"Ich liebe das Fernsehen und das Fernsehen liebt mich"

Erster Teil

Ich möchte euch gerne erzählen, wie ich heute fernsehe. Meistens habe ich Meta-Gedanken. Wenn zum Beispiel die Schauspieler die wildesten, einsamsten, gefährlichsten Gegenden erobern, denke ich immer noch darüber nach, wo und wie die Kamera positioniert sein könnte - dieser Gedanke gilt auch für die Szene, in der Herakles mit den Riesen kämpft. Wir "sehen" die Schauspieler bei den abenteuerlichsten Aktionen, aber wir vergessen, dass wir das ohne ein ganzes - unsichtbares - Kamerateam, einen Tontechniker, einen Cutter, einen Drehbuchautor, einen Kameramann nicht sehen würden... Wenn die Hauptdarsteller in tödlicher Gefahr sind, weiß ich, dass sie überleben werden, die Serie hat 3 Staffeln! ...

Hauptsächlich schaue ich Natur- und geografische Sendungen. Sport natürlich auch, z.B. Radrennen zeigen wunderbare Landschaften, Orte, Menschen. Auch interessant: tragen die nun Masken oder nicht? Außerdem sind Sportarten interessant, weil sie rein künstlich sind, reine Live-Ereignisse, ohne große Auswirkungen auf die Welt (wenn man den ganzen Müll, den die Rennfahrer wegwerfen, nicht mitzählt).

Nachrichten, politische Sendungen, Wettbewerbe, Live-Shows und Reality-TV gehören nicht zu meinen Favoriten. Aber die gleichen Konzepte des Sehens sind auch dort wertvoll. Für alle Programme: Wie ist die Körpersprache der Beteiligten? Gibt es besondere Blickwinkel, sagen wir mal die unvorhergesehenen, unerwünschten Dinge? Sind die Haustüren in Sichtweite abgekratzt? Steht eine Telefonnummer auf dem T-Shirt des Fahrradkuriers? Mit Fünfen? Welche unglaublichen orthographischen Fehler werden in den Untertiteln gemacht? Welche Pizza-Werbung ist zu sehen, bevor sie von der Staubwolke der einstürzenden Zwillingstürme verschluckt wird? Wie viele und welche Bäume sind bereits in gelber Kleidung? Wie viel Prozent Alkohol hat der Chartreuse-Likör? Welche Farben haben die Verpackungen der Heurollen auf den goldgelben Getreidefeldern? Seit wann ist die Skisprungschanze in Grenoble aufgegeben? Gibt es überall Graffiti? Und warum sehen sie überall gleich aus? Trägt ein indonesischer Fischer ein "Lionel Messi"-Shirt? Diese Dame hat ein Muttermal im Mundwinkel. Das beeindruckt mich nicht besonders. Gibt es jemanden auf der Welt, der Michael Jackson nicht kennt? George Clooney ist nicht richtig rasiert. Mit wem hatte Clint Eastwood während der Dreharbeiten zu "Million Dollar Baby" eine Liebesaffäre? Diese schwarz-weiß gestreifte Krawatte ist wunderschön! Komisch, dass Robert de Niro - dessen Mutter aus Italien stammt und der 50 Jahre lang in New York lebte, ohne Englisch zu sprechen - mehrere schwarze Frauen geheiratet hat. Dass ein Kinofilm - er wie alle weiteren - ein Dokument der Geschichte ist. Natürlich sind einige in der Vergangenheit angesiedelt, aber auch die zeitgenössischen Filme sind historisch, zum Beispiel "Vivre sa vie" von Jean Luc Godard (1962): Sehen Sie sich die Autos an! Die Küchengeräte! Die Kleider! Und alles andere. Der US-Regisseur sagt zu seinem weiblichen Star: Es wird einige Fick-Szenen geben, aber entspannen Sie sich, Sie können Ihren BH anlassen! Vollbremsung. Kaputte Tassen im Wohnwagen. Aquaplaning. Bücherregale im Hintergrund. In der Anwaltskanzlei oder im Bürgerhaus: jede Menge alte grüne Bände nebeneinander gestapelt. Wer wird sie jemals lesen? Hausherr sein. John Malkovich sein. Eine Gehirnwäsche bekommen. Immer Bilder an den Wänden. Manchmal Qualitätsware, manchmal Kitsch. Einen Cowboy anrufen. Hochs und Tiefs über Denver und Dallas. Durchwachsene Wolken in Paraguay. Soziale Distanz in Guantanamo. Roter Frosch auf grünem Laub. Tagelanger Dauerregen. Der deutsche Name für Faultier ist "Faultier". "Faul" bedeutet "faul". Aber Faultiere sind nicht faul, oder? Das Paris von Nestor Burma: Das Wasserreservoir von Montsouris.

Zweiter Teil

Tatsächlich ist diese Art des Fernsehens auch ohne Ton möglich, es ist sogar besser so. Lies von meinen Lippen ab. Ausnahme: eine Sendung gegen Kolonialismus und Rassismus. Mit Ton ist es ein kategorisches politisches Statement, ohne einen bloßen Tanz nackter schwarzer Kannibalen, dem eine Raubtiershow vorausgeht und eine Schmetterlingsshow folgt...

Der Funkverkehr ist nicht zu verstehen. Affen gegen Nazis. Atmosphärische Störungen.

Das ist doch nicht wahr, oder? (Musik geht weiter). Wenn man mit dir zusammen ist, gibt's keine andere Möglichkeit als rumzuficken! (Musik hört auf) (sie atmet schwer).

Rettungsgurte unter den Sitzen. Bao Bai 1913. Ich hasse Maté. Macaulay & Co. Schöne Künste. All diese Hölzer in Haufen am Strand! Wir wollen hier in Harmonie leben.

Ein abgelegenes Tal als Rückzugsgebiet für den Widerstand. Weite, menschenleere, felsige Hänge, aber kleine Bauernhöfe inmitten grüner Gärten sind zu sehen. Joe Biden erwähnt den Klimawandel. Enge Verbindung zur Erde unserer Vorfahren (Has anybody seen my love?). Achtung, bedrohte Arten! Hunde müssen höflich sein. Bitte kokua. Dreißig Meter unter dem Hubschrauber hängt der Offizier an einem Seil und hält Ausschau nach Marihuana-Feldern. Grasland! Nebelschwaden. Patrick Modiano. Zwielichtige Geschichte.

Wäre ich vom Mars, würde ich Folgendes sagen: Seltsam, die Menschen hier tragen meist eine Art Uniform: Männer mit weißen Oberteilen und einer Art steifem Kragen, ein auf der Brust zusammengebundenes Stück Stoff, das in einer Spitze endet und oft farbige Streifen aufweist, Frauen in engen, melierten blauen Hosen, die die Form ihres Arsches und oft auch ihres Geschlechtes zeigen.

Wir besuchen ein Seniorenheim. Ältere Menschen sind vom Aussterben bedroht. Vor allem Wilderer sind der Hauptgrund für die hohe Sterblichkeitsrate unter ihnen. Aber es wird alles getan, um sie zu pflegen und in Sicherheit zu bringen. Überstunden sind deshalb für das Personal normal.

Dritter Teil

Wie gesagt, abgeschliffene Türen. Verrostete Fensterrahmen. Schirme im Garten. Beinahe umgestürzte Zäune. Ein Haus aus der Kolonialzeit. In Punta Arenas sind noch immer Straßen und Plätze nach ihm benannt. In Kiew nach ihm. Poiret brach mit Cul de Paris und Korsetts. Nackt hinter spanischen Mauern. Das Heiligtum von St. Columban. Die Flagge von Sardinien: vier Negerköpfe. I quattro mori. Politisch sehr unkorrekt in diesen korrekten Zeiten. Die weißen Klippen von Nuoro. Im Nil schwimmen. Umm Kalthoum, Tochter des Nils. Schilf und der Dschungel der Metropole. Wolkenkratzer und Palmen. Blaue Plastikstühle. Café Riche. Ich bin frei, ich habe meine Ketten gesprengt. Tod auf dem Nil, Agatha Christie. Nur einen Steinwurf von Cheops entfernt. Ein Katzensprung. Super-Constellation. Le gout du sud. Perlenhalsbänder. Hüte mit Witwenschleier.

Ich habe über die Tierwelt nachgedacht. Bald werden wir sie nur noch im Fernsehen sehen. In Wirklichkeit werden viele Tiere und Pflanzen ausgestorben sein. Aber viele Fernsehsendungen über die Natur werden in den Archiven bleiben, wir werden sie immer wieder ansehen können.

Nur zwei Branchen bezeichnen ihre Kunden als "Nutzer": Drogen und Software. Gras. Kirchtürme. Pfefferkanonen. Morgennebel. Ave Maria. Zahnlücken."

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