Nun hält Pegida also auch in Österreich Einzug. In jenem Land, in welchem vielerorts das Kipferl zum morgendlichen Kaffee als Frühstück zelebriert wird und der Döner zu einem der beliebtesten Snacks zählt. Seit 20. Oktober des vorigen Jahres ist der deutsche Verein "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" ausgehend von Dresden in mehreren deutschen Großstädten aktiv: es werden wöchentliche Demonstrationen veranstaltet, bei welchen die Asyl- und Einwanderungspolitik kritisiert wird. Und diese Kundgebungen haben nicht nur eine magnetische Wirkung auf jene Menschen, welche ihrer Unzufriedenheit über den ursprünglichen Grundgedanken von Pegida hinaus ihrer Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik Ausdruck verleihen wollen - es finden nun auch regelmäßig Gegenveranstaltungen statt. Jeweils in einer Größenordnung, dass die uns aus unserer jüngeren Vergangenheit bekannten Donnerstagsdemos wie ein Kaffeekränzchen anmuten. Islam gegen Christentum, Morgenland gegen Abendland, "Gutmenschentum" gegen "Patriotismus" scheint hier auf den ersten Blick das solchermaßen auf die Straße gebrachte Duell zu lauten, zu welchem die Gesellschaft ultimativ aufgefordert zu werden scheint, Farbe zu bekennen. So kursieren etwa bereits die ersten Aufforderungen, Freundschaften mit Befürworterinnen und Befürwortern des jeweils anderen Lagers zu beenden: auf facebook nimmt einem zum Beispiel eine eigens entwickelte und bereits weit verbreitete App auch gleich die Arbeit bei der Verabschiedung von jenen Personen auf der Freundesliste ab, welche "Pegida"-affinen Gruppen ein "Gefällt mir" geschenkt haben. Frei nach dem Motto: "Du kannst den dort geäußerten Ängsten etwas abgewinnen, dann musst Du ein Mensch sein, mit dem ich nichts mehr zu tun haben will." Was damit zum Ausdruck gebracht wird ist fatal und zwingt Menschen über den Gruppenzwang in Rollen, welche sie eigentlich gar nicht einzunehmen bereit sind: es zählt nicht mehr der Mensch, es zählt das Dogma. Nun also auch auf Wiens Straßen.

Um was geht es dabei eigentlich? Die Wurzeln der Bewegung von diesen zwei sich gerade auch auf unseren Straßen verhärtenden Polen kennen wir eigentlich bereits lange Zeit: können Sie sich noch an Salman Rushdie erinnern? 1988 hatten seine "Satanischen Verse", in welchen er eine nicht der kanonischen Fassung des Koran entsprechende Lebensdarstellung des Propheten Mohammed beschrieb, zu einem Aufschrei unter den gläubigen Moslems geführt. Das daraufhin in einer Fatwa 1989 ausgesprochene Todesurteil mit ausgelobten sehr hohen Prämien für dessen Vollstreckung gegen den Autor erschreckte danach die restliche Welt. Bald schon fand allerdings eine Klarstellung durch religiöse Autoritäten in Saudi-Arabien und darauf folgend auch der Organisation der Islamischen Konferenz statt, welche die Fatwa als illegal und dem Islam widersprechend verurteilte. Eine entradikalisierende Richtigstellung, welche zwar Rushdie selbst wenig half, aber immerhin klarlegte: so radikal, wie der Islam als Feindbild gerne hingestellt wird, ist er selbst dann nicht, wenn seine Symbole verunglimpft werden.

Etwas näher an der aktuell sich aufbauenden Eskalation waren einige Jahre später die Ausschreitungen, welche ihren Ausgang genommen haben in einem dänischen Kulturprojekt, welches sichtbar geworden war in Form jener Mohammed-Karrikatur, die am 30. September 2005 in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten abgebildet war. Damals war der auf den Straßen zum Ausdruck gebrachte Unmut schon wesentlich lauter - mit leider auch bereits deutlich mehr zu beklagenden Opfern.

Der jüngste Terroranschlag auf "Charlie Hebdo", das Satiremagazin, das mindestens 12 Menschenleben kostete, gibt nun Pegida aktuell neue Nahrung. Wobei hier auch stark mit Symbolen gespielt wird, welche dadurch Gefahr laufen, einen Wandel in ihrer Bedeutung zu erfahren. Etwa die Trauerschleife: bislang war sie immer als humanitäres Zeichen der Mitmenschlichkeit, der Solidarität mit Opfern und deren Familien sowie der gemeinsamen Trauer über politische und ethnische Grenzen hinweg verstanden und eingesetzt worden. Nun wird sie von Pegida als Symbol des geschlossenen Auftretens gegen eine Glaubensgemeinschaft, gegen eine "Islamisierung unserer Kultur" instrumentalisiert: Einladungen zu Kundgebungen mit dieser Zielrichtung werden mit ihr ausgesprochen; die Trauerschleife erhält hier die Aufgabe, Solidarität nicht nur mit den Opfern des zu ohne jeden Zweifel zu verurteilenden Anschlages in Paris zu zeigen, sondern darüber hinaus mit der politischen Ausrichtung der Kundgebungen. Ein Schritt, welcher Menschen in ein Dilemma bringt und dabei weit über die eigentliche Grundzielgruppe hinaus mobilisiert für Pegida: auch wenn man mit einer pauschalen Ausgrenzung fremder Religionen und Kulturen in seiner Heimat nichts am Hut hat so wird man doch verleitet, sich des Symboles zu bedienen und damit in den Sog der neu erfahrenen Wirkung zu geraten: willst Du Trauer und Mitgefühl mit den Opfern zeigen, so solidarisiere Dich zugleich mit dem Kampf gegen "das Andere".

Es ist erschreckend, dass wir uns wieder einmal mitten in einer Epoche zu befinden scheinen, in welcher Menschen auf ihre Glaubenszugehörigkeit reduziert und pauschal verurteilt werden. Nein, es handelt sich da um keine Kapiteln aus dem Geschichtelexikon, was da aktuell wieder in den Zeitungen steht; es sind keine Vorkommnisse, zu welchem wir im Schulunterricht noch kopfschüttelnd gemeint haben, wie denn das nur passieren konnte und weshalb da nichts rechtzeitig dagegen unternommen wurde. Nein, es sind Schilderungen der Vorkommnisse, welche sich heute mitten unter uns abspielen. Und dabei übersehen wir, dass wir da in eine Spirale der Eskalation laufen: Menschen, die wegen ihres Glaubens in einen Topf geworfen werden mit menschenverachtenden Attentätern, werden einem doppelten Druck ausgesetzt. Denn einserseits erfüllt es sie selbst mit Schmerz, dass ihr Glaube missbraucht wurde für die Zufügung von grausamem Leid, andererseits verstehen sie die Ungerechtigkeit nicht, welche ihnen entgegengebracht wird, indem ihre ebenfalls bestehende Trauer nicht geglaubt wird sondern sie vielmehr mit den Tätern in einen Topf geworfen werden. Sind Anschläge auf das Leben von Menschen nicht unabhängig von Religion oder Herkunft zu verurteilen? ist Ausgrenzung einer ganzen Gesellschaftsgruppe wegen ihrer Herkunft und ihres Glaubens tatsächlich die Antwort auf alles Übel in unserem Land? Wo werden gegebenenfalls dabei überhaupt die Grenzen gezogen?

Es gilt nun für uns alle, sehr vorsichtig zu sein, möchte man nicht zusehen müssen, wie es unsere Gesellschaft und damit unseren sozialen Frieden zerreisst. Halten wir kurz inne und beginnen wir, Sorgen und Ängste der Menschen Ernst zu nehmen und gemeinsam über Grenzen der Religion und der Herkunft hinweg darüber nachzudenken, was wir brauchen und welche Möglichkeiten es geben kann, unseren Bedürfnissen als Individuum zu entsprechen. Miteinander. Über Grenzen hinweg. Alles andere würde nämlich sehr rasch dazu führen, dass wir selbst die kühnsten Träume jener radikalen Kräfte übertreffen, welche uns Schlechtes wünschen: wir würden in die Selbstvernichtung unserer Gesellschaft schlittern.

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Hansjuergen Gaugl

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