Alljährlich in der Vorweihnachtszeit werden wir wieder mit der passenden Werbung und der bunten einschlägigen Warenwelt auf "das Fest" eingestimmt.

Versuche des Einzelhandels, Weihnachtsnaschereien wie Lebkuchen oder Spekulatius bereits ab Ende August feilzubieten, sind vorerst am hartnäckigen Widerstand der Kundschaft gescheitert, eine positive Kaufentscheidung zu treffen. Offenbar war es nicht gelungen, eine Glühweinstimmung zu erzeugen, wenn das Thermometer jenseits 28° C anzeigt.

Aber so ab Ende Oktober und spätestens ab St. Martin sind die Kunden eher geneigt, den Verlockungen der bunten Glitzerwelt der Kauftempel näher zu treten.

Christlicher Kontext noch relevant?

Noch vor wenigen Jahrzehnten war der ganze Aufwand ohne den christlichen Hintergrund kaum erklärbar. Über Jahrhunderte strukturierte das Kirchenjahr das Leben der Leute.

Dem Christentum war es nun mal gelungen, aus der kleinen Nische einer Erlöserreligion unter vielen auszubrechen und einerseits die zeitgenösssischen Glaubensvorstellungen, Riten und Feste zu adaptieren, zu modifizieren oder zu verdrängen und andererseits Restriktionen, die in der griechisch-römischen Welt wenig vermittelbar gewesen wären (Beschneidung, Schweineverbot) fallen zu lassen. Entscheidend beim Durchbruch wohl auch das Heilsversprechen auf ein mit strebsamen Bemühen für jeden erreichbares Paradies, das sich doch sehr vom eher trostlosen Hades unterscheidet.

Mehr oder weniger prunkvolle Feste "ad majorem dei gloriam" und als quasi Abglanz himmlischer Pracht auf Erden runden das Bild ab.

Eines davon ist eben Weihnachten. Die "heidnische Welt" feiert die Wintersonnenwende. Das konnte man nutzen.

Und so wurde das Weihnachtsfest für die einfache Bevölkerung das wichtigste Fest der Christenheit (dass aus theologischer Sicht die Auferstehung an Ostern wichtiger als die Geburt ist, sei hier als Binse erwähnt, denn geboren werden alle und viele waren auch mal bei einer Geburt dabei, Zeugen für eine Auferstehung zu finden, ist eher selten).

Nun spielt das Christentum in der Jetzt-Gesellschaft eigentlich keine Rolle mehr. Die Kirchen haben nichts mehr zur Sinnfindung beizutragen. Die drei Fragen der Menschen: wer sind wir, woher kommen wir und wohin gehen wir? werden nicht mehr beantwortet. Dazu wird jedenfalls in Deutschland überhaupt nicht mehr Stellung genommen. Ich gebe zu, dass es bei Freikirchen anders sein mag. Aber zwischen Vulvenmalen, "Ist ER eine SIE?", schwule Polyhochzeiten und Anti-AfD-Kampf scheint der Sinn des Lebens irgendwo auf der Strecke geblieben zu sein.

Logischer- und konsequenterweise gehören weniger als die Hälfte der Deutschen einer der großen Kirchen an. Noch viel weniger sind darin aktiv und gehen noch zur Messe, auch nicht mehr am heiligen Abend, den ich hier bewußt klein schreibe. Bin ich doch kein Christ mehr.

Adaption vs. Dekonstruktion

Nun hat das Weihnachtsfest als Hoffnungsfest eine ganze weltliche Ikonographie geschaffen, die sich wesentlich um Kälte, Winter, Schnee und das kommende wärmende Licht dreht.

Einschub: Dass Weihnachten DAS Fest wurde und nicht das Fruchtbarkeitsfest Ostern, verdanken wir nur der bis weit ins 19. Jahrhundert bäuerlichen Gesellschaft. Von Mitte November (St. Martin) bis Mitte Februar (Karneval) konnten die Bauern mal ein wenig Ruhe finden. Man hatte eben Zeit.

Da gibt es also nun ein christliches Hoffnungsfest mit heidnischen Licht- bzw. Sonnenbezügen, welches die Feiernden gerne begehen. Als Händler muss man das ausnutzen. Das ist schon immer und überall so, dass da, wo Menschen feiern, Händler bereit stehen, das Fest mit kostenpflichtigen Zutaten noch schöner zu machen.

Es gibt da grundsätzlich zwei Herangehensweisen, eine adaptive und eine destruktive. Beiden gemeinsam ist, dass der ursprüngliche Bezug (eben die Geburt des Heilands) für den Geschäftszweck irrelevant ist. Dennoch sind die Unterschiede der Verfahrensweisen erheblich.

Die adaptive ist: "Dein Fest ist sehr schön. Darüber freue ich mich. Und ich biete Dir etwas, dass es noch schöner wird."

Die destruktive ist: "Dein Fest ist Blödsinn. Find ich zwar nicht gut, aber ich hab da was anderes, das Dir einfach gefallen muss."

Ein Beispiel für einen adaptiven Ansatz: Coca Cola

Seit vielen Jahren läßt der Brausehersteller in der Vorweihnachtszeit in den Spots seine Parade von roten, lichterbekränzten Trucks durch eine Winterlandschaft brettern. Schneemänner, sterngeschmückte Weihnachtsbäume und der Weihnachtsmann bzw. Nikolaus gehören irgendwie zwanglos dazu. Etwas verschmiemelt ist da zwar von den "Holidays" und nicht den "Holy days" die Rede und die KI hat heuer eher unangenehm zugeschlagen. Aber grundsätzlich bleibt der Konzern im "abendländischen Kontext".

Interessant in dem Zusammenhang ein Bild bei etwa der 10. Sekunde:

Coca Cola https://www.youtube.com/watch?v=Shr6lm9roIs&t=13s

Nämlich: Die Kirche im Hintergrund und der riesige Weihnachtsbaum in der Bildmitte, der von einem sehr hellen Stern als Verweis auf den Stern von Bethlehem gekrönt ist. Eigentlich geht es kaum christlicher. Das ganze in einem Kleinstadtpanorama, dass an mittelalterliche europäische Städte erinnern mag, hätten die denn damals schon elektrisches Licht gehabt.

Noch ein Einschub: Der (geschmückte) Weihnachts- bzw. Christbaum (https://de.wikipedia.org/wiki/Weihnachtsbaum) ist wohl das deutscheste aller deutschen Kulturexportgüter, noch vor Bach oder Mercedes.

Dekonstruktion am Beispiel Otto

Zu meiner Kindheit und Jugend in den 1960ern und '70ern hatte der "Otto-Versand - Hamburg" das eher behäbig-spießige Image, auch der letzten Dorftrine die neuesten Produkte aus der weiten, bunten Glitzerwelt des Konsums per Post ins Haus zu liefern. Dicke Kataloge wurden verteilt, daraus die Hausfrau das fragwürdig Neueste von Tütenlampe über Nierentisch zur DDR-Stereoanlage ordern konnte. Mit amazon (cheese) und ebay wäre das Geschäftsmodell fast am Ende gewesen, aber just bevor die Online-Händler den kompletten Versandhand untergepfügt hatten, kam die woke-Welle über uns und scheint Otto vorerst über Wasser zu halten.

Seither ist Otto betont woke. Eines der ersten Unternehmen, das durchgehend gendert und seine Kunden duzt. Negative Bewertungen spielen da auch schon keine Rolle mehr.

Ist der Ruf erst ruiniert, wirbt sich's weiter ungeniert!

Eigentlich wäre mir diese Weihnachtskampage (https://www.otto.de/unternehmen/de/presse/freude-die-bleibt-otto-setzt-bei-der-bescherung-auf-qualität) kaum aufgefallen. So 20 Sekunden Lebenszeit zum Ansehen eines blödsinnigen Spots zu vergeuden! Aber da ist ein Bild, das mich nachhaltig ärgert. Nachhaltigkeit ist ja so eines der Klingelwörter dieses Konzerns, der es offenbar darauf anlegt, Kunden nachhaltig im Sinne von bleibend oder immerwährend zu vergraulen. Aber gehen wir die Dinge einzeln durch.

Immerhin schafft es die OTTO-Werbeagentur in 20 Sekunden so alle positiven Weihnachtsvorfreudebilder zu zerschmeißen.

Bei Sekunde zwei sehen wir, wie ein Mann im roten Trainingsanzug (rot - Weihnachtsmann) eine Art Schneemann aus Dreck mit einer Möhre im Gesicht versehen hat.

Ottp https://www.otto.de/unternehmen/de/presse/freude-die-bleibt-otto-setzt-bei-der-bescherung-auf-qualit%C3%A4t

Nun lieben alle Kinder (groß und klein), wenn sie einen schönen Schneemann bauen können. In meiner Gegend im Rheinland ist das zwar nur alle zehn Jahre möglich, dann aber mit umso mehr Freude. Aber so einen Dreckhaufen baut dann doch niemand.

Bei Sekunde fünf sehen wir den typisch hamburgischen Christbaum, stolz von der Hausfrau im 70er Jahre Bungalow (hanseatisch teakgetäfelte Wand, Parkettboden, offener (sic!) Kamin) präsentiert!

Ottp https://www.otto.de/unternehmen/de/presse/freude-die-bleibt-otto-setzt-bei-der-bescherung-auf-qualit%C3%A4t

DAS Bild bei Sekunde sechs bietet uns einen Einblick der Ergebnisse der Weihnachtsbäckerei. Für mich als kleiner Junge und für meine Kinder war das immer ein Höhepunkt im Jahr, wenn wir beim Backen "helfen" durften. Ich meine, wenn die Schüssel schon ausgeschleckt ist, braucht sie ja eigentlich nicht mehr gespült zu werden. Aber schaut selbst:

Ottp https://www.otto.de/unternehmen/de/presse/freude-die-bleibt-otto-setzt-bei-der-bescherung-auf-qualit%C3%A4t

"Friß Scheiße!" sagt man mir da unverblümt. Und ich sage: "Danke, aber nein!"

Kurz drauf wird mir dann aufgetragen, "Freude, die bleibt" zu schenken, worunter man in Hamburg offenbar LED-Christbaumkerzen versteht:

Ottp https://www.otto.de/unternehmen/de/presse/freude-die-bleibt-otto-setzt-bei-der-bescherung-auf-qualit%C3%A4t

Das sieht dann so aus: Hauptsache, da sind Waren, die man bei Otto gekauft hat.

Ottp https://www.otto.de/unternehmen/de/presse/freude-die-bleibt-otto-setzt-bei-der-bescherung-auf-qualit%C3%A4t

Das kann man natürlich "gut" finden. Mich stößt das ab. Zumal ich jedenfalls Christbaumkerzen aus Wachs (Parafin, mit Bienenwachs oder nur aus Bienenwachs) erheblich schöner finde.

Zumal da kein Elektroschrott übrig bleibt.

Denn: Hey Ottos! Wegen Umwelt und Nachhaltigkeit oder so: Kann ich bei Euch denn die ausgebrannten LED-Leuchtkörper zum Wiederverwerten abgeben und zahlt Ihr die Retoure? Ich mein', wir sind doch per Du, dann muss das doch gehen.

Zum Schluss

Das waren jetzt nur zwei Beispiele. Cola ist mir da näher, obwohl ich das nicht (mehr) trinke. Ist zu süß geworden.

Und wenn mir ein Versandhandel nahelegt, Scheiße zu fressen, dann muss ich da nicht Kunde werden.

Aber möglicherweise habe ich den:

>>Multikanalansatz

Die Inszenierung erfolgt im kanalübergreifenden 360-Grad-Ansatz für jede Phase des Weihnachtsgeschäfts: Von Singles‘ Day bis Black Friday und darüber hinaus finden sich anlassbezogene Motive in TVC, Online Video, (Digital) Out of Home, Audio sowie in den sozialen Netzwerken von Meta sowie auf TikTok, Snapchat und Pinterest. Ergänzt wird der Medienmix durch Influencer-Kooperationen und Sonderplatzierungen.<<

nur nicht in seiner kanalübergreifenden 360-Grad-Dimension verstanden. Schließlich bin ich allenfalls am Rande und mit kleiner Münze Teil des Weihnachtsgeschäfts.

NB.: Die grottengrausame Musik zum Spot darf sich jeder selbst anhören.

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