schneiderfranken), Kober'sche Verlagsbuchhandlung Bern, ausgegraben für euch zu Ostern in Zeiten von Corona. Der Text ist auch mit Billigung von Kober sonstwo im Internet verfügbar und textgetreu hier wiedergegeben, weswegen ich annehme, daß ich nicht der Ursupierung geistigen Eigentums (im jeweiligen Sinne!) durch die Veröffentlichung auf dieser Plattform mich schuldig mache. Wenn doch, in der einen oder anderen Weise, dann sei's drum.

Habt trotz allem frohe Ostern!

Osternacht

Die Zinnen und Türme der Tempelstadt zeichnen zarte Schattenrisse in die vom Lichte des Vollmonds trunkene Luft.

Die Talweite ist erfüllt von silberschimmerndem Leuchten und über die kahlen Höhen des judäischen Gebirges legt es sich wie ein glänzender Reif.

Wir sind ferne der Stadtmauer und vor uns liegt ein Ölhain.

Wie eine graugrüne Wolke schmiegt er sich an den schroffen Absturz eines Hügels.

Nahe der senkrechten Felswand aber hat man eine Zeile ernster dunkler Bäume gepflanzt — man kann sehen, daß Menschenwille sie also setzte — und nun streben sie über die graugrüne Laubwolkenmasse empor wie eine Schar schwarzgepanzerter Wächter.

Es herrscht tiefste Stille.

Aber war es nicht eben wie eine weiße Gestalt, dort am Rande des Ölhains, wo lichte Schatten ihn von der Asphodeloshalde trennen? —

Doch! — Es bewegt sich dort etwas!

Ein Mensch!

Einer im weißen Gewande tritt behutsam hervor, hebt den Arm über die Augen, weil ihn wohl das Mondlicht blendet, und sucht sorglich das freie Gelände ab...

Nahebei führt ein Weg dem Gebirge zu.

Wie ein helles Seil, das einer achtlos fallen ließ, liegt der Weg da.

Man kann ihn gut mit dem Auge verfolgen, bis er auf mäßiger Höhe sich zwischen vorgelagerten Felsen verliert.

Der Späher sucht noch immer nach allen Seiten hin, aber er findet offenbar nichts, das ihn beunruhigen könnte.

Jetzt tritt er wieder in die blauen Schatten zurück und verschwindet unter den Ölbäumen.

Was wollte er nur?...

Aber schon sieht man wieder Weißes aufleuchten; doch diesmal müssen es Mehrere sein, denn gleichzeitig gewahrt man da und dort zwischen den gewundenen Stämmen einen weißen Fleck aufblinken und wieder verschwinden.

Eben tritt einer heraus ins Freie.

Nein, — noch einer!

Sie tragen etwas.

Es scheint eine schwere, kostbare Last zu sein...

Nun kommen noch zwei, und jetzt sieht man deutlich, daß es ein Mensch sein muß, oder gar eines Menschen Leichnam, den die Vier so behutsam zu bergen trachten.

Er ist auch in Weiß gehüllt wie sie selbst.

Was mag sich da nur ereignet haben? —

Jetzt haben sie lautlos die Asphodeloshalde durchschritten und sind auf den Weg gelangt.

Nun sieht man es noch deutlicher, daß sie einen der Ihren tragen.

Aber es muß ein Toter sein!

Unter seinen Knien haben sie eine lange Zeugbahn durchgezogen, die bis über der beiden Vorderen Schultern reicht.

Die beiden vorderen Träger halten mit beiden Händen das zusammengedrehte Tuch, das über ihren Schultern liegt, und sie tragen schwere Last.

Die zuletzt gehen, aber tragen den Oberkörper des Toten: — fassen ihn um den Rücken und unter den Armen.

Sein Haupt scheint zwischen ihren Schultern gestützt zu sein.

Es ist ein schweres Gehen für die Vier...

Nur langsam schreiten sie voran.

Nachdem sie schon geraume Weile gegangen sind und unseren Blicken undeutlicher werden, sieht man, daß sie vorsichtig Rast halten.

Man kann auch glauben, daß sie wieder das Gelände spähend durchforschen; aber auch während der Rast halten sie sorglichst ihren Toten in der gleichen Lage, in der sie ihn trugen seither.

Sie müssen ihn sehr geliebt haben, als er noch im Leben war! —

So trägt man keinen, den man nicht liebte!

Es ist Ehrfurcht in der Art, wie sie ihn tragen...

Sie sind weitergegangen.

Nun sind sie dem Gebirge schon sehr nahe.

Man sieht sie nur noch als etwas Weißes, das sich langsam fortbewegt, und wer sie vordem nicht gesehen hatte, würde sie schwerlich auf dem weißen Wege noch entdecken.

Jetzt biegen sie hinter die Felsen, die den Weg verschwinden lassen.

Nun sieht man nichts mehr von ihnen...

Silberflimmernd liegt das Licht des Mondes über dem Gelände.

Es ist wieder so, als ob der Weg noch niemals beschritten worden wäre...

Plötzlich ein wilder Schrei — von dorther, wo die dunkle Baumzeile über den Ölwald ragt!

Dann andere Schreie — ungebärdig wie lautes Fluchen tobender Kriegsknechte — und aus dem Dunkel leuchtet roter Fackelschein, der sich der Stadtmauer zu, gleich dem Getöse, rasch entfernt.

Man sah das Fackellicht nur, solange es die dunkle Felswand bestrahlte und die Zeile der schwarzen Bäume.

Dann wurde sein Schein völlig aufgesogen im hellen Mondlicht.

Nun war nichts mehr zu erkennen.

Den Weg zum Stadttor hin kann man hier nicht sehen, sonst müßte man wohl die roten Fackeln wieder im Schatten der Stadtmauer gewahren.

Aber man sieht auf dem kahlen Scherbenberg vor der Stadt drei Kreuzgalgen aufgerichtet.

An zweien scheinen noch die Gehängten sichtbar, aber es ist, als sei der dritte Galgen leer...

Ja, man kann es deutlich gewahren, daß er leer ist!

Es ist ja so hell in dieser Nacht.

Aber warum wurde er denn aufgerichtet?!

Es muß doch einer daran gehangen haben!

Weshalb der wohl abgenommen wurde? — —

War es vielleicht jener, den die weißen Männer davongetragen haben??

Dann wäre er aber schnell verendet, denn manchmal hängen sie noch tagelang dort, fast wie tot, bis sie plötzlich wie wilde Tiere aufheulen und man sieht, daß es mit ihnen doch noch nicht zu Ende ist.

Vielleicht war es einer, der nicht viel Schmerz ertragen konnte, oder einer, der schon fast gestorben war unter den Mißhandlungen der römischen Rotte, bevor sie ihn hängten...

Aber wie kommt es nur, daß man ihn herunternahm? —

In dem Ölhain herrscht wieder Ruhe.

Wir wollen hinübergehen und sehen, was dort den Grund solchen Lärmens gab.

Jetzt ist sicher niemand mehr dort.

Das ist ja kein Ölwald!

Das ist ja ein offener Garten eines Reichen!

Auf guten Wegen sind wir schon bis zu den dunklen hohen Bäumen gelangt.

Ist dort nicht eine Öffnung in die Felswand gemeißelt?

Wahrhaftig! — Es ist ein Grab!

Es ist dunkel hier, denn des Mondes Licht wird durch die Felswand aufgehalten und wir haben keine Leuchte.

Da scheint es tief hineinzugehen, aber man darf sich nicht vorwagen, will man nicht in einen verborgenen Abgrund stürzen.

Doch, da kommt ja wieder eine solche weiße Gestalt!!

Wer mag das sein?

Sicher der Besitzer des Gartens!

Aber was macht er nur zur Nachtzeit hier??...

„Seid ihr solche, die den suchen, den man hier begraben hatte?!”

„Nein, wir wissen von keinem, der hier begraben sein soll, — wir sahen nur, wie vier Männer, gleich dir gekleidet, einen Toten aus diesem Garten trugen, dem Gebirge zu, und wir hörten dann hier großen Lärm und sahen Fackelschein.”

„So bewahrt als euer Geheimnis, was ihr sehen durftet, — — aber wisset: der, den ihr hinaustragen saht, ist zwar seiner Marter erlegen, aber dennoch lebt er!”

„Wir sahen vordem, daß an einem der Galgen auf dem Scherbenberge keiner mehr hängt, und muß doch einer dort gehangen haben. — Ist es etwa der gewesen, von dem du sprichst?!”

„Der war es! — Und er ist mein Bruder! — Und die ihr ihn tragen saht, waren meine und seine Brüder! —”

„O, warum wurde er dann gerichtet?! — Du siehst wahrhaftig nicht aus, als wenn du eines Räubers und Mörders Bruder wärest! — —”

„Weil er die Menschen aus dem Tode löste, und weil die ewig Toten Rache heischten!”

„Das sind uns ferne Worte, seltsam zu hören, aber du redest so, daß man dir glauben muß.

Weshalb aber war der Lärm, den wir vordem hörten? —”

„Das waren die Wächter, die wir in magischen Schlaf bannten, um unseres Bruders Erdenleichnam holen zu können, der für kurze Zeit in diesem Grabe ruhte, auf des reichen Freundes Bitte, die der Mächtige in dieser Stadt gewährte.

Sie sollten das Grab bewachen, und als ich sie erweckte, so als ob ich des Weges gekommen sei und nicht wüßte, weshalb sie hier schliefen, zündeten sie ihre Fackeln an, fanden das Grab geöffnet und leer.

Darum ihr wüstes Schelten!

Nun suchen sie in der Stadt nach denen, die das Grab geöffnet haben könnten und möchten den Leichnam finden.

Ich aber bleibe hier, um die Freunde und Schüler des Bruders zu trösten, wenn sie kommen werden, vor seinem Grabe zu klagen.

Ich bleibe hier, um ihnen zu sagen, daß er lebt!”

„Aber wir sahen doch, wie deine Brüder seinen Leichnam von dannen trugen!”

„Dennoch lebt er, dem dieser Leichnam Kleid und Hülle war, solange er Kleid und Hülle brauchte um denen, die nur Kleid und Hülle sehen, den Geist zu offenbaren! —”

„Wenn du Wahrheit redest, so sage auch uns denn, wo dieser Lebende zu finden ist, denn du redest wie von einem, den man suchen möchte, und müßte man auch wandern bis an der Erde Grenzen! — —”

„In euch selbst!”

Und während wir verwundert uns ansahen, nicht wissend, was diese Worte besagen wollten, war der Weißgekleidete von uns gegangen ehe wir es bemerkten, und als wir nach ihm riefen, erhielten wir keinerlei Antwort...

Erst in späteren Tagen wurde uns Licht gegeben und wir sahen den Lebenden und wir erfaßten seine hohe Lehre und er war von da an in uns selbst!

Während der Weißgekleidete da zu den Fragenden gesprochen hatte, warteten zwei seiner Brüder in einer nicht allzufernen Felsenschlucht im Gebirge auf jene anderen vier, die den Leichnam des Bruders brachten.

Die Wartenden hatten Holz und Reisig herbeigetragen und hochgeschichtet, so daß der Leichnam darauf ruhen konnte.

Nun sahen sie die Träger herannahen und eilten den Ermüdeten entgegen, um ihnen tragen zu helfen.

Erschüttert — in worteloser Ergriffenheit — hoben die sechs Männer den Leichnam des Bruders, dessen Werk vollbracht war, auf den Holzstoß und übergaben ihn der am Steine entzündeten Flamme...

Von der Ferne her konnte man kaum eine leise Rauchspur gewahren, die sich mählig über dem Gebirge verzog, als schon die Strahlen des ersten Frührots die Höhenrücken färbten.

Der wahrhaft Auferstandene aber hatte alles so gewollt, und seine Brüder hatten nur getan nach seinem Geheiß.

Es sollten seines Erdenleibes modernde Reste nicht die Auferstehung hindern, die er in der Seinen Seelen sich bereitet hatte. — —

Er aber war nun von allem gelöst, was nicht des Geistes war an ihm, und frei geworden, war er nur mehr seiner geistigen Gestalt bewußt, — nicht wissend mehr die Unbill, die dem Erdenleibe widerfahren war.

Selbst auferstanden in seiner Geistgestalt, ist er seit jenen Tagen in der Geistessphäre dieser Erde in erhöhtem Leben, allen Auferstehung, die in Tat und Leben seiner Lehre wahre Jünger sind. —

So lebt er mitten unter den Seinen wie er einst verheißen hatte: — „bis ans Ende der Welt!”

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pirandello

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