„Welche, die echte Flüchtlinge sind, und sich integrieren, die sind ja eh okay.“ Nein, genau die versucht man, mit allen Mitteln loszuwerden.

Ich bin müde, ausgelaugt, und nervös. Gerne wird ja behauptet, Gutmenschen hätten wohl nichts Besseres zu tun, sollten lieber arbeiten gehen. Der Vorwurf mit dem Nichtarbeiten ist eine ziemliche Beleidigung, aber nehmen wir einfach die Freizeit her – hätte man da nichts Besseres zu tun? Das frage ich mich eigentlich oft. Mir ginge es gut, ohne mich mit den Problemen junger Afghanen zu beschäftigen. Ich hätte in meiner Freizeit alles Mögliche zu tun. Ich könnte Blumenkisten im frühlingshaften Sonnenschein arrangieren, ich könnte shoppen gehen, ich könnte endlich einmal wieder auf Urlaub fahren, ich könnte eines der Bücher auf dem bald schon wackeligen Stapel der ungelesenen Exemplare lesen. Wie blöd müsste ich also sein, stattdessen Deutsch zu üben, Kurse zu suchen, kiloweise Bananen zu verschenken und mich fast täglich auf Bildern mit Gräueltaten in den Heimatstädten zu konfrontieren – wenn die betreffenden Asylwerber nicht nett und freundlich wären, wenn man nicht sehen würde, dass es Erfolg hat, dass sie lernen, Integration stattfindet, sie aufblühen? Meine im Plädoyer geschilderten Erfahrungen mit Asylwerbern haben heute die gleiche Gültigkeit wie vor einem Jahr.

Aber möglicherweise ist all die Anstrengung umsonst. Es hält sich ja auch hartnäckig das Gerücht, Gutmenschen müssten alle Islamfans sein, die sich auf der Nase herumtanzen lassen. Im Gegenteil, Gutmenschen treten Asylwerbern in den Hintern, damit sie unsere Gepflogenheiten von Terminvereinbarung und Pünktlichkeit verstehen. Man kann sehr wohl einen muslimischen Flüchtling bei sich aufnehmen und gleichzeitig gegen die Burka sein. Ich glaube sogar, dass diese Kombination recht häufig vertreten ist. Es ist ja fast schon ironisch, dass besorgte Bürger und Rechte den Asylwerbern die Erhaltung und Stärkung ihrer Herkunftskultur regelrecht zugestehen, da sie immer wieder bekräftigen, dass die Neuankömmlinge kein Stück davon abrücken würden – während Gutmenschen Asylwerber dazu bringen, immer Deutsch statt der Muttersprache zu sprechen und österreichische Bräuche und Traditionen ausgeprägt zelebrieren, weil sie diese den Asylwerbern so gerne zeigen möchten. Jahrmarkt, Nikolo, Adventkranzbinden, Weihnachten, Fasching – das volle Programm, doppelt und dreifach veranstaltet! Hurra, bald kommt Ostern… exakt zum Frühlingsbeginn ist übrigens das persische Neujahr, da gibt es zum Beispiel bunt gefärbte Eier (wie befremdlich!)

Aber warum bin ich müde, ausgelaugt und nervös? Ist das die Schuld der Asylwerber? Dass man mehr Anstrengungen hat, wenn man mit Teenagern lernt, ihnen Beschäftigungen wie Sport und Gemeinschaftsaktivitäten, mögliche Ausbildungsangebote sucht – während sie nach zwei Jahren noch nicht arbeiten dürfen – liegt auf der Hand. Belastend wird es aber erst dann, wenn man von einheimischen Mitbürgern dazu befragt wird, was man von einem Vergewaltigungsfall hält. Als ob das Unterrichten der deutschen Sprache bedeuten würde, dass man Verbrechen in Ordnung findet. Ist das nicht doch ein wenig an den Haaren herbeigezogen? Ist es wirklich notwendig, weil man mit Asylwerbern Karten spielt, anderen Österreichern zu erläutern, dass man deshalb trotzdem schrecklich findet, wenn ein Terrorist einen Anschlag verübt? Und man kann vielleicht davon ausgehen, dass dies für die Asylwerber genauso zutrifft, sonst hätten sie sich ja gleich in ihrer Heimat einer der Terrororganisationen anschließen können, an Angeboten wird es nicht gemangelt haben.

Aber was, wenn diejenigen wie Kriminelle dargestellt werden, die unbescholten sind? Das ist es, was mich nervös macht. Wenn sie in ihrem Negativbescheid als skrupellos bezeichnet werden, wenn traumatische Erfahrungen, die man in Medienberichten mitverfolgen kann, als erfunden bezeichnet werden? Es könnte ein schöner Abend sein. Die Familie spielt mit dem jungen Afghanen Karten. Ich koche, er erledigt den Abwasch. Er macht seine Hausübung. Wir lachen, denn er hat, wie er so schön sagt, „einen Schmäh gemacht.“ Doch es lauert ein Schatten. Afghanen erhalten seit einiger Zeit in erster Instanz zu Hauf Negativbescheide, und dabei trifft es nicht nur die jungen Männer sondern auch Familien mit kleinen Töchtern; das ist keine Großstadtlegende, alleine in unserer Gemeinde gibt es ein Dutzend Fälle, sprich: So gut wie alle, die erst in den vergangenen Monaten ihre Anhörung hatten, haben einen Negativbescheid erhalten. In den sozialen Medien liest man von ähnlichen Fällen in Nachbargemeinden. Die ersten Abschiebungen sind vollzogen. Menschen, die ein oder zwei Jahre einfach nur gelernt haben, die bei wohltätigen Organisationen geholfen haben, Freundschaften geknüpft haben, sich durchgehend vorbildlich verhalten haben. Das ist keine Einbildung, keine linke Halluzination, das passiert.

Dass es in Afghanistan furchtbar ist, sollte eigentlich außer Frage stehen (tut es aber übrigens auch nicht, Kabul wird von den österreichischen Behörden – für Afghanen – als sicher und voller Arbeitsplätze eingestuft). Wer realistisch ist, weiß auch, dass nicht ganz Afghanistan in Österreich wohnen kann. Dazwischen befinden sich heute diejenigen, die schon ein bis zwei Jahre hier leben und bewiesen haben, dass sie brave, integrationswillige Leute sind. Aber auch das macht keinen Unterschied. Das ist kein Hörensagen unter Willkommensklatschern. Wir haben die negativen Bescheide der befreundeten Menschen – also jener Personen, deren Geschichte wir kennen und deren Integration wir fast täglich miterleben - mit eigenen Augen gelesen. Ist es denn im Interesse der besorgten Bürger, dass die Energie des Staates darauf verwendet wird, integrierte und hilflose Personen als Lügner und Täuscher zu betrachten, statt gezielt gegen kriminelle oder gewalttätige Einwanderer vorzugehen? Ich möchte nicht unterstellen, dass dies nicht getan wird. Aber wenn man manchen Berichten in populären Medien oder sozialen Medien Glauben schenkt, müsste es so viele kriminelle Asylwerber geben, dass der Staat noch lange mit deren Inhaftierung und Abschiebung beschäftigt sein müsste, bevor er sich den braven Asylwerbern widmet?

Die neue Asylpolitik möchte pragmatisch sein – Fairness ist längst verschwunden – dann sollte aber doch die individuelle Person realistisch betrachtet werden? Zählen die Erfahrungen und Kontakte österreichischer Bürger in Bezug auf individuelle Personen im Laufe von Monaten denn gar nichts? Spielen uns diese Leute seit zwei Jahren etwas vor, und wir alle sind so geblendet? Sind es wir, die alternative Fakten glauben? Vor zwei Jahren wurde um die Mithilfe der Bevölkerung gebeten, die Freiwilligen mit Lob bestätigt, Förderungen in die Wege geleitet, und genau dort, wo diese Bemühungen Ergebnisse gezeigt haben, soll alles vernichtet werden? Das Leben des Asylwerbers zerstört und das Leben seiner österreichischen Freunde für immer vernarbt werden? Unseren Kindern bringen wir bei, was richtig und was falsch ist. Und welche Konsequenzen es hat. Momentan ist unsere Gesellschaft dabei, sehr vielen jungen Leute zu beweisen, dass es völlig egal ist, ob sie Hilfe brauchen, ob sie fleißig sind und trotz ihrer Ängste alles richtig machen. Eine Tendenz, die bisher eigentlich nicht nur Gutmenschen gestört hat.

Ein Kommentar hat vorhergesagt, dass ich bald nicht mehr so schön Deutsch schreiben können werde. Ich kann tatsächlich meine Gedanken nicht mehr gut in Worte fassen, da ich seit Wochen nicht mehr gut schlafen kann, aus Angst, dass diejenigen, die unsere Freunde geworden sind, zurück in die Zerstörung geschickt werden. Es heißt nun also Warten auf die zweite Instanz. Ein weiteres Jahr mit Beihilfen statt Arbeit, und durch die verstärkte Verunsicherung steigen die Fälle an Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Panikattacken unter den Betroffenen. Aber auch bei den Österreichern machen sich die körperlichen Konsequenzen bemerkbar. Bei mir reicht bis jetzt zum Glück noch ein pflanzliches Arzneimittel, um ein stressbedingtes körperliches Leiden abzufedern. Die grausamen Lebensgeschichten der jungen Afghanen waren aushaltbar. Seit Jahresbeginn zu erleben, wie mein Land sie ignoriert, gar verhöhnt, ist für mich nicht aushaltbar. Ich weiß nicht, wie kaputt ich noch gehen werde. Darum tut es mir leid, lieber Leser, wenn dieses Gejammer eines Gutmenschen nicht so ordentlich auf den Punkt gebracht war. Seit zwei Jahren arbeiten wir daran, junge, hoffnungsvolle Menschen zu integrieren und für alle eine gute Gemeinschaft zu schaffen. An allen Asylwerbern, die ich kenne, scheitert es nicht.

Shutterstock/Alexandre Rotenberg

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