„Es ist kein Kaffee mehr da. Ich mache mir einen Tee.“ Mit ruhiger Stimme stellt Pinki fest, dass er nach dem allmorgendlichen Weg zur Kaffeemaschine in der Betriebsküche heute dort keinen bereits gewohnten Kaffee wird holen können. Er hat allerdings sofort eine Alternative gefunden und füllt den Teekocher mit Wasser. Auch ein Teebeutel liegt schon bereit. Während er vor sich hinsummt ist er gedanklich bereits bei den heute anstehenden Aufgaben.

Vier Personen haben die Worte von Pinki vernommen:

Trixi, die ebenfalls als Koffeinjunkie bekannt ist, hat sofort geschalten und sich daran gemacht, in ihrem Kasten zu stöbern. Irgendwo hat doch auch sie einen gut klingenden Tee verstaut. Gut, dass sie gehört hat, dass der Weg zur Kaffeemaschine heute nicht das gewünschte Ergebnis bringt – damit hat sie sich die Enttäuschung erspart und Zeit gewonnen.

Während sie sich freut, tatsächlich den „Wohlfühltee“, ein Geburtstagsgeschenk, gefunden zu haben und gespannt ist, ob er wohl seinem Namen gerecht werden wird, hört sie Markus vor sich hinschimpfen: „Eh klar; der glaubt auch ständig, dass sich alle um ihn kümmern müssen. Glaubt wohl auch, die Kaffeebohnen hüpfen von selbst aus dem Supermarkt in die Kaffeemaschine. Was ich immer gesagt hab: ein arroganter Schnösel, dieser Pinki, der denkt, sein Umfeld müsse ihm den Popsch auswischen.“

Melanie, die Sekretärin in der Abteilung, ist gerade schluchzend in ihr Zimmer gelaufen. Es war zwar nur schwer auszumachen, welche Bedeutung die Laute haben, welche da zu vernehmen waren, doch es klang irgendwie nach „So, jetzt hab ich wohl endgültig ausgeschissen bei Pinki. Warum hab ich nur nicht rechtzeitig darauf geschaut, dass Kaffee da ist.“

Stefan hat sich übrigens, kaum dass Pinkis Worte ausgesprochen waren, mit den laut gerufenen Worten „Bin gleich wieder da, ich hol schnell aus der Nachbarabteilung Kaffee“, aus der Szenerie verabschiedet.

„Es ist kein Kaffee mehr da. Ich mache mir einen Tee.“ Nichts anderes hatte Kurt gesagt. Und dennoch haben diese elf Worte verschiedenste Dynamiken in Gang gesetzt. Am Medium der Botschaft kann es wohl nicht gelegen sein – denn alle vier in Hörweite gewesenen Personen hatten rein akustisch dieselben Laute vernommen. Allerdings wurde der Inhalt jeweils anders gedeutet: während Trixi rein auf den sachlichen Inhalt geachtet hat und diesen für ihre eigene Planung der nächsten Schritte und Entscheidungen verwertet hat, glaubte Markus eine Selbstoffenbarung von Pinki erkennen zu können: dass er nämlich davon ausgehe, alle müssten dafür sorgen, dass seinen Bedürfnissen entsprochen wird. Melanie fürchtete, dass die Botschaft eine Ankündigung beinhalte, dass Pinki nun auf der Beziehungsebene zu ihr enttäuscht sei – immerhin habe doch bislang sie, ohne dass es jemand bemerkt hätte, dafür gesorgt, dass die Kaffeemaschine stets funktionsbereit ist. Also drücke er ganz sicher mit seinen Worten aus, enttäuscht zu sein von ihr. Stefan hingegen hat, im vorauseilenden Gehorsam, unmissverständlich eine Aufforderung erkannt, umgehend für Nachschub an Kaffeebohnen zu sorgen.

Das klingt konstruiert? Echt jetzt? Werden Worte immer so verstanden, wie sie gemeint sind? Im persönlichen Aufeinandertreffen, wenn man sich also Angesicht in Angesicht gegenübersteht, dann kann es schon gelingen, Worten treffsicherer jene Bedeutung zu entnehmen, welche tatsächlich transportiert werden soll: weil man etwa auch die Gestik und die Mimik neben der Sprachmelodie beobachten kann. Immer noch bleiben jedoch die eigene Tagesverfassung und auch die persönlichen Erfahrungen gewisse Garantien dafür, daneben liegen zu können. Noch schwieriger wird es jedoch, wenn bloß die Worte alleine stehend zur Verfügung stehen. Auf Plattformen im Internet etwa. Besonders dann, wenn vielleicht sogar schon der Username und der dazu gewählte Avatar alleine ausreicht, um Emotionen auszulösen. Hier werden Pinkis Worte noch viel schneller Dynamiken auslösen können, die mit den von ihm beabsichtigten Inhalten vielleicht so gar nichts gemein haben und eher etwas über diejenigen Aussagen, welche Reaktionen setzen oder auch anstoßen.

Wie kann es verbessert werden, Sprache nicht als Garant für Missverständnisse oder vermeintliche Bestätigung von Vorurteilen erleben zu müssen? Eigentlich ginge das sehr leicht – mit ein bisserl Selbstreflexion, Empathie, Achtsamkeit und Wertschätzung etwa. Einfach in sich selbst gehen und klar abgrenzen, was man selbst gerade empfindet, wie es einem selbst gerade zu einem Thema geht, das betroffen ist von den Worten des Gegenübers. Danach Interesse ausleben daran, wie es denn dem Gegenüber dazu geht. Nun aufpassen, was tatsächlich gehört oder gelesen werden kann sowie was an sonstigen Informationen dazu zur Verfügung steht begonnen bei beigefügten Emoticons bis hin zur Körpersprache in persönlichen Begegnungen. Es ist dabei keine Schande, auch mal nachzufragen, ob man da etwas richtig beschreibt von dem, was man beobachtet – ganz im Gegenteil zeugt es von Größe. Und statt einer abschließenden Wertung, mit welcher man sich selbst dann auch gleich für die nächsten Begegnungen auf Vorrat unbewusst manipuliert kann Wertschätzung dafür ausgedrückt werden, dass die Chance geboten wird, sich zu etwas auszutauschen oder auch bloße Informationen zu erlangen.

Wie jede andere Plattform, auf welcher Meinungen ausgetauscht und Kommentare abgegeben werden können, ist auch Fisch-und-Fleisch nicht davor gefeit, zur Bühne für Missverständnisse zu werden, welche eine Eigendynamik bekommen. Wer nicht aufpasst, kann da rasch in die Spirale kommunikativer Eskalation geraten, bei welcher rasch egal wird, was konkret geschrieben wird: es wird dann ohnehin alles auf der Selbstoffenbarungs- oder Beziehungsebene ausgelegt, angereichert um eigene Vorurteile und Erwartungen. Das ist schade. Schade um die Plattform, deren Möglichkeiten dann nicht voll genutzt werden für die Weiterentwicklung von Meinungsbildern, besonders schade aber um die Individuen, welche – einmal in dieser Spirale der Fremdwahrnehmung gefangen – rasch in Verkennung ihrer Botschaften in ein Eck gestellt werden. Oder in weiterer Folge ausgeschlossen beziehungsweise dazu veranlasst, die Plattform fluchtartig zu verlassen.

Wenn immer wieder gerne von Inklusion gesprochen wird: Inklusion ist auch wichtig, wenn es um Kommunikation geht. Es sollen dabei alle Formen der Ausdrucksfähigkeit die Möglichkeit bekommen, verstanden zu werden – ein Mensch, welchem dieses Gefühl geschenkt wird, wird nämlich in aller Regel auch bereit sein, daran zu arbeiten, treffsicherer zu werden in seinen Formulierungen, um Missverständnissen vorzubeugen. Bis man sich blind versteht. Dieser Anpassungseffekt bleibt allerdings ziemlich sicher aus, wenn statt der Bereitschaft, verstehen zu wollen, das Missverständnis zelebriert und vielleicht sogar provoziert wird.

Es ist die Entscheidung jeder einzelnen Person einer Gemeinschaft im realen wie auch im virtuellen Leben, in welche Richtung der Zug der Kommunikationsfähigkeit fahren soll. Für welche Richtung steuern Sie Ihre Energie bei? Wie wollen Sie Pinkis Worte verstehen – und haben Sie überhaupt alle Informationen, um zu wissen, wie sie tatsächlich von ihm beabsichtigt waren?

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Hansjuergen Gaugl

Hansjuergen Gaugl bewertete diesen Eintrag 06.02.2016 13:31:17

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