Menschen wollen gleich behandelt werden. So weit, so gut. Für sich allein stehend wird es kaum jemanden geben, den dieser Satz in Rage versetzen wird. Eher wird in einer theoretischen Diskussion ein allgemeines Kopfnicken einsetzen, begleitet mit zustimmenden Kommentaren. "Eh klar", oder "logisch".

Wie sieht es aus, wenn man einen weiteren Schritt wagt und betrachtet, wie es aussieht, wenn diese auf breiten Konsens aufbauende Grundeinstellung ins Leben übersetzt werden soll. Wenn konkrete Lebensbereiche angesprochen werden und überlegt wird, wie diese Gleichheit in Chancengleichheit oder Gleichheit in der Behandlung zum Ausdruck kommen kann. Juristinnen und Juristen sind da rasch zur Stelle und bestätigen, dass es ohnehin den in der Verfassung verankerten Gleichheitsgrundsatz gibt, wonach Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Spätestens jetzt werden einige die Stirn in Runzeln legen: Wieso Ungleiches? Was ist denn ungleich? Sind nicht alle Menschen Individuen und damit niemals deckungsgleich in Gedanken, Gefühlen und Bedürfnissen?

Der Gedanke daran, dass da ja konsequenterweise unter Umständen eine Andersbehandlung der Mitmenschen gerechtfertigt sein könne, lässt in manchen sofort eine innere Unruhe aufsteigen. Das innere Bedürfnis nach Sicherheit und sozialer Anerkennung ist nämlich in einigen so stark ausgeprägt, dass es für sie gilt, bereits prophylaktisch dafür zu sorgen, dass es keinesfalls passieren darf, selbst in auch nur irgendeinem Punkt eine Schlechterbehandlung zu erfahren - selbst wenn es nur theoretischer Natur ist. Es knallen hier also rasch der Anspruch des Menschen auf Gleichheit und das ihm innewohnende Selbstverständnis der Einzigartigkeit aufeinander - schließlich ist doch das Individuum etwas Einzigartiges und ganz Besonderes ... das gleich behandelt werden muss.

Wie in einer ganz normalen Konflikteskalation kommt es nun dazu, dass Koalitionen gebildet werden mit Menschen, von denen man ausgeht, dass sie dafür gewonnen werden können, die eigene Angst vor möglicher Schlechterstellung zu teilen. Und ein gemeinsames Bollwerk zu bilden, wo auf Nummer sicher gehend einmal klargestellt wird, dass man im Zweifel einfach besser behandelt werden muss als andere - im Namen der Gleichheit natürlich. Frei nach Kiplings Motto: "Wenn Du etwas erreichen willst im Leben, so ziele sicherheitshalber ein wenig darüber hinaus." Besser also als andere, die man auch gleich einmal benennt als gegenüber zur eigenen Definition gemeinsamer Merkmale liegendes Lager. Und schon sind sie da, die Schubladen, in welche sich die Menschheit ohne Vernunft und Zwang selbst einteilt: Männer gegen Frauen ist da das am meisten diskutierte Paar, wo man sich sogar darüber hinwegsetzt, dass die bloße Einteilung nach äußeren Geschlechtsmerkmalen zu kurz greift ansgesichts weiterer Erscheinungsformen wie etwa jener der Transsexualität.

Um gleich bei diesem Beispiel zu bleiben, wird also im Namen der Gleichheit eingefordert, sicherheitshalber besser behandelt zu werden. Unter dem paradox klingenden Namen der "positiven Diskriminierung" - was an Diskriminierung positiv sein soll in einer Gleichbehandlungsdebatte ist nicht so leicht mit Vernunft zu erfassen - werden Vorhalte vergangener, meist gar nicht mehr selbst erlebter, Ungerechtigkeiten gleich der Erbsünde dem Gegenüber angelastet; es wird dabei eine Umkehr der festgestellten Ungleichheit quasi als Wiedergutmachung für das andere Weltbild der Vorgenerationen eingefordert: so soll bei gleicher Eignung Frauen bei Stellenbesetzungen der Vorzug gegeben werden oder in Aufsichtsräte und Vorstände sind Quotenfrauen hineinzusetzen. Im Namen der Gleichbehandlung wohlgemerkt.

Ferner werden Statistiken herangezogen, um einen Gendergap zu belegen: wer kennt allerdings wirklich Fälle, wo Mann und Frau bei gleicher Qualifikation, gleichem Beruf, gleicher Verantwortung, gleicher Berufserfahrung und gleichem zeitlichen Arbeitseinsatz diese rund 30 Prozent Einkommensunterschied aufweisen? Ahja, da ist ja die Kinderbetreuung zu berücksichtigen, wird da sofort als Beispiel für das Erfordernis einer differenzierteren Vergleichsbasis genannt - erkennend, dass es Bildungsunterschiede wohl eher nicht sind, wenn man bedenkt, dass der Frauenanteil in den meisten Studienlehrgängen tendenziell über der Hälfte liegt. Kinderbetreuung erfolge in unserer Kultur meist durch Frauen, was dazu führe, dass Frauen oft nur Teilzeit arbeiten. Ist das aber wirklich auf freie Entscheidungen zurückzuführen - oder wird das in vielen Fällen sogar von unserer Rechtsordnung erzwungen? Wenn zum Beispiel ein Ehepaar geschieden ist, was ja bedauerlicherweise mehr die Regel als die Ausnahme darstellt in unserer Zeit, und - klassischer Weise - das Aufenthaltsbestimmungsrecht beziehungsweise die überwiegende Betreuung bei der Mutter liegt samt eher nur zurückhaltend gewährtem Umgangsrecht zum Vater, so wird dies oft dazu führen, dass die so genannte Alleinerzieherin oft nur Teilzeitjobs annehmen kann. Die Rechtsprechung sorgt aber - dank Anspannungsgrundsatz - sogar in jenen Fällen dafür, dass Mann das nicht kann, wo ein großzügigeres Umgangsrecht zum Kind vereinbart werden könnte; Mann hat dann dennoch dafür zu sorgen, voll alimentationsfähig zu bleiben auf Grundlage der Vollzeitbeschäftigung. Ein Punkt, der leider übersehen wird, wenn eine differenzierte Sichtweise - durchaus zu Recht im Sinne der Wertschätzung gegenüber dem Individuum - eingemahnt wird.

Der Grundsatz der Antidiskriminierung, wie er auf Europäischer Ebene Eingang in Richtlinien gefunden hat, treibt weitere Blüten, zu denen man als objektiver Betrachter schmunzelnd an den Zauberlehrling denken könnte, bei dem die einmal gerufenen Besen anfangs zwar gute Unterstützung darstellen, dann aber auch rasch ein Eigenleben bekommen, das zu viel des Guten wird, sich aber aus eigener Kraft nicht mehr stoppen lässt: war es früher mal möglich und in spanischen Fußballstadien etwa auch durchaus üblich, Frauen kostenlosen Eintritt in die Stadien zu gewähren um damit dem beobachteten Umstand Rechnung zu tragen, dass ein höherer Anteil von Frauen in den Rängen zu einer Verringerung kostspieliger Ausschreitungen, die eingepreist werden müssten in den Ticketpreis, führt, so geht das nunmehr im Namen der Gleichbehandlung von Mann und Frau nicht mehr; auch der Ladysrabatt in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, welcher dem Umstand Rechnung getragen hat, dass Frauen in Summe weniger Schadenssummen verursachen, musste gestrichen werden. Ebenso wie der Tarifierungsunterschied zwischen Mann und Frau in der privaten Pensionsvorsorge, welcher der statistisch unbestrittenen Tatsache geschuldet ist, dass Frauen infolge der höheren durchschnittlichen Lebenserwartung und des noch bestehenden Unterschieds im Antrittsalter zur gesetzlichen Pension als meist vereinbartem Versicherungsfall doch erheblich längere Zeit Leistungen aus der Versichertengemeinschaft heraus erhalten: unzulässig. Auch Skiliftunternehmen setzen sich, wenn sie bewusst mehr Frauen ansprechen wollen aus durchaus wirtschaftlichen und keinesfalls diskriminierenden Motiven heraus und dementsprechend Frauenbegünstigungen anbieten, Schadenersatzprozessen aus.

Schade, dass in diesem Duell von in Schubladen eingeteilten Menschen, welches aus durchaus hehren Motiven in Gang gesetzt wurde und zu dem die immer härtere Gangart durch Aktion und Reaktion zwischen den Akteurinnen und Akteuren selbst bestimmt wird, das, worum es eigentlich geht, immer mehr vergessen wird: Gerechtigkeit, welche auch als solche empfunden wird von den Beteiligten! Schön wäre es, könnte man dieses Schwarz-Weiß-Denken quer durch die Gesellschaft wieder zurückfahren und sich darauf einigen, wieder die Wertschätzung des Menschen in den Vordergrund zu stellen und den Hausverstand zu gebrauchen. Es bedürfte nur eines erhöht auf Partizipation setzenden Ansatzes bei der Bestimmung neutraler Parameter, bei welchen das Miteinander statt des Gegeneinanders im Vordergrund steht. Transparenz der hinter Entscheidungen stehenden Motive wäre eine erste Basis, auf welcher Vertrauen und Wertschätzung wechselseitig wieder wachsen könnten, um im Spagat zwischen Gleichberechtigung und Würdigung des Individuums als einzigartiges Wesen das zu schaffen, wonach uns doch eigentlich alle dürstet: Gerechtigkeit.

Könnte das auch ein Ansatz sein, der dabei hilft, die Gräben des Bundespräsidentenwahlkampfes in Österreich ab dem Abend des 22. Mai 2016 wieder zu überbrücken? Auch hier geht es ja sehr viel um hochstilisierte Gegensätze, wo vielleicht gar keine liegen müssten …

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FraMoS

FraMoS bewertete diesen Eintrag 16.05.2016 18:41:02

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