Warum oder Wozu? - ein kleiner sprachlicher Unterschied mit weitreichenden Auswirkungen

Markus und Anna haben sich wieder gezofft. Eigentlich aus dem Nichts heraus: er ist davon ausgegangen, dass sie sich freuen werde, wenn er ihr ein schönes Abendessen zubereitet und sie hatte nur Augen für die Unordnung in der Küche. Und dann ergab eines das andere: plötzlich bekrittelte sie seine unermessliche Schlamperei und dieses Matschogehabe, das er an den Tag lege wenn er glaubt, sie habe noch nicht genug zu tun und müsse ständig hinter ihm herputzen. Er, nicht auf den Mund gefallen, hatte ebenfalls sofort Vorwürfe parat: es sei eh wieder mal logisch, dass er ihr nichts Recht machen könne und er sich schon lange die Frage stelle, ob sie denn einen anderen habe; denn im Bett sei ja auch nur noch tote Hose. Er konnte sich, kaum hatte er seinen wortgewaltigen Konter fertig gespielt, gerade noch rechtzeitig ducken - der Teller verfehlte um Haaresbreite seinen Kopf, die darauf liebevoll drapierten Köstlichkeiten verteilten sich quer über den Raum statt der ihr eigentlich zugedachten Bestimmung einer anregenden Vorspeise nachkommen zu können. Das darauffolgende Gebrüll, bei welchem auch durchaus bedrohlich wirkende Gestik eingesetzt wurde von den beiden, fand erst sein Ende, als sie die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zuwerfend die Wohnung wieder verließ. Ihn, bebend vor Zorn und Verzweiflung, zurücklassend.

Sehr wahrscheinlich wird man sich nun die Frage stellen: "Warum ist denn das passiert?". Eine sicher sehr spannende Frage, welche sich meistens die Protagonistinnen und Protagonisten solcher und ähnlicher Szenen, wie sie sich zu Hauf ununterbrochen in unserer Umgebung abspielen, selbst auch stellen. Darüber kann man sich wunderbar den Kopf zermartern, jede einzelne Episode des bisherigen Verlaufes der Beziehung hernehmen und von allen Seiten betrachten. Es lassen sich hervorragend plausibel klingende Begründungen finden. Vielleicht sogar solche, die mit der Beziehung gar nichts zu tun haben sondern dem Schicksal oder noch besser der verkorksten Kindheit des anderen zugeschrieben werden. Oder noch besser: der Schwiegermutter, welche ja ohnehin an allem Schuld ist weil sie doch den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als das eigene Kind gegen einen aufzuwiegeln.

Lassen wir zu dieser in unserer Gesellschaft weit verbreiteten und fast schon reflexartigen Forschung nach dem "Warum" einmal die vielen möglichen Irrwege und die Gefahr weg, auch in jahrelanger Suche selbst mit psychoanalytischen Kenntnissen maximal Auslöser, nicht aber die eigentliche Ursache wirklich herauszufinden. Gehen wir kurz davon aus, dass wir tatsächlich den Grund herausfinden können als Ergebnis der energieraubenden Suche, die eine unmenschlich anmutende Ausschaltung der Emotionen bedingt zwecks Herstellung des dafür erforderlichen analytischen kühlen Kopfes. Markus und Anna erkennen also, dass es hier um einen latenten Konflikt zwischen ihnen geht wegen des für beide unbefriedigenden Verlaufes des letzten Erholungsurlaubes. Der einfach ausgebrochen ist nicht wegen der bewussten Erinnerung daran, dass der unverarbeitet gebliebene faule Kompromiss der beiden im letzten Urlaub dazu geführt hat, dass ihn keiner so recht genießen konnte, sondern wegen des Situationsreizes der empfundenen Nichtbeachtung: sie fühlte sich missverstanden in ihrem Bedürfnis, nach einem stressigen Arbeitstag einfach nur noch Ruhe haben zu wollen und dennoch die Küche am nächsten Morgen für den Kaffee vor dem Aufbruch in den Tag so vorzufinden, wie sie sie heute in der Früh verlassen hat, also sauber; und er fühlte sich missverstanden in seinem Bemühen, ihr einen romantischen Abend zu bereiten. Was hilft es den beiden allerdings, dieses "Warum" zu erkennen? Ist es hilfreich dabei, die entstandenen weiteren Verletzungen auszublenden? Begreifbar wird dadurch zwar vieles, aber es wird auch sehr deutlich, wie irreversibel diese in den Vordergrund gehobenen Ursachen sind: Geschichte kannst Du einfach nicht umschreiben, Du kannst maximal versuchen, aus ihr zu lernen.

Hilfreicher in nahezu allen Situationen, in welchen die Frage nach der Kausalität "Warum" gestellt wird, ist es, sich nach vorne gerichtet zu fragen: "Wozu?" Wozu war es gut, dass der Teller geflogen ist? Wozu war es gut, dass Markus in seiner Wut, Verletztheit und Verzweiflung vollkommen ohne ersichtlichen Grund gleich ihre ganze Beziehung in Frage gestellt hat?

Der Austausch dieses kleinen Wortes, welches von Germanisten trotz allen Feingefühls für die Sprache oftmals leichtfertig als Synonym verwendet wird, hilft dabei, sehr rasch an mögliche Lösungen heranzufinden. Ganz ohne weitere Zuweisungen von Verantwortungen zu Ereignissen, welche ohnehin nicht mehr zu ändern sind. "Wozu" richtet nämlich das Hauptaugenmerk vollkommen automatisch nach vorne und lässt die Motivation aufkommen, etwas zu ändern. Wozu war der Streit zwischen Markus und Anna gut? Nun, vielleicht hilft er dabei, endlich zu erkennen, wie wichtig offene und ehrliche Kommunikation auch über Sachen ist, zu welchen man glaubt, die andere Seite müsse sie eh wissen beziehungsweise zu denen man vermeint die Haltung des Gegenübers zu kennen. Wieder zu erkennen, wie sehr beide das Bedürfnis verspüren, vom partnerschaftlichen Gegenüber "gesehen" zu werden: beide wollen Anerkennung dafür, was sie alles füreinander leisten, beide wollen zugestanden bekommen, eigene Bedürfnisse zu haben, beide lechzen nach Wertschätzung. Und da ist es wenig hilfreich, einander einfach mal zu unterstellen, immer punktgenau die eigenen Bedürfnisse erkennen zu können und dem Gegenüber jeweils unterschwelig zu unterstellen, diese ohnehin nur negieren oder gar mit Füßen treten zu wollen. Bei der Frage nach dem "Wozu" des Streits wird daher rasch Potenzial erkannt zur Weiterentwicklung der Beziehung, während "Warum" tenednziell eher den Weg in Richtung einer Beendingung weist.

Markus und Anna haben die Wahl: Sie können sich selbst sowie gegenseitig quälen mit der Frage, warum es wieder mal so eskaliert ist statt des ruhigen Abends, den sie sich doch eigentlich gemeinsam gewünscht haben. Sie können sich dabei noch weiter voneinander entfernen, einander noch weiter von sich stoßen. Mit einem dahinschwelenden Konflikt, welcher schon bei der nächsten offen herumliegenden Zahnpastatube wieder seine Fratze zeigen wird und die beiden zu Aktionen treibt, die eigentlich sogar ihren eigenen Bedürfnissen widersprechen. Oder aber sie fragen sich, wozu diese Eskalation gut ist, was sie daran erkennen können, was sie ändern wollen und können. In letzterem Fall wird es sehr wahrscheinlich sein, dass es ihnen schon bald gelingt, den Abend unter gleichen Voraussetzungen anders ablaufen zu lassen:

Markus und Anna haben einen gemütlichen Abend verbracht. Eigentlich waren die Vorzeichen ja nicht so toll: er hatte, obwohl eher ungeübt im Kochen, seiner Liebsten ein wunderbares Abendmahl zubereitet und dabei für ordentliches Chaos gesorgt in der Küche; sie war genervt, weil der Tag echt stressig war und sie einfach nur noch ihre Ruhe wollte. Als Anna das Chaos in der Küche und den gedeckten Tisch sah, bedankte sie sich bei Markus dafür, dass er sich solche Mühe gegeben habe und sie es echt eine liebe Idee findet, dass mal wieder ein Candlelightdinner auf dem Plan stehe;  es sei so schade, dass sie sich nach dem nervigen Tag einfach nur noch reif für die Couch fühle und sie wage es gar nicht daran zu denken, wie es noch zu schaffen sei, die Küche wieder sauber zu bekommen, weil es ihr wichtig sei, in der Früh ihren Morgenkaffee in einer aufgeräumten Küche zu genießen. Solchermaßen zwar mit einem Problem konfrontiert, aber auch mit einer Einladung, an einer Lösung mitzuwirken statt sich verteidigen zu müssen für die gut gemeinte Überraschung, ergab das eine das andere: er konnte die Wertschätzung dahinter, dass Anna trotz des stressigen Tages schnell nach Hause gekommen war, ebenso erkennen wie das ausgedrückte immer noch bestehende Interesse von Anna an Romantik mit ihm; sie kamen überein, dass sie nun einmal gemeinsam das Essen genießen und Anna ein wenig erzählen kann über ihren Tag; danach nahm Anna ein Entspannungsbad während Markus sich noch der ohnehin zu beseitigenden Spuren in der Küche annahm. Schließlich schliefen sie noch kuschelnd auf der Couch ein.

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Herbert Erregger

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Silvia Jelincic

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Bernhard Juranek

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