Was wir aus den jüngsten Wahlen wieder lernen könnten

"Jeder Deutsche hat die Freiheit, Gesetzen zu gehorchen, denen er niemals zugestimmt hat; er darf die Erhabenheit des Grundgesetzes bewundern, dessen Geltung er nie legitimiert hat; er ist frei, Politikern zu huldigen, die kein Bürger je gewählt hat, und sie üppig zu versorgen – mit seinen Steuergeldern, über deren Verwendung er niemals befragt wurde. Insgesamt sind Staat und Politik in einem Zustand, von dem nur noch Berufsoptimisten oder Heuchler behaupten können, er sei aus dem Willen der Bürger hervorgegangen." Dieser bereits 2001 ausgestellte Befund von einem anerkannten deutschen Universitätsprofessor (Dr. Hans Herbert von Arnim in "Das System. Die Maschenschaften der Macht", S 19) erschreckt. Wird da wirklich auf unser Regierungssystem Bezug genommen? Oder wird da ohnehin nur eine jener Diktaturen beschrieben, welche regelmäßig Eingang finden in die Menschenrechtsberichte und aus welchen die Menschen trachten zu entkommen? Vielleicht ist es ja auch bloß eine Beschreibung jenes Staatskonzeptes, welches uns im vorigen Jahrhundert in den Zweiten Weltkrieg geführt hat.

Betrachten wir den theoretischen Aufbau unserer Demokratie, so werden wir zunächst erleichtert sein: immerhin schreibt die Verfassung demokratischer Rechtsordnungen wie jener Deutschlands (Artikel 20 Absatz 2 GG: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen [...] ausgeübt“) doch genau das Gegenteil vor. Auch in Österreich besagt Artikel 1 der Bundesverfassung, dass das Recht vom Volk ausgehe. So weit, so gut. Haben also ohnehin wir das Sagen.

Alle paar Jahre werden wir entsprechend diesem demokratischen Grundsatz eingeladen, auf den verschiedensten Ebenen wie in den Gemeinden, den Ländern, dem Bund und der Europäischen Union die Zusammensetzung der Parlamente und damit zumindest indirekt auch die Zusammensetzung der Regierung zu wählen. Zur Wahl stehen dabei in erster Linie Parteien. Sicher, da gibt es auch ein paar Personen, die sich hervortun vor allem in Zeiten des Wahlkampfes, doch in erster Linie scheinen diese sich an das jeweilige Parteiprogramm gebunden zu fühlen. Dies bestätigt auch eine im Sommer 2013 durchgeführte Studie, wonach sich die Abgeordneten des österreichischen Parlaments eher dem Parteiprogramm verpflichtet fühlen als den Bürgerinnen und Bürgern: diese gelte es vielmehr zu überzeugen, dass die eingeschlagenen Wege ohnehin das Beste für sie ist.

In so einem Wahlkampf treffen daher verschiedene Weltanschauungen aufeinander. Gar nicht einmal so sehr die der Menschen, sondern eher die der Parteien, die sich abzugrenzen versuchen vom Mitbewerb. Mit Auswirkungen auf die solchermaßen indoktrinierten Menschen. Es wird mit weit überspitzten Forderungen gebuhlt um Zustimmung und Legitimierung für die eine oder auch die andere Linie. Meist ohne dabei darzulegen, was dies konkret bedeuten soll. "Ausländer raus" verkommt dabei ebenso zu einem für den einzelnen wenig greifbaren Slogan wie Versprechen einer "familienfreundlichen Politik" oder der "Erneuerung". Wenn es darum geht, im Detail darzulegen, welche konkreten Maßnahmen diese Zielsetzung in sich tragen soll, so kommen meist nur Wiederholungen und allgemeine abstrakte Phrasen, angereichert um emotionale Erlebnisberichte. Spindoktoren aus aller Welt werden von den Parteizentralen angeheuert, um noch plakativere Wahlkampfversprechen formulieren zu können. Paradox, denn die Expertinnen und Experten für das, was eine Gesellschaft in ihrer Einzigartigkeit wirklich nach vorne brächte, gibt es zu Hauf im eigenen Wahlvolk: Menschen, die dem demokratischen Grundsatz eigentlich erwarten, dass ihre Interessen gehört und aufgegriffen werden, um den Alltag besser machen zu können.

Die Parteien scheinen sich dabei auch eines psycholgischen Phänomens zu bedienen: Studien zur Einkaufsforschung haben ergeben, dass Menschen, wenn sie unglücklich sind, viel leichter zum Einkauf zu bewegen sind. Wenn man so darüber nachdenkt, wie sich das Wahlverhalten der Menschen in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat bei so genannten "uns gehts gut"-Wahlkämpfen, steht der Schluss nahe, dass diese Beobachtung auch auf den Wahlentscheid umgelegt werden kann. Menschen, die sich in Angst und Sorge versetzt fühlen, scheinen eher bereit, am Wahltag die Stimme zu geben als Menschen, denen das Gefühl vermittelt wird, es passe alles.

Am Wahltag ist dann der Kopf voll mit den verschiedensten Verprechungen der unterschiedlichen Parteien. Ja, ein paar Probleme gibt es ja, die dringend gelöst werden sollten: im Kindergarten war unlängst die Sprache davon, dass die Aggressivität der Kinder steige; im Bekanntenkreis ist zunehmend von der Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, die Rede und das bislang nur aus der Zeitung bekannte Phänomen des Burn-Out hat bei einem Freund zugeschlagen; in den Zeitungen steht dauernd was vom Budgetdefizit, das einzudämmen sei - was sich für einen erfahrenen Menschen wie eine Ankündigung einer neuen Belastungswelle anfühlt - und die Ankündigung von Flüchtlingen in unvorstellbar hoher Anzahl macht irgendwie Angst. Aber man darf ja jetzt mitbestimmen, wie die nächsten Jahre aussehen sollen, welche Maßnahmen zu setzen sind. Mit einem Kreuzerl bei einer Partei, die das alles in die Hand nehmen soll. Bloß bei welcher? Werden die, die die Grenzen dicht machen wollen, auch darauf schauen, dass das friedliche Miteinander wieder besser funktioniert? Und überhaupt: wer ist denn eigentlich "Ausländer"? Die Mutter eines guten Freundes ist auch einst zugewandert nach Österreich, als Arbeitskräftemangel bestand bei uns. Ist sie jetzt auch abzuschieben? Oder doch die Partei wählen, welche verspricht, die Errungenschaften des Sozialstaates bewahren zu wollen? Oder die Erneuerer? Oder ...

Die Entscheidung am Wahltag ist also nicht leicht. Und sie erinnert ein wenig an den Maler, welcher zur Behebung eines Rohrbruches gerufen wird: mit wasserfester Farbe über die an der Wand sichtbaren Herausforderungen des sich ausbreitenden Wassers drüberzupinseln gibt dem Ganzen zwar kurzfristig einen optisch schönen Anstrich, ist aber irgendwie nicht ganz im Sinne einer optimalen weiteren Nutzung des Gebäudes gelegen. So scheint es auch bei dem Buhlen um die Wählerstimme: es werden vielsagende Programme und reisserische Versprechen sowie pauschal gehaltenene Ankündigungen eingesetzt, um die Wahlberechtigten dazu zu bringen, dem ohnehin bereits eingeschlagenen Weg den Anstrich der Legitimation zu geben. Übrig bleibt dabei viel zu oft das, was die Menschen wirklich bewegt, ohne den Soufleur des Spindoktors, welcher Emotionen anheizt, die eigentlich in der persönlichen Rangordnung der Menschen gar nicht so bestanden haben.

Am Wahlabend und in den darauffolgenden Tagen wird dann meist sehr rasch zur Tagesordnung übergegangen: es wird von den Wahlverlierern eingestanden, zu wenig auf die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern geachtet zu haben - ohne dass danach Änderungen bemerkt werden könnten - während die Wahlgewinner meist in den Kreisen jener gefunden werden können, welche in den Wochen zuvor besonders stark emotionalisiert haben. Themen haben kaum Bedeutung. Themen und damit Gesetze werden meist im Verborgenen mit wenigen eingeweihten Personen ausverhandelt und in einem Koaltionspakt festgeschrieben. Wobei darin dann auch die wunderbare Begründung dafür gefunden wird, dass die emotional gefahrenen Linien im Wahlkampf nur wenig Niederschlag finden: es war nicht möglich, da ja Kompromisse mit dem Koaltionspartner gefunden werden mussten.

Zurück bleiben Wählerinnen und Wähler, welche das alles nur schwer verstehen. Welche im Zank miteinander sind, angestachelt von den emotionalen Machtspielen des Schaukampfes der Parteien im Wahlkampf. Welche sich gegenseitig in Lager drängen während die Parteien einander schon zu Koaltionen finden, welche im Wahlkampf noch als Pakt mit dem Teufel kategorisch ausgeschlossen wurden. Ja, es ist doch was dran an der eingangs zitierten Befundaufnahme. Es geht hier doch weder um eine historische Beschreibung des Staatskonstrukts, noch um das Wesen einer Diktatur: es ist unsere Demokratie, welche hier beschrieben wird. Dies sollte uns eine Handlungsverpflichtung auferlegen: wollen wir unsere Gesellschaft nicht in den Abgrund führen - stumm in das zunehmende Lager der Nichtwähler oder lauthals aufschreiend in das Lager der Protestwähler wechselnd - so ist es dringend geboten, Demokratie wieder zu dem zu machen, was es eigentlich sein sollte. Optionen gibt es viele: von echten Vorzugstimmensystemen angefangen, bei welchen die Person und nicht die Partei im Vordergrund steht, über politische Mediation bis hin zu einer Umstellung des Wahlsystems von einem Parteienwahlkampf hin zu einem an Volksbefragungen erinnernden Themenwahlkampf, zu dessen Umsetzung dann Parteien gefunden werden müssen, gibt es viele Ideen. Es ist Zeit, etwas davon aufzugreifen. Höchste Zeit!

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Bernhard Juranek

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