„Be happy“… Diese Aufforderung – mit dem Finger aufs dreckverschmierte Fensterglas gekritzelt - könnte wie purer Hohn wirken. Eisig kalt ist es hier nämlich in Dharamkot im indischen Himalayagebiet. Dass die spärlich zusammengehaltenen Holzhütten nicht beheizt werden, tut sein Übriges. Besonders abends, wenn mich die Regentropfen in den Schlaf begleiten, kriecht die nasse Kälte in meinen Schlafsack. Als wäre das nicht genug, sind wir hier nicht allein …

„Beware of the Monkeys”, dieses Schild ist eines der ersten Dinge, die ich sehe. Dass wir uns hier nämlich in einem Affenwald befinden, das hatte ich bis jetzt offenbar erfolgreich verdrängt. Daraus wird jetzt aber nichts mehr: „Schaut den Affen nicht in die Augen”, so die Warnung vor den über 50 Klettertieren im Wald, „zeigt keine Zähne, belästigt sie nicht, dann werden sie euch auch in Ruhe lassen.”

Klingt kaum nach idealen Voraussetzungen zum Glücklichsein. Und doch bin ich es. Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass sich meine Mundwinkel zu einem breiten Grinsen verziehen und Glücksgefühle duch meinen Körper strömen. Kein Zweifel:

Vipassana wirkt! Um diese Meditationstechnik zu lernen, befinde ich mich nämlich mit sechzig anderen Frauen und Männer im indischen Dharamkot. Zehn Tage lang heißt es von 4.30 Uhr früh bis 21.00 Uhr abends meditieren und in sich gehen. Schweigend, ohne mit den Mitmeditierenden zu sprechen, ohne ein Buch zu lesen, ohne Musik zu hören, ohne zu telefonieren und auch ohne Notizen zu machen, denn Handies, Laptop, Stifte, Blöcke, … kurz, jede Ablenkung wird am Eingang abgegeben.

Wer tut sich sowas an? Und um Himmels willen warum?

Diese Fragen sind mir wohl vertraut. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich mich mit der Meditationsform beschäftige, die Siddharta Gautama Buddha als Weg zur Erleuchtung gelehrt hat und die übersetzt soviel heißt wie „die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind". Es wird auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Zu verlockend ist das Versprechen, das uns S.N. Goenka (der charmant un-guru-artige Vipassana-Lehrer) gibt: „Euch steht eine tiefschürfende Operation bevor”, erklärt er uns am Abend in einer der ab sofort täglich stattfindenden Videobotschaften, die zum Abschluss des Tages gezeigt werden. „Der Sinn des Lebens ist, aus dem Elend herauszukommen", meint er weiter, "wenn du die Negativität entfernst, bleibt nur das Positive, Klare, Reine. Du fühlst dich friedlich und glücklich.“ Mit einem Buddha-Lächeln sitzt er uns auf der Leinwand gegenüber, der gebürtige Burmese, der Vipassana in Indien und der ganzen Welt bekannt gemacht hat. Mit sonorer Stimme, schier durch den Bildschirm auf uns zukriechender Wärme und unwiderstehlicher Geduld bringt er uns die Technik näher, durch die Buddha und andere Praktizierende nach ihm zur Erleuchtung gefunden hat.

Die Erleuchtung, hach, die ist auch das “final goal” von uns rund vierzig Frauen und zwanzig Männern aller Nationalitäten sowie sämtlicher Alters- und sozialer Stufen, die sich hier in strikter Geschlechtertrennung versammelt haben. Aber zuerst einmal steht das Ziel im Vordergrund, die nächsten zehn Tage durchzuhalten – und das Ziel ist schon groß genug …

"Auch wenn Ihr wolltet, könntet Ihr keine Notizen zu Euren Gedanken machen”, S.N. Goenka durchschaut uns alle, “sie sind so sprunghaft wie Affen, die sich von einem Ast zum Nächsten schwingen. Unfassbar.” Er weiß, wovon er spricht. Tatsächlich haben wir in den ersten drei Tagen unsere Schwierigkeiten damit, die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was im Zentrum stehen sollte: Die Beobachtung unseres Atems. Eine einfache Übung?! Na klar! Statt mein Ein- und Ausatmen wahrzunehmen habe ich in den Tagen wohl sämtliche Diskussionen und Streitgespräche meiner Beziehungen erneut durchgelebt, die besten Ideen für ein ach so revolutionäres Produkt gewälzt und darüber nachgegrübelt, ob meine selbstgestrickte Haube zuhause im Kleiderkasten liegt oder doch verloren gegangen ist …

Nach der Vorbereitung mit Atemübungen wird am vierten Tag die Vipassana-Technik beigebracht. Bei der Meditation geht darum, Empfindungen - Schmerzen, Zwicken, Zwacken, Brennen, Jucken, Hitze - am Körper wahrzunehmen und diese zu beobachten. Ohne zu reagieren, ohne aus dem Gleichgewicht zu gelangen. Schließlich ist alles vergänglich.

Klingt logisch – solange nicht mein Fuß einschläft. Das macht er im Lotus gern und oft. Ein Gefühl, das ich hasse und bei dem ich sofort Stellung wechseln muss aus unerfindlicher Panik, dass mein Fuß abfällt. Nicht diesmal. Diesmal bleibe ich sitzen, bewege mich nicht, schaffe es ausgeglichen zu bleiben und nicht in Angst zu verfallen. Und tatsächlich: Mein Fuß “erwacht” wieder, ohne dass ich etwas mache. Ein unglaubliches Gefühl der Leichtigkeit, der Freiheit, der Erkenntnis durchströmt meinen Körper: Alles ist ständiges Entstehen und Vergehen, ich habe es am eigenen Leib erfahren! Das zu erleben und so sein Verhalten kontrollieren zu lernen, genau das ist das Ziel von Vipassana. Dafür braucht es natürlich mehr als diesen 10 Tage-Crashkurs, die tägliche Praxis des Meditierens ist gefordert.

„Solange wir nach etwas verlangen oder etwas vermeiden wollen, solange können wir nicht glücklich sein“, hat schon Buddha vor über 2.500 Jahren als Grund für das menschliche Unglück herausgefunden. Es macht ja auch keinen Sinn, Gefühle oder Situationen abzulehnen oder zu ersehnen, wenn sie ohnehin nicht von Dauer sind.

Oft sind es nur ein paar Sekunden, in denen wir Mediations-Schüler es erspüren: Das pure Glück und den Frieden des Moments, so wie er ist. Es ist ein Gefühl der Leichtigkeit, das mich wieder an die indischen Affen erinnert, die über uns auf den Wellblechdächern toben. Absichtslos, grundlos, verspielt, spontan, frei. Und garantiert nicht dafür geeignet, es in einen Käfig zu sperren und festzuhalten!

Himachal Vipassana Center Dharamkot,PO: McLeod Ganj – 176219, Dharamsala, Distt. Kangra. Himachal Pradesh, India. Telefon: [91] 92184-14051 , [91] 92184-14050 (Office hours: Montag – Samstag 4-5pm), E-mail: info@sikhara.dhamma.org.Infos und Bewerbung für alle Kurse weltweit unter www.dhamma.org

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