Konflikte - was ist das eigentlich und wie funktionierts (Teil 10: Zusammenfassung)

Um mit Konflikten besser umgehen zu können, gilt es zunächst einmal, das Entstehen, die Erscheinungformen und die Dynamik dahinter zu erkennen. Mit dieser Artikelserie wurde jenen Leserinnen und Lesern, die schon mal darunter gelitten haben, im Streit mit an sich geschätzten Menschen hängen zu bleiben, ein kleiner Einblick gegeben in die diesbezüglichen Erkenntnisse. Dies kann bereits helfen, sich herauszunehmen aus unangenehmen Auseinandersetzungen und wieder zum Pfad eines konstruktiven Miteinanders zurückzufinden statt sinnloser Verletzungen, die am Ende des Tages keinem helfen. Das Gefühl, nach einer heftigen Auseinandersetzung im darauf folgenden nächsten Moment der Ruhe keine Antwort auf die Frage zu haben, wozu denn die eigene Aufregung und der darauffolgende Angriff wieder gut gewesen sein sollen, wird sich vielleicht auch mit diesem Wissen nicht gänzlich vermeiden lassen. Es wird allerdings etwas leichter, die zur Versöhnung angebotene Hand bei der nächsten Begegnung nicht als eigenen Gesichtsverlust sehen zu müssen. Was man begreifen kann, lässt sich leichter in den Griff bekommen.

In den ersten Artikeln dieser Serie (Teil 1 bis 4) wurde ein grober Überblick gegeben über das Wesen von Konflikten und das Funktionieren der dahinter steckenden Dynamik.

Nicht jede Meinungsverschiedenheit ist gleich ein Konflikt

Im Alltag treffen Menschen auf eine Vielzahl von Informationen, Meinungen und mehr oder weniger deutlich artikulierte Erwartungen. Naturgemäß befinden sich darunter regelmäßig auch solche, zu welchen wir anderer Auffassung sind. In aller Regel werden diese Differenzen einen nicht weiter beschäftigen. Dies kann sich schlagartig ändern. In dem Moment, wo sich auch nur ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin der Unterhaltung, welche eine Differenz hervorgebracht hat, im selbstverwirklichten Denken, Empfinden oder Wollen behindert fühlt. Dann besteht die Gefahr, dass die Diskussion ein Eigenleben entwickelt. Das Gespräch wird plötzlich doch viel lebendiger weil emotionaler. Nun spricht man von einem interpersonellen Konflikt.

Und plötzlich hat man keinen Konflikt mehr – der Konflikt hat einen

Konflikten ist dabei eigen, dass sie bei einem Zuwenig an Achtsamkeit und gegenseitiger Wertschätzung die Tendenz zur Eskalation in sich tragen. Es setzt ab einem gewissen Punkt ein Tunnelblick ein mit stark eingeschränktem Vermögen, sein Denken, Fühlen und Wollen in der eigentlich der eigenen Persönlichkeit entsprechenden Form zum Ausdruck zu bringen. Auch das Zuhören wird zunehmend schwerer, zumal man ja ohnehin immer stärker in einer festgefahrenen Erwartung des oder der Anderen steckt und alles, was diesem solchermaßen angefertigten Bild widersprechen könnte, gar nicht mehr als ernstgemeint einstufen kann. Außenstehenden bietet sich in einem fortgeschrittenen Konfliktstadium rasch eine Beobachtung, die oftmals zur Aussage veranlasst: „Man kommt sich vor wie im Kindergarten“. Tatsächlich fallen die Akteurinnen und Akteure eines Konflikts bei fortschreitender Eskalation unbeschadet ihres tatsächlichen Lebensalters in pubertäre, präpubertäre oder sogar kleinkindliche Verhaltensmuster zurück. Sie sind es nicht mehr, die den Konflikt nach ihrem geistigen und emotionalen Vermögen steuern – der Konflikt hat das Ruder übernommen und die Akteurinnen und Akteure zu Marionetten degradiert.

Kalte Konflikte sind schwerer abzuschätzen – heiße schwerer zu ertragen

Konflikte können unterkühlt oder überhitzt oder – damit es nicht ganz so leicht wird – auch mit wechselnden Anteilen aus diesen beiden Kategorien geführt werden. Während der überhitzte Konfliktstil sich dadurch bemerkbar macht, dass Wut und Ärger offen gezeigt werden, allgemein den negativen Gefühlen deutlich und in oftmals überspitzter Form Ausdruck verliehen wird, kann der unterkühlte, eher als kopflastig bezeichnete Konfliktstil den Akteur beziehungsweise die Akteurin rasch in Depressionszustände führen: Statt der Explosionen des heißen Konfliktstils, die es gleichsam einem reinigenden Gewitter möglich machen, emotionalen Stau abzulassen, führt kalter Konfliktstil, bei welchem der Akteur beziehungsweise die Akteurin darauf bedacht ist, keine Gefühlsausbrüche zuzulassen und sich hinter dem System zu verstecken („Nicht ich habe ein Problem mit dir – es ist ein objektives Kriterium, das es einfach gebietet, dein Verhalten zu verurteilen!“), rasch zu Implosionen. Diese lassen über dadurch ausgelöste Ohnmachtsgefühle die Grundstimmung zunehmend zu einem lebensfeindlichen Terrain ohne Verschnaufpause werden.

Konflikte sind etwas sehr individuelles …

Der Zugang von Menschen zu Konflikten ist im Allgemeinen ein sehr individueller und unterschiedlicher. Konfliktscheue Menschen etwa werden scheinbar aus jeder Konfliktsituation flüchten, während konfliktfreudige Menschen im Extremfall ständig auf der Suche nach Möglichkeiten sind, Konflikte anzuzetteln und danach auszutragen. Auch ist zu beobachten, dass neben den bereits genannten Konfliktstilen der Unterkühlung oder der Überhitzung konstruktive oder destruktive Elemente in der Konfliktkultur ausgeprägter zutage treten. Es ist daher wichtig, stets im Hinterkopf zu behalten, dass kein Konflikt dem anderen gleicht, wie auch kein Mensch dem anderen in allen Punkten gleichen kann und wird. Je nach Persönlichkeit der Beteiligten werden einige Konfliktelemente intensiver wahrgenommen und erlebt, andere weniger.

Menschen reagieren dabei auf Streit sehr unterschiedlich; nicht nur von Mensch zu Mensch, auch von Situation zu Situation kann oftmals beobachtet werden, dass Provokation, Manipulation, Angriff oder auch einlenkendes Bitten verschiedene Handlungen und Worte zu begünstigen scheint. Trotz dieser sehr individuellen Komponenten lassen sich jedoch in verschiedenen Abstufungen typische Muster erkennen, mit welchen dem Konflikt begegnet wird. Flucht, Vernichtung, Unterwerfung, Delegation, Kompromiss und Konsens prägen da die am weitesten verbreiteten Strategien.

… und dennoch gibt es Muster, welche bei jedem Konflikt zu beobachten sind

Friedrich Glasl hat zur Beschreibung einer klassischen Eskalation von Konflikten ein Modell entwickelt, welches es erleichtern soll, den aktuellen Stand und das Potenzial der drohenden weiteren Entwicklung im Fall, dass kein korrigierender Verhaltenswechsel einsetzt, einzuschätzen. Der Verlauf von Konflikten wird dabei schematisch in 3, jeweils in weitere 3 Stufen unterteilte, Bereiche eingeteilt: ist es im ersten Bereich (Stufen 1 bis 3) von keinem Beteiligten beabsichtigt, das Gegenüber in eine Niederlage zu stürzen, so haben sich die Fronten im zweiten Bereich (Stufen 4 bis 6) bereits so verhärtet, dass man selbst nur noch gewillt ist, die Kampfhandlungen einzustellen, wenn der oder die andere besiegt wurde. Im weiteren Verlauf (Stufen 7 bis 9) entfaltet ein Konflikt schließlich seine volle destruktive Kraft: es ist bereits egal, wenn man selbst Schaden davonträgt – Hauptsache, dem Widerpart wird eine schmerzliche Niederlage zugefügt.

Auch das Modell des Konfliktwürfels von Michael Wandrey bietet eine hervorragende Zusammenfassung der verschiedenen Aspekte eines Konfliktes, welche nahezu immer den Verlauf beeinflussen und daher einer Betrachtung verdienen. Konflikte sind, wie auch ein Würfel, mehrdimensional in ihrer Erscheinungsform und der daraus erwachsenden Dynamik. Da wie dort ist es erforderlich, für ein Erfassen aller Seiten verschiedene Perspektiven einzunehmen, um sein Wesen weitestmöglich zu erfassen und es bedarf auch gezielter Anstöße von außen, um verdeckte Seiten zu erhellen. Wandrey streicht hier 4 Blickwinkel hervor, deren Beachtung sich bewährt hat: Konfliktumfeld, Konfliktausmaß, Konfliktinhalt und Konfliktgestalt.

Im zweiten Teil der Artikelserie (Teil 5 bis 9) ging es darum, einen groben Überblick über Vor- und Nachteile einzelner Möglichkeiten des Umganges mit Konflikten zu geben.

Von alleine läuft es selten in die gewünschte Richtung

Eine Menge von automatischen Mechanismen wirken intensivierend auf den Konflikt, und nicht umgekehrt in eine positive Richtung. Nur durch Bewusstmachen und auch durch viel Mut kann der Mensch diesen Mechanismen und somit dem destruktiven Potenzial eines Konflikts begegnen und damit die möglichen positiven Früchte aus einer bewussten Konfliktverarbeitung ernten. Wer denkt, den Kopf in den Sand stecken zu können bis wieder alles von alleine gut geworden ist, wird sehr wahrscheinlich überrascht werden von immer stärker werdenden Wellen des ausgesessen vermuteten Konflikts. Gras wächst meist nur über die Sache, wenn der zunehmend verbrannte Boden wieder aktiv aufbereitet wird und Grassamen der gewünschten Sorte gesäht und ausreichend versorgt werden. Hilfstechniken dabei kann man in den Möglichkeiten zur Steigerung der Selbstwahrnehmung, des Eigenverständnisses, der Selbstakzeptanz und der gelebten Eigenverantwortlichkeit genauso finden wie in den Kommunikationsregeln der gewaltfreien Kommunikation nach Rogers und Rosenberg. Die Auflockerung des linearen Denkens durch fernöstliche Denkweisen kann ebenso ihren Betrag für die Schaffung eines für Wachstum geeigneten Klimas leisten wie die Einnahme einer mediativen Grundhaltung in der Begegnung mit sich selbst und der Umwelt.

Wenn externe Hilfe notwendig wird, dann gibt es viele Möglichkeiten

Nicht immer reicht es allerdings, die eigenen Anteile am Konfliktgeschehen zu hinterfragen und allenfalls auch zu ändern. Dann ist es an der Zeit, über externe Hilfestellungen nachzudenken, was paradoxer Weise in unserer Gesellschaft immer noch den Nimbus der Schwäche und des Versagens trägt und daher erst oft zu spät oder auch gar nicht realisiert wird. Haben Menschen eine schwere Bronchitis, unter welcher sie sehr leiden, erscheint es ihnen selbstverständlich, Hilfe von einem Profi in Anspruch zu nehmen. Ebenso wird das Auto sofort in die Werkstatt gebracht, wenn eine Warnlampe aufleuchtet. Erstaunlicherweise ist diese Selbstverständlichkeit jedoch nicht gegeben, wenn es um wahrscheinlich ebenso schwerwiegende Komplikationen im Miteinander geht. Kosten schrecken ab, es besteht Angst um das eigene Ansehen, welches darunter leiden könnte, wenn man eingesteht, auch mal Hilfe brauchen zu können. Eine Besonderheit unserer Kultur – denn in den USA etwa würde man eher schief angeschaut, wenn man nicht mindestens einen Berater oder eine Beraterin regelmäßig aufsucht. Dabei kann, insbesondere in hocheskalierten Konfliktsituationen, juristischer Ratschlag in Kombination mit psychologischer Fachberatung viel Leid und auch Geld sparen helfen. Verschiedenste Datenbanken im Internet geben einen guten Überblick über das auch bei uns bestehende Konfliktangebot – wobei selbstverständlich wie auch bei anderen Fachleuten Wert gelegt werden muss auf Vertrauen und Qualifikation.

Von Nachbarschaftshilfe bis hin zu Mediation gibt es immer ein passendes Instrument

Je nach Stadium und Art des Konfliktes aber auch der eigenen Zielsetzung gibt es verschiedene Möglichkeiten, einen Konflikt zu beenden. Ist man gerne der Beifahrer beziehungsweise die Beifahrerin in dem Fahrzeug, welches für das eigene Leben steht, so wird man gut beraten sein bei Gericht und diversen Beraterinnen und Beratern, welche einem die Entscheidung – aber auch den Gestaltungsspielraum – abnehmen: die Verantwortung für die Konsequenzen können dann wunderbar abgeschoben werden an eine dritte Stelle. Hat man hingegen das Steuer gerne selbst in der Hand, so werden Nachbarschaftshilfe und Mediation ein probates Mittel zur Ermöglichung der Auffindung von Möglichkeiten sein, den Konflikt in allseitigem Einvernehmen beizulegen und drohenden weiteren Schaden somit abzuwenden. Therapieformen können helfen, wenn man das Gefühl hat, das Lenken des für das eigene Leben stehenden Fahrzeuges – um bei diesem Bild zu bleiben – gar nicht mehr zu beherrschen. Begleitende Beratung über eigene Rechte und den Rahmen von Möglichkeiten ist bei all diesen Möglichkeiten nie ein Fehler sondern stets anzuraten, auch für einen Wechsel des in Anspruch genommenen Weges ist es – selbst wenn es danach aussieht – eigentlich nie zu spät: die Vergangenheit kann zwar nicht mehr umgeschrieben werden, doch die Zukunft wartet darauf, ausgestaltet zu werden – mit allen Möglichkeiten.

All die aufgezeigten Aspekte dieser Artikelserie sind es wert, auch tiefergehend betrachtet zu werden. Dies war lediglich eine kurze Rundreise als Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten, Konflikten den Schrecken zu nehmen und sie vielmehr als Chance wahrzunehmen. Als Anregung. Viel Erfolg beim Auffinden von persönlichen Möglichkeiten, Konflikten die Giftzähne zu ziehen und eine beobachtete Eskalationsspirale rechtzeitig – nötigenfalls mit professioneller Hilfe – zu stoppen! Konflikte können in ein Schlachtfeld ausarten oder auch als Chance gesehen werden – jede und jeder Einzelne hat es dabei ein Stück weit in der Hand, die Richtung zu bestimmen.

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