Ostergrüße aus Ungarn: Auf Auferstehung muss man immer lange warten - In Memoriam Radnóti Miklós

https://www.youtube.com/watch?v=EznN51kBhTw

Ich bin Auslandsösterreicher in Ungarn. Nicht weit entfernt von meinem Haus entfernt wurde der größte Dichter der ungarischen Moderne, Radnóti Miklós, im November 1944 durch Genickschuss ermordet… Er war Jude. An seiner Todesstelle, wo er verscharrt wurde, steht heute ein Denkmal.

Ich habe es bisher nie gewagt, diese Stelle aufzusuchen… Ich werde es jetzt nachholen, zu Ostern 2021. Seine Botschaft an uns:

„Der Tod ist eine große Macht.“ Doch „steht die Liebe dem Tode entgegen. Nur sie, nicht die Vernunft, ist stärker als er.“

Epilog für Radnóti Miklós (1909 – 1944, 35 Jahre alt hingerichtet)

"Seele, vergiss nicht die Toten! Sieh, sie umschweben dich, schauernd, verlassen…

Und in den heiligen Gluten, die den Armen die Liebe schürt, atmen sie auf und erwarmen…

Und genießen zum letzten Mal ihr verglimmendes Leben.

(Friedrich Hebbel)

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Ab 15. September 1944 hält Radnóti sein lethargisches Sterben (auf dem Todesmarsch aus der Vorhölle des serbischen Lagers Bor) simultan in einem Notizbuch fest. Er stirbt durch Genickschuss am 9. November 1944 und wird mit seinen Gedichten und zusammen mit 21 Gefährten in einem selbst geschaufelten Massengrab unachtsam verscharrt. Eineinhalb Jahre später (23. Juni 1946) hält seine wunderschöne Frau Fanni (1912 – 2014, 102 Jahre alt) nach dessen Exhumierung seinen letzten Gedicht"band" in Händen…

Miklós´s "Gewaltmarsch" gilt (in seinem ungarischen Original) als formgewordene Kako-Symphonie des Todesgrau(s)ens, die (bis in die grammatikalische Struktur hinein) den stakkatohaften Taumel, hin und hergerissen zwischen Lebens-Hoffnung und Todes-Sehnsucht, erfahrbar macht – getragen durch die orpheische Liebe zu seiner Freundin, Ehefrau, Geliebten Fanni…

Fanni sollte noch 69 unendlich lange Jahre warten, bis sie Miklos wiedersehen sollte, nach dem Tod. Denn nur diese endliche Ewigkeit konnte Miklos gerecht werden, in seinem übermenschlichen Kampf für eine unmöglich gewordene, irdische Hoffnung.

Gleichzeitig ist Miklos´ Gedicht übermenschliches Zeugnis dafür: Wie der Mensch, in seiner verzweifeltsten Vereinsamung ("Allein, du, mit den Worten. Und das ist wirklich allein." – Gottfried Benn), seine kreatürlichste Erbärmlichkeit mittels der Kunst übersteigt, indem er sich eine Formstrenge des Willens abtrotzt, die an Prometheus erinnert.

Miklós Radnóti: "Gewaltmarsch" (Bor, 15. September 1944)

"Ein Narr, wer zu Boden niederbricht, und trotzdem aufs Neue aufsteht, und weitertritt. Und wie ein wandelnder Schmerz, Knie und Knöchel weiterbewegt. Und dem Weg weiter folgt, als zögen ihn Flügel. Und obwohl vergeblich ihn der Graben ruft, zieht er es trotzdem noch vor zu bleiben.

Und solltest du fragen: Warum? Dann wird er vielleicht dir erwidern: Dass auf ihn wartet seine Frau oder nur ein sinnvoll´rer, schöner Tod als der hier.

Doch ist dieser Fromme ein Narr: Weil dort, statt des Zuhauses, seit langem nur mehr dreht versengter Wind sich, rücklings eingestürzt die Hauswand, zerbrochen der Pflaumenbaum, und bebend, vor Angst voll, die samtene heimatliche Nacht.

Oh, wär´ es mir nur möglich noch zu glauben! Dass ich all das trüge im Herzen nicht nur, wofür es noch wert wäre, zurück zu kehren nach Hause. O, wär ´es nur einmal noch möglich so! Unter der einstmaligen Kühle der Veranda, dem friedlichen Summen der Bienen, als das Pflaumenmus abkühlte… Und der Spätsommer sonn´te sich still in den verträumten Gärten… Das Laub noch wie immer zwischen den Früchten, sich schaukelte nackt im Wind…

Und Fanni, mit ihrem blonden Haar, noch warten würde vor der roten Hecke. Und Schatten bedächtig langsam noch würde malen ein besonnener Vormittag…

Könnt´ ich nur daran glauben, dass es noch möglich wäre! Denn so rund ist heute der Mond!

"Geh nicht weiter, mein Freund!" - Schrei mich nur an! - Doch trotzdem steh ich wieder auf!"

(freie Übersetzung: Elmar Forster)

"Ecce Homo" (Gottfried Benn)

"Ich habe Menschen getroffen, die …hochkamen, äußerlich schön … und innerlich sanft …, die reine Stirn der Engel trugen. Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden, woher das Sanfte und das Gute kommt. Weiß es auch heute nicht und muss nun geh´n.

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