Junger Gemeindehelfer verhaftet und in Lebensgefahr

Der junge S. war gerade mit seiner freiwilligen Arbeit für die Stadtgemeinde beschäftigt, und freute sich schon auf den Schulbeginn im Herbst, hatte er es doch geschafft, einen Platz in der Schule zu bekommen, als er verhaftet und fortgebracht wurde. In den nächsten Tagen erklärten seine engsten Freunde den Behörden immer wieder, dass das nicht richtig sein könne, doch es nützte nichts.

... So, oder eigentlich viel schlimmer, müssten die Nachrichten heute lauten, nachdem ein junger Afghane - wie gesagt, ehrenamtliche Hilfe in der Stadt und fleißiger Schüler - gestern abgeschoben wurde. Ihr seufzt und macht euch bereit, vernichtende Kommentare zu schreiben. Dass der Junge eine furchtbare Fluchtgeschichte hatte, verhöhnt ihr. Die Österreicher, die sich ein Jahr oder länger um ihn gekümmert haben, belächelt ihr oder erniedrigt ihr mit Worten. Könnt ihr machen, aber ich schreibe vorher diesen Beitrag fertig. Ich muss keine Wählerstimmen bekommen, ich bin kein Politiker, ich kann sagen, was ich wirklich denke. Aber keine Sorge, ich werde heute nicht emotional sein. Es ist eine unfassbare Tragödie, aber das interessiert heutzutage niemanden mehr. (Doch, viele schon, aber denen brauche ich ja nichts dazu zu sagen, wir empfinden alle das gleiche)

Daher werde ich heute, liebes Österreich, und auch ganz besonders liebe Abgeordnete und Regierungsmitglieder, eine einfache Rechnung präsentieren. Geld, Nutzen, das sind die Dinge, mit denen alle hier im schönen Europa was anfangen können, oder?

Dann machen wir also eine einfache Rechnung.

Nehmen wir an, der Junge wäre nicht abgeschoben geworden. Weil er neben plausiblen Fluchtgründen auch noch eine vorbildliche Integration vorweisen konnte. Eigentlich müsste schon ersteres reichen, aber gut, ich bin auch dafür, dass alle Menschen (egal welcher Herkunft) sich immer anstrengen und fleißig sein sollten. Es hat dann auch eine gewisse Vorbildwirkung. Der Bursche würde vermutlich also demnächst wieder bei der Gemeinde helfen, ich darf annehmen, dass die österreichische Stadtgemeinde etwas positives davon hat. Seine österreichische Patentante hätte ihm vermutlich bald Schulsachen gekauft (nicht schlecht für UNSERE Wirtschaft, oder?) und wäre auf dem guten Gefühl, den jungen Burschen integriert und auf eigene österreichische Beine gestellt zu haben, weitergeschwommen und hätte diese positive Einstellung weitergetragen. Cut. Das ist aber nicht passiert. Er wurde gestern abgeschoben. Er wird nicht mehr bei der Gemeinde helfen, sein Platz in der Schule bleibt leer. Wie es ihm jetzt gehen muss, darüber könnten wir viel schreiben. Wie es um die Menschenrechte steht und ob die Situation in Afghanistan fair bewertet wird, darüber könnten wir auch viel schreiben. Aber ihr interessiert euch ja für Österreich. Okay. Seine österreichische Patentante ist nun verzweifelt. Ich kenne sie in diesem Fall nicht persönlich, aber ich kenne so viele wie sie. Wir leben mit diesen Menschen und versuchen ihr Leben zu reparieren und es so zu gestalten, dass es auch für Österreich passend ist. Werden sie abgeschoben, fühlt es sich an, als hättet ihr unser Kind entführt. Wie gut ist also jemand drauf, dem gerade sein Kind weggenommen wurde? (Und, bitte schön, ob jemand 10 oder 20 ist, ist echt völlig unerheblich, oder ist Ihnen Ihr Kind ab 20 wurscht?)

Und anders gefragt: Wessen Leben oder was hat sich dadurch gestern verbessert? Ich bin sicher, es findet sich gleich ein Kandidat, der kommentiert, dass sein Leben jetzt besser ist, weil gestern ein junger Mensch, den er gar nicht kannte, zwangsweise in ein Bürgerkriegsland gebracht wurde. Wirklich?

Ich habe im vergangenen Jahr in Integration investiert. In Deutschkurse, und in Fahrkarten - genutzt, um zum Deutschkurs zu fahren. Damit sie ihren Beitrag leisten können, damit sie sinnvoll beschäftigt sind, damit sie ein ordentliches Glied in unserer Gesellschaft sein können. Bitte nicht vergessen, dieses Geld ist nicht weg, es sind die österreichischen Öffis, die Wiener VHS, die davon profitieren, und ich glaube, beides sind Einrichtungen, von denen die Österreicher was haben. Natürlich ist die Investition dann doch irgendwie zunichte, wenn der Deutsch sprechende, Österreichern helfende, Schnitzel probierende Asylwerber in ein Flugzeug gepackt wird. Aber mein Geld ist im Land geblieben, hurra. Wir haben gemeinsam (und noch mehrere Gutmenschen und Asylwerber mehr) zum Beispiel bei der freiwilligen Putzaktion der örtlichen Auwälder geholfen. Aber ich mag seit einiger Zeit nicht mehr helfen. Ich bin ja ständig damit beschäftigt, Angst zu haben. Natürlich macht der Asylwerber weiterhin alles ordentlich, denn ich habe noch immer die Hoffnung, dass er hierbleiben kann. Er ist längst integriert, er hat längst Deutsch gelernt. Er ist ein guter Junge. Ich möchte, dass er einen guten Weg geht. Ich spreche hier nicht von einem einzigen speziellen Burschen, wir haben Dutzende ziemlich ähnliche Fälle. Wäre die Politik anders, dann könnte er schon einer Ausbildung oder Arbeit nachgehen und ich hätte freie Kapazitäten, andere Menschen zu unterstützen oder sonst irgendwie in meiner Freizeit produktiv zu sein. Aber ich verliere den Willen, auch noch zusätzlich etwas Gutes zu tun. Ihr möchtet nicht, dass wir Freunde sind? Ihr möchtet nicht, dass wir einander helfen? Ihr möchtet nicht in einer Welt leben, wo Österreicher Fremden unsere Sprache und Kultur näher bringen? Ihr möchtet nicht in einer Welt leben, wo man Leuten hilft, denen es schlechter geht als einem selbst? Ihr möchtet nicht in einer Welt leben, wo man Menschen Schutz gibt, die sonst getötet werden? Ihr möchtet nicht in einer Welt leben, wo man Essen jemandem gibt, der Hunger hat, statt es wegzuschmeißen? Aha.

Wenn unsere Jungs abgeschoben werden, werden wir unterschiedlich reagieren. Statt dass die Jungen Lehrstellen befüllen, wo laut AMS ein gravierender Mangel besteht (das ist möglich und passiert), sitzen sie wieder in Afghanistan, wissend, dass sie, egal wie sehr sie sich bemühen, von Europa mit den Füßen getreten werden. Dass es nichts bringt, ein rechtschaffener Mensch zu sein. Werden getötet, oder beschließen irgendwann, dass die Terroristen Recht haben???

Und statt dass die österreichischen Paten und Patinnen die jungen Burschen zur Essensausgabe für Obdachlose, zum Kartenspielen im Altersheim, zur Sanitäterausbildung, zur Feuerwehrausbildung, zur Stadtreinigung mitnehmen oder animieren (alles schon passiert), werden manche Leute ärztliche Betreuung benötigen, manche werden in der Arbeit ausfallen, sie werden nicht mehr so leicht jemand anderem helfen, weil ihnen beigebracht wurde, dass das falsch und sinnlos ist.

Es wird nicht alles genauso bleiben wie vorher, es wird nicht zur "Normalität" zurückkehren. Das hat es noch nie. Auch wenn man glaubt, dass es unerschütterlich ist.

Eigentlich sind es zwei Rechnungen, die ich hier angeboten habe. Welche das bessere Ergebnis erzielt, könnten sich manche vielleicht selbst ausrechnen.

pixabay / Sujetbild (ist nicht der Mann, um den es in der Geschichte geht)

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