ÖBB - wie man das Image der Verspätungen ablegt

Es ist bereits dunkle Nacht. Wieder einmal kommt er nach einem viel zu langen Arbeitstag, den er zu einer Zeit, da die Sonne noch nicht aufgegangen war, begonnen hat, erst lange nach der Abenddämmerung aus dem Büro weg. Es sind Tage wie dieser an denen er gut verstehen kann, dass seine Frau sich so darüber freut, dass er auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen ist. Denn jetzt nochmals hinters Steuer seines Autos zu setzen und die rund 100 Kilometer Heimreise anzutreten wäre streng genommen bereits fahrlässig. Damit würde er infolge der sicher bereits beeinträchtigen Konzentrationsfähigkeit nicht nur sein Leben riskieren mit fürchterlichen Auswirkungen auf seine Familie, er würde auch die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer gefährden.

Um so späte Zeit ist der Fahrplan der öffentlichen Verkehrsmittel bereits von einem sehr breiten Zeitintervall geprägt. Dass er eine U-Bahn knapp verpasst bedeutet daher, bereits 7 Minuten auf die nächste zu warten. Zum Glück kalkuliert er solche Wahrscheinlichkeiten immer ein und er kann sich sicher sein, den Zug trotzdem noch pünktlich zu erwischen. Am Bahnhof muss er dann halt ein wenig laufen, um spätestens 1 Minute vor der Abfahrtszeit seines Zuges am Bahnsteig zu sein. Die Energie bringt er noch auf - denn den Zug zu verpassen hieße, 1 Stunde weniger Schlaf zu haben, 1 Stunde weniger der kostbaren Zeit zu Hause.

Doch an diesem Abend sollte er etwas lernen: zwar hat er es in der Tat geschafft, pünktlich da zu sein, aber als er am Bahnsteig ankam stieg der Schaffner - zu ihm blickend - auf, pfiff, und der Zug setzte sich in Bewegung. Selbst die Durchsage am Bahnsteig, welche zur Vorsicht mahnt infolge des abfahrenden Zuges, war offenbar so perplex, dass sie ihre Stimme erst fand, als der Zug bereits den Bahnhof verlassen hatte.

Eine Stunde verloren. Krönung auf der verspäteten Heimfahrt war dann, dass der nächste Zug erst zwei Minuten nach der im Fahrplan angegebenen Zeit abfuhr. Fehlte da etwa die Motivation der zumindest pünktlichen Abfahrt, weil niemand mehr angelaufen kam kurz vor der im Fahrplan angeführten Zeit?

Die ÖBB, mit diesen Schilderungen konfrontiert, sind da um eine Erklärung nicht verlegen: Das Zugpersonal ist angewiesen, den Zug etwas früher als im Fahrplan angegeben abzufertigen. Ja, richtig gelesen: angewiesen - früher als im Fahrplan angegeben. Wenn der Zug abgefertigt wurde ist es dann aus Sicherheitsgründen auch nicht mehr erlaubt, jemanden zusteigen zu lassen. Auch wenn der Zug noch einige Minuten auf dem Bahnsteig hält ist ein Zusteigen nicht mehr erlaubt.

Na, da bleibt nicht nur der von den ÖBB gesteuerten Abfahrtsansage am Bahnsteig die Spucke weg. Auch die üblicherweise Verspätungen erduldenden Fahrgäste staunen hier. Wird da etwa die Verspätungsstatistik damit geschönt, dass verfrühte Abfertigungen von Zügen gegengerechnet werden?

Er wird auch weiterhin die Dienste der ÖBB in Anspruch nehmen: seiner Familie zuliebe, die dann beruhigter hinnehmen kann, wenn es wieder mal spät wird; der Umwelt zuliebe, da es doch ein nicht unerheblicher Beitrag zur Verminderung der Schadstoffesmmissionen ist, den er damit leistet; und auch seiner Geldtasche zuliebe, da die Jahreskarte für die ÖBB zwar eine Stange Geld kostet, die Vollkostenrechnung für die Nutzung des eigenen PKW aber einen deutlich höheren Betrag ergibt. Hinkünftig weiß er aber, dass die Fahrpläne der ÖBB eine bloße Angabe ungefährer Zeiten beinhalten mit nicht nur möglichen Verspätungen, sondern auch erwartbaren, von oben angeordneten, verfrühten Abfertigungen. Die ÖBB sind also für Überraschungen in alle Richtungen gut - ein gelungener Imagewechsel?

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Hansjuergen Gaugl

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