Unser Alltag ist geprägt von vorschnellen Urteilen und Kategorisierungen. Ja, Schnelllebigkeit fordert halt ihren Tribut: vermeintliche Effizienz wird so gesucht im blitzschnellen Einordnen aller Herausforderungen und Eindrücke, die sich einem in den Weg stellen. In den Weg – ja auf welchen Weg eigentlich? Man möchte fast meinen, je schneller die Menschen durch ihr Leben rasen, desto weniger wissen sie eigentlich um ihre Ziele Bescheid. Wie der legendäre Wilde auf seiner Maschine: er weiß zwar nicht, wohin er will, doch Hauptsache, er ist schneller dort. Ist aber eine andere Geschichte.

Heute soll einmal das paradoxe Phänomen betrachtet werden, dass Menschen oft baff erstaunt sind darüber, dass der ausgelebte Drang, die Welt durch die laufende Produktion von Bewertungen in eine übersichtliche Ordnung bringen zu wollen, andere verletzen kann. Schier unverständlich erscheint es, dass es für miese Stimmung sorgt, wenn man beispielsweise seine gewonnenen Erkenntnisse über Männer und Frauen, Schwiegermütter, Nachbarn, Blondinen, Homosexualität oder Fragen der aktuellen Politik als allgemein gültige und unumstößliche Weisheit verkauft. Auch im Alltag sind Komplikationen vorprogrammiert, wenn etwa Anita von einem langen Arbeitsalltag nach Hause kommt und beim Anblick des noch nicht gespülten Geschirrs vom Mittagessen konstatiert, man habe es sich offenbar heute gut gehen lassen. „Nimm es doch nicht persönlich“, wird da dann oft gekontert auf die Reaktion in Form von emotionalen Ausbrüchen.

Dass die Reaktion eigentlich ein Geschenk ist, wird übersehen. Zeigt das Gegenüber nämlich, dass das Gehörte die eigenen Bedürfnisse berührt und als Verletzung des Wunsches nach ausreichender Berücksichtigung derselben empfunden wird, dann gibt es einen sehr tiefen Einblick in sein Selbst. Es wird durch den emotional vorgetragenen Protest ebenso wie durch das plötzliche Verstummen offenbart, was einem wirklich wichtig ist. Dass es einen persönlich betroffen macht, was da als Urteil in den Raum gestellt wurde.

Die Aufforderung, das doch nicht persönlich zu nehmen, bedeutet dann nicht bloß das Abverlangen einer unmöglichen Sache – denken Sie etwa an die Aufforderung, bitte an keine rosa Elefanten zu denken mit der Folge, dass zwangsläufig vor dem geistigen Auge ein offenbar für eine Rolle als Werbeträger für die Mannerschnitten sich bewerbender Dickhäuter erscheint. Nein, es wird also nicht bloß das Gegenteil des Bewirkten verlangt, es wird auch eine Chance leichtfertig verschenkt. Dort, wo jetzt die Gelegenheit bestünde, einander besser verstehen zu lernen mit der Chance, dabei Gemeinsamkeiten zu entdecken, die alle Seiten bereichern, wird festgehalten am Verharren auf der Oberflächlichkeit. An ihr lebt es sich schließlich schneller.

Nehmen Sie es bitte nicht persönlich – aber oberflächliche Schnelllebigkeit stinkt.

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liberty

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FraMoS

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Hansjuergen Gaugl

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