Sexuelle Belästigung. Noch immer ein Tabu-Thema?

Frauen als Freiwild. Sexuelle Belästigung. Vor kurzem las ich dazu einen Artikel auf einer Online-Plattform und nickte bei nahezu jedem Absatz. Die Autorin erzählte von ihren Erfahrungen mit sexueller Belästigung. Und sie wagte es zu behaupten, dass dieses Thema vor allem nur dann Relevanz hätte, wenn die Täter Ausländer oder Flüchtlinge wären. Sie bezog sich dabei unter anderem auf die Vorfälle in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln.

Man muss ja schon so aufpassen, was man schreibt. Die Autorin jedenfalls bekam ihr Fett weg. Der Vorfall in Köln zu Silvester sei nicht mit „normaler“ sexueller Belästigung zu vergleichen, hieß es in den Kommentaren auf Facebook unter dem Artikel. Oder, man dürfe nicht alle Männer in einen Topf werfen.

Beidem stimme ich zu. Silvester in Köln war eine Ausnahmesituation. Und die Mehrzahl der Frauen und Männer verurteilen sexuelle Belästigung und Missbrauch aufs Schärfste. Das weiß ich alles und das braucht niemand blöd zu kommentieren.

Was ich aber auch weiß, ist, was die Autorin meint. Weil ich Erfahrung damit habe. Auch ich habe das subjektive Gefühl, dass über sexuelle Belästigung erst seit dem Flüchtlingsthema richtig gesprochen wird. Und auch nur dann, wenn die Täter*innen Ausländer*innen sind. Die sexuelle Belästigung von Frauen, Männern und Kindern, die schon immer stattgefunden hat, die wollen nur die wenigsten sehen. Das ist nach wie vor ein großes Tabu-Thema.

Vor ungefähr fünfzehn Jahren wurde ich in einem Taxi von zwei Männern sexuell bedrängt. Ich zeigte sie an, die zwei kamen ohne weiteres davon. Vermutlich, weil Alkohol im Spiel war und ich selbst schuld war. Weil ich einem davon in Notwehr die Nase gebrochen hatte, hatte ich selbst eine Anzeige am Hals, die immerhin zurückgezogen wurde.

An einer ehemaligen Arbeitsstelle war ich mehrere Male mit sexueller Belästigung der übelsten Sorte konfrontiert. Tagein, tagaus sexistische Sprüche, gekrönt von mehreren Po-Grabschern. Wenn ich mich wehrte, wurde ich ausgelacht, es wurde mir nachgeäfft. „Mein Arsch gehört mir!“, höre ich es heute noch in meinen Ohren tönen. In mehreren Situationen waren Kolleginnen oder Kollegen anwesend. Sie machten zwar nicht mit, griffen aber auch nicht ein. Die Kolleginnen waren ohnehin selbst ausnahmslos von Mobbing oder Belästigung betroffen und einfach froh, dass sie gerade in Ruhe gelassen wurden. Ich kündigte schließlich, ohne weitere Schritte zu unternehmen. Die Angst war zu groß, selbst vielleicht noch verklagt zu werden und keine Arbeit mehr zu finden.

Das sind keine Einzelfälle. Ich kenne viele Menschen, denen etwas Ähnliches oder viel Schlimmeres passiert ist. Aber niemand spricht gerne darüber, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Diejenigen, die belästigt wurden, schämen sich.

Vor kurzem war ich mit einer Freundin in einer Frühbar. Die Stimmung war ausgelassen. Hinter meiner Freundin saßen vier Männer auf einem Tisch, die uns beobachteten. Plötzlich beugte sich einer zu ihr und fasste ihr an den Hintern. Sie lachten daraufhin alle lauthals. Ich konnte es kaum fassen und versicherte mich bei ihr, ob dieser Typ ihr jetzt tatsächlich an den Hintern gegriffen hatte. Sie nickte nur. Sagte, dass es egal sei. Mich hingegen machte das wütend, und ich wandte mich an die Türsteher. Diese reagierten vorbildlich. Meine Freundin wimmelte sie schließlich ab. Es sei egal, wiederholte sie.

Vermutlich wollte sie keine Petze sein, die den Jungs den Abend vermieste, wenn sie rausgeworfen wurden. Aber vor allem wollte sie kein Opfer sein. Zwischen uns entbrannte ein handfester Streit. Mittlerweile habe ich null Toleranz in Sachen sexuelle Belästigung entwickelt. Das wollte ich auch nie! Opfer sein.

Ich dachte lange, dass mit mir etwas falsch ist, wenn so etwas passiert. Und es dauerte, bis ich verstand, dass mit mir sehr wohl alles in Ordnung war und die Täter die alleinige Schuld trugen.

Woher kommt dieses Gefühl? Meiner Meinung nach ist es die Einstellung der Gesellschaft zu diesem Tabu-Thema. Wenn ich mit Menschen darüber spreche, dass ich sexuell belästigt wurde, ernte ich im besten Fall Betroffenheit. Danach betretenes Schweigen. Hie und da Empörung, meistens seitens der Frauen. Es fragt niemand, wie es für mich war. Es fragt auch niemand, wie man helfen könnte.

Es geht mir nicht darum, dass ich Hobbypsychologen heranzüchten will oder tatsächlich Hilfe brauche. Indem ich die Reaktion der Menschen beschreibe, will ich nur zeigen, dass es tätsächlich niemand genauer wissen möchte. Bloß nichts damit zu tun haben - Themenwechsel.

Ich will die Schuld auch nicht auf andere schieben und mich aus der Verantwortung stehlen. Ja, ich hätte in gewissen Situationen anders reagieren können, sollen oder müssen. Anzeigen, trotz meiner Angst. Oder mich noch mehr wehren. Es scheint rückblickend betrachtet so einfach zu sein. Aber ich glaube, dafür hatte ich damals nicht mehr die Kraft.

Aber was ich heute auf jeden Fall besser weiß, ist: Niemand muss – aus welchen Gründen auch immer – plötzlich mehr Angst um die Frauen, Männer, Kinder haben als noch vor ein paar Jahren.

Sexuelle Belästigung, Nötigung, Missbrauch: All das war schon immer da.

Menschen müssen, wo es nur geht, vor sexuellen Übergriffen geschützt werden.

Aber in erster Linie – und das ist gleichzeitig eine Bitte: Die Opfer müssen erst einmal gehört werden.

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