Vor noch gar nicht allzu langer Zeit war es üblich, dass Menschen, die Sehnsucht nach der Wärme einer Partnerschaft hatten, ihre Fühler in ihrem sozialen Umfeld ausgestreckt haben. Man begann, den Freundeskreis nach den Gesichtspunkten einer möglichen Übereinstimmung auch über das bloße gesellige Zusammensein hinaus zu überprüfen. Plötzlich achtete man mehr auf vermeintliche Signale in der Körpersprache und begann in ein Lächeln mehr hineinzudeuten, als es unter Umständen beabsichtigt war von dem, der es schenkte. Der Kreis der auf mögliche Übereinstimmung in sexuellen und partnerschaftlichen Belangen hin abgesuchten Personen wurde ausgeweitet: Freunde wurden eingeweiht in die Zielsetzung und angeworben als Unterstützung; Lokalitäten und auch Freizeitaktivitäten, welche davor eher gemieden wurden, wurden mit aufs Radar gesetzt. Aus so manchem Couchpotatoe wurde plötzlich ein an Tennis und Bowling interessierter Mensch und selbst Personen mit einem hohen Schlafbedürfnis entdeckten von einem Mal aufs andere eine schier unermessliche Energie für das Durchmachen in Bars und Tanzlokalen.

Natürlich machte man sich auch schlau, wie denn die eigenen Chancen gesteigert werden können, bei einem einmal entdeckten Objekt der Begierde zu landen. Da wurden Tipps vermeintlich erfolgreicher Freundinnen und Freunde abgekupfert – begonnen bei Kleidungsstil, Duftwolke und Frisur bis hin zu Anmachsprüchen; auch die Heroes in Fernsehserien und Hollywoodstreifen wurden gerne mal imitiert. Flirtratgeber wurden verschlungen und ein regelrechter Schlachtplan entwickelt – bei welchem viel zu häufig vergessen wurde, man selbst bleiben zu müssen für den Fall des Erfolges. Die wirklichen Profis hatten sogar für den Morgen nach der ersten gemeinsamen Nacht noch ein durchgeplantes Repertoire an Sprüchen und Verhaltensmustern, doch irgendwann musste es passieren, dass die eigene Persönlichkeit, welche hinter der Fassade verborgen war, zunehmend durchschimmerte.

Es bedurfte einiger charakterlicher Festigkeit, zu erkennen, dass Flirten nichts zu tun hat mit einer Maskerade. Rein biologisch betrachtet logisch. Immerhin ist das menschliche Hirn nämlich gar nicht so leicht auszutricksen wenn es um die Frage von zwischenmenschlicher Sympathie geht. Bereits beim ersten Aufeinandertreffen von zwei Menschen erfolgt nämlich in atemberaubender Geschwindigkeit eine Zuordnung der über das in der Nasenscheidewand angesiedelte Jacobson-Organ aufgenommenen pheromonellen Information zum Gegenüber, welche direkt über das limbische System Eingang findet. Noch bevor also die ersten Register der hohen Schule des Flirtens gezogen werden können, erfolgt die erste Einschätzung. Der Klang der Stimme, die Sprachmelodie, die Körpersprache sind danach die nächsten Instanzen – erst lange danach können flotte Sprüche noch etwas bewirken. Wer sich mit dieser Erkenntnis gar nicht weiter verstellte, sondern einfach selbstbewusst Interesse am potenziellen Lebensabschnittspartner zeigte, dem ist es oftmals sogar in den legendären Abschleppzonen von Lokalen gelungen, seine große Liebe zu finden.

In den letzten Jahren scheint sich da einiges verschoben zu haben: Partnervermittlungen erfreuen sich großen Zustroms, zumal sie damit werben, dass all diese Sucherei und Experimentiererei ersetzt werden kann durch die wissenschaftliche Vortestung perfekt zueinander passender Menschen. Was betriebswirtschaftlich funktioniert in Form einer Reduktion der Transaktionskosten muss doch auch beim Zusammenführen von Menschen funktionieren, so scheint die dahintersteckende Devise zu lauten. Einfach ein paar hundert Fragen bereits vor einem ersten Date beantworten und darauf warten, dass auf den Prozentpunkt genau errechnete Übereinstimmungen von beziehungswilligen Personen präsentiert werden. Keine durchgemachten Nächte mehr, keine Abfuhren mehr kassieren oder am nächsten Morgen die Enttäuschung erleben, dass hinter der vielversprechenden Fassade doch nur ein Reinfall versteckt war – einfach zu Hause auf der Couch am Tablet die Vorschläge durchschauen, in der ersten Kontaktaufnahme auf die beeindruckende Übereinstimmung verweisen und loslegen. Oder doch nicht? Ist das vielleicht doch nur ein in die Mode gekommener Zwischenschritt, welcher einem nicht das erste Aufeinandertreffen und Abtasten erspart? Welcher nicht erspart, dass das Jacobson-Organ einmal darüber befindet, ob man sich überhaupt riechen kann abseits der Bits und Bytes im Internet? Welcher daher auch das Flirten nicht ersetzen kann – das Flirten als hohe Kunst, des man selbst Bleibens mit all den Facetten der eigenen Persönlichkeit?

Flirten ist Lebenskunst. Flirten ist dabei weit mehr als ein mehr oder weniger plump zurechtgelegter Schlachtplan, um in Eroberungsfeldzügen den perfekten Partner beziehungsweise die perfekte Partnerin an sich zu binden. Flirten ist auch in bestehenden Beziehungen jener Kitt, welcher das erotische Feuer der Anziehung am Lodern hält. Und es ist eigentlich sehr simpel: einfach man selbst bleiben – mit liebevoller und wertschätzender Anerkennung des Gegenübers. Von Ehrlichkeit getragen und der Achtsamkeit für all die Kleinigkeiten, welche das Gegenüber ausmachen.

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