Ich bin liftsüchtig, laufsüchtig, natursüchtig, Crash Bandicoot-süchtig usw. Wo ist die nächste Anstalt für entsprechend Suchtkranke?

Ein wenig Selbstironie schadet nie - vor allem nicht in Kombination mit einem Reim. Aber egal, darum geht es überhaupt nicht. Genauso wenig betrifft der Beitrag mich - das Thema ist noch dazu überhaupt nicht zum Lachen. Einige von euch werden sicher noch meinen ersten Artikel zu Alkoholismus in Erinnerung haben - das Beispiel mit der Freundin meiner Mutter und dem rauschigen Ausflug nach Santorin. Wer das noch nicht kennt - hier könnt ihr nachlesen.

Dieser Beitrag knüpft eigentlich ziemlich direkt an den zuletzt verlinkten Post an. Es soll euch einen Alkoholismus-Extremfall veranschaulichen. Man kann sich jetzt fragen, warum ich die Story überhaupt hier einstelle. Ganz einfach, weil mich das halt beschäftigt.

Die besagte Dame war seit 16 Monaten in einer speziellen Anstalt für Alkoholkranke. Einmal habe ich Taxi gespielt und sie hingebracht, nachdem sie bei uns zu Besuch war. Als ich dort hineinging, wurde mir ganz anders. Es sah aus, als befände ich mich in einem Strafgefangenenlager. Ich war sehr froh, dass ich dort nicht öfter hinfahren musste. Die Leute hatten eine nette Art und die Freundin meiner Mutter war dort sichtlich beliebt. So schön das klingt - deren gemeinsames Schicksal ist alles andere als lustig.

Sie hat es geschafft, dass sie dort ihr Leben wieder einigermaßen in Griff bekam. Klarerweise wurde sie immer kontrolliert, wenn sie Ausgang hatte. Falls man drei Mal erwischt wird, muss man gehen. Irgendwie so war das mit den Delikten. Ich dachte mir nur immer, dass sie es jetzt einfach packen muss. Kalksburg etc. halfen nichts, doch das muss jetzt reichen...

Ihre Kinder hatten somit einmal etwas mehr Luft, während die Mutter dort einquartiert war. Aber ihnen war natürlich klar, dass das auch keine Dauerlösung sein kann. In ihre alte Heimat wolle sie nicht mehr zurück - stattdessen ein neues Leben beginnen. Dabei dachte sie an so etwas wie "Betreutes Wohnen". Sie hat Ende 2015 ihre 16 Monate "abgesessen" - genau zur richtigen Zeit wurde der Neubau für das "Betreute Wohnen" fertig. Jetzt hat sie quasi alles geschafft. Hier kennt sie niemand - keiner wird den ganzen Tag über ihre Alkoholgeschichten tratschen.

Nach wenigen Tagen lieferte sie jedoch eine Aktion. Ich war zu Hause und hörte meine Mutter telefonieren. Dabei fiel der Name vom älterem Sohn ihrer Freundin. In dem Moment sank ich unter dem Tisch zusammen. Nein, einfach nein - das darf doch nicht wahr sein. Ich wusste sofort, was gespielt wurde.

Am letzten Weihnachtsfeiertag war sie kurz bei uns, danach sollten wir ihr ein paar Kartons in ihr neues Zuhause führen. Letzteres liegt so schön, das Gebäude ist top gelungen. Auch die Einrichtung passt wunderbar. Für eine Person mehr als ausreichend. Wie ich erfahren durfte, kamen die Möbel von Ikea. Warum hat sie nicht einfach ein Möbelhaus in ihrer Nähe beauftragt? Angenommen, es gibt einen Fehler bei der Lieferung: Dann müssten die Mitarbeiter von Ikea deshalb nochmals extra nach Wien und dann wieder zu ihr fahren. Ansonsten hätten sie ggf. einfach schnell in die Firma schauen können und das Problem wäre gelöst gewesen. Aber gut, sie wird schon wissen, warum es Ikea sein musste.

Jedenfalls hilft ihr der ältere Sohn ein wenig bei der Geldverwaltung. Doch ihr etwas bar auf die Hand zu geben - das kann blöd enden. Letztendlich hätte er ihr das Kapital für Ikea bereitgestellt. Dazu kam auch noch ein Betrag für einen bestimmten Arzt. Doch was machte sie? Einen Teil vom Geld gab sie für Geschenke an die Enkelkinder aus, obwohl die alle wissen, dass Oma "kein Geld" hat. Niemals würden sie das mit den Geschenken von ihr erwarten - das weiß sie selbst. Den Geldanteil für den Arztbesuch hat sie noch anderwertig verpulvert - dazu muss ich wohl nichts mehr sagen.

Am Wochenende hatte meine Mutter so ein Gefühl, dass sie ihre Freundin anrufen sollte. Es gab gerade einiges zu tun. Schließlich nahm sie sich vor, den geplanten Anruf später durchzuführen. Es war so weit - ihre Freundin ging drei Mal nicht ans Handy. Mama ahnte schon Schlimmes. Auf einmal meldete sie sich doch und ihre Stimme verriet meiner Mutter alles. Am nächsten Tag telefonierten sie nochmals - ihre Freundin erzählte dann die Dinge aus dem vorigen Absatz.

Ich war wieder einmal sprachlos. Die Sucht ist Herr über Mamas Freundin, das wissen wir. Aber angeblich habe sie sich betrunken, weil der Zahlschein vom Ikea kam und sie eben schon im Vorfeld einen gewissen Teil des entsprechenden Kapitals bereits für Geschenke bzw. Alkohol ausgegeben hatte. Somit ging ihr der Reis und was war die logische Konsequenz? Leider der Griff zur Flasche.

Meine Mutter meinte, dass ihre Freundin den älteren Sohn anrufen müsse, um ihm das zu beichten. Ich glaube kaum, dass er jetzt nochmals springen wird. Auch meine Mama blieb diesmal hartnäckig und meinte, dass das ihre Freundin jetzt einmal selbst ausbaden darf.

Ihre Kinder meinten, dass sie wieder in ihr Quartier gehen soll. Sie hat es ja dort schon 16 Monate ausgehalten. Doch man sah, dass es nichts brachte. Das war also nur ein Verwahrungsort, damit die Kinder eben ihre Ruhe haben.

Ich bin sehr erleichtert, dass die ganze Situation nicht meine Aufgabe ist. Bzw. schätze ich mich glücklich, dass mir eigentlich nur Bier und Radler schmecken. Doch als Viel-Autofahrer ist das Thema Saufen für mich ohnehin weitgehend tabu.

So wie ich das sehe, brauchen derartige Leute vermutlich ständig jemanden, der ihnen über die Finger schaut. Sie müssten demnach überwacht werden. Die Freundin meiner Mutter bekam in ihrer Heimat nichts mehr im Unimarkt, da sie dort jeder kannte. Doch das spielt es jetzt im "neuen Leben" klarerweise nicht mehr, hier hat sie nun die große Anonymität.

Sie ist eigentlich so ein guter Mensch und hätte jetzt alles erreicht, was sie wollte. Neues Leben weg von der Anstalt, eine schöne Wohnung etc. Aber an diesem Beispiel sieht man leider, dass die Sucht quasi in allen Belangen ein "Vetorecht" hat.

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liberty

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irmi

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