"Ach guck", sagte ich, als ich nach dem Gassi-Gehen wieder zur Haustür kam. Eine völlig bescheuerte Anweisung, wie ich sofort bemerkte, denn ich guckte ja bereits. Was aber sah ich? was guckte da am Fahrrad vorbei neben dem festen Fahrrad-Ständer? Zwei Schopftintlinge¹, noch relativ jung.

Bis hierher war alles noch in Ordnung. Ich ging mit Hund ins Haus, gab ihr Futter und kam ohne Hund wieder heraus, aber mit Messer. Damit schnitt ich die Tintlinge ab und freute mich schon auf eine leckere Pilzmahlzeit. Pilze von einem Parkplatz? mag jemand einwenden, wie unhy - Leute, ich hab einen Hund, okay?

Seltsam wurde es, als dieser Hausen² durch mein Dachfenster im 2. Stock geflogen kam. Flatsch, lag er da im Wohnzimmer. Er war relativ klein, knapp einen halben Meter lang, entweder sehr erschöpft von der Fliegerei oder schon tot. Jedenfalls rührte er sich nicht. Er atmete nicht - klar, schloß ich scharfsinnig, der hat ja auch Kiemen, nachdem sich der Spiegel nicht beschlug, den ich ihm vors Maul hielt.

Ich schaute nach draußen ob in der Nachbarschaft eine Schlägerei zwischen Schmied und Fischhändler - nix. Die Gegend so langweilig wie immer. "Nun gut", sagte ich diesmal, was nicht bedeutete, das sei so, sondern: das Nachdenken ist beendet. Ich sage immer öfter "ach guck" und später "nun gut". Das hab ich mir von gesunden Mitmenschen abgeguckt, bei denen das Nachdenken regelmäßig lange beendet ist bevor das "nun gut" hinterherplätschert. Ich hingegen sagte mit Absicht: "nun gut".

Pilze am Fahrrad-Parkplatz, ein Fisch fliegt durchs Fenster, na und. Dann gibts eben Schopf mit Stör, auch nicht schlecht. Ich wollte keinen Verdacht schöpfen. Aber mich ärgerte sogleich, daß ich den Kalauer "was Stört mich da mitten im Hausen?" in diese Geschichte nicht würde einbauen können.

Dann fing der Hausen, leblos wie er war, allmählich zu wachsen an, erst langsam, dann immer schneller, bis er mit stolzen über sechs Metern Länge diagonal durch die ganze Bude lag. "Was soll ich denn jetzt machen", jammerte ich leise, "ich hab doch vor lauter Schreck gar keine Kühltruhe, und wenn, dann würde der da ganz gewiß nicht reinpassen."

Es klingelte, und die ersten Gäste kamen. Ich hatte niemanden eingeladen gehabt und weiß nicht, was sie hierher führte. Die fehlenden Tintlinge? der Fischgeruch? Schnell vollzog ich den üblichen Binär-Trick mit den Fingern und war sicher: es war noch nicht mein Sechzigster. Ich war nicht mal ärgerlich wie sonst, wenn eine ungebetene Horde Besucher mich überfällt, denn die Schraten kamen mir gerade recht. Sollten sie doch den Hausen schmausen.

"Oh, ein Waller! Wie schön!" - "Nein" erwiderte ich, "es handelt sich nicht um einen Wels, sondern um einen Hausen aus der Familie der Störe, welche einen der kompliziertesten Kariotypen aller Wirbeltiere aufweisen..." - "Toll!" unterbrach mich einer. Das war sowas wie "na gut", aber in anderer Funktion. Ich verstand sofort und schickte das Lehrerskind in mir zum Spielen.

"Sind wir hier richtig bei der Corona-Party?" fragte ein Anderer. Wieder mußte ich verneinen. Corona käme mir nicht ins Haus, bei mir müsse man mit Rotwein und Weißbier vorlieb nehmen, was ich aber grad auch nicht da hätte. "Bringt's euer Saufzeugs selber mit und saufts einem alten Genie nicht den Esprit vom Hirn!" Diesmal verstanden die Anderen, und ein Trupp machte sich unverzüglich auf die Jagd nach Alkoholika, kam alsbald mit ansehnlicher Beute zurück.

"Bei mir könnt's ihr einen Hausen schmausen, ohne daß euch beim Schmausen und Hausen irgendwer Stört!" rief ich. Der Kalauer zündete nicht. "Kommt, laßt uns das Viech mal aufheben." - "Wohin denn?" - ich brachte Holzböcke bei, keine Zecken, die Anderen. Es war ein schweres Gewürche das in glitschigen Flüchen unterging, erfolglos. Da klingelte es Sturm. Unwahrscheinlich, aber denkbar: vor meinem Fenster schwebten Holzbalken. Die hingen an einem Autokran. Neben dem Autokran stand meine Schwester und fuchtelte.

"Wieso kommst du nicht auf die Baustelle und machst den Schuppen fertig? Dann bring ich dir die Arbeit halt nach hause!" Irgendwie zogen wir die Balken in die Bude, legten IKEA-Regalbretter quer, wälzten den Fisch da drauf und hoben alles auf die Böcke. Schweißglänzende Freude auf den Gesichtern. "So, jetzt könn mer Grillen!" sagte Einer und setzte nach kurzer Pause hinzu: "aber wie?"

"Kein Problem!" erwiderte ich, wie immer, wenn das Problem in was ganz Anderem bestand. Flugs verteilte ich Bügeleisen an die Gäste. Mancher wird sich nun fragen, wie jemand zu einer Meute Bügeleisen kömmt - das ist schnell erklärt: wenn Bügeln nicht chronisch ist sondern nur anfallsmäßig sporadisch auftritt, dann ist das Eisen zum Bügelanfall unauffindbar. Man geht los und kauft sich ein Neues. Danach kommt das Bügeleisen zu den Anderen ins g'schamige Versteck, das man alsbald wieder vergißt. In der verkommensten Bude gibt es das meiste Putzzeugs. "Guck mal da," weise ich auf paar blinde Fenster, "da gibt's mindestens 30 Sprühflaschen Scheibenreiniger dahinter."

Jedenfalls war es ein Gebügele und Gebrutzele wie es nur ein Gebügele und Gebrutzele sein kann an einem herbeigeflogenen Hausen. Man stellte das Eisen auf "Leinen", das reichte nicht, dann fanden die technik-affinen Nerds heraus, wie man den Thermostat brückt, und bald schmorte sich ein Jeder an ausgesuchter Stelle in den Fisch, durch den Fisch und wieder retour. Die Lärchendielen waren voller Fischtran und glänzten dankbar.

Zeit, nach den Schopftintlingen zu sehen. Potzblitz, waren die groß! Jeder so lang wie ein "Marktschirm" vom Kaufland für fuffzig Euro! Logisch, wenn der Hausen wächst, dann muß der Tintling mit, keine Frage. Aber wie zubereiten? So große Pfannen hab ich nicht.

Da erscholl lautes Juchzen aus der Küche. "Guck mal, der hat kein Corona, aber was dagegen!" Meine schmaler Vorrat Birkenporlinge war entdeckt, und die waren - logisch - mit den Tintlingen ins Riesenhafte gewachsen. Und jetzt haben die Bratzen doch tatsächlich den ganzen Vorrat in meinen größten Kessel gekippt und fingen an, Porlingtee in der Größenordnung "Glühwein für Alle auf dem Weihnachtsmarkt" zu kochen!

Jetzt war's mir zuviel. "Nix gut!" sagte ich mir, damit das Denken wieder in Gang kommt. Ein Verdacht beschlich mich. Ich ging ins Arbeitszimmer und warf einen Blick auf f+f - und was sah ich? Obwohl mein Beitrag noch gar nicht veröffentlicht war, gab es darunter schon einen Kommentar von Bachatero mit fundierten Infos zu Birkenporlingen, der schon um 79tausend grüne Daumen eingesammelt hatte. Ach guck.

Ich ließ mir nichts anmerken, bin ja kein Spielverderber. "Räumt's hinterher wieder auf und nehmt's euer Gelump mit! Und packt's den Restfisch ein!" rief ich den Anderen zu und machte mich ins Bett. Vor dem Einschlafen dacht ich mir:

Mei, bist du deppert. Läßt dich reinlegen von nem fliegenden Fisch, der auch noch wächst wenn er tot ist. Und den man mit nem Bügeleisen braten kann! Und das ganze nur, weil du einmal zu früh "na gut" gesagt hast.

Als ich wieder aufwachte, war alles wie vorher, keine Spur eines wüsten Gelages. Nur die Tintlinge, die sind zerfallen während ich das hier schrieb. Man soll Tintlinge sofort nach der Ernte zubereiten, die halten sich nicht. Aber die beiden waren ja eh vom Parkplatz und deshalb sowieso Pfui.

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¹) ein Pilz

²) so'n Kaviar-Fisch

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