An der alten Adresse hatten wir ein Schwimmbecken, das die Kinder selbst errichteten. Sie gruben in einem Durchmesser von fünf Metern zwei Meter in die Tiefe hinab (Schwerstarbeit!), dann legten sie die Grube mit starker Folie aus, den Rand stützte ein Metallmantel. Das Ding war recht hübsch und sah von weitem wie ein professioneller Pool aus. Die Bodenfolie hielt immerhin drei Jahre, bis sie erste Einrisse bekam. Erde arbeitet ständig, aber im Großen und Ganzen überstand der selbst gebastelte Pool die Jahre unseres Wohnens an diesem Ort. Er hatte drei Höhenabstufungen, was ihn besonders charmant machte. Auf der ersten Stufe konnte man noch sitzen, auf der dritten nicht mehr stehen.

Oft hatte ich nichts Besseres zu tun, als mit dem Kescher meine Kreise um das Schwimmbecken zu ziehen, um ertrinkende Fluginsekten aus dem Wasser zu fischen. Die Vorstellung, dass in unserem Wasser Bienen und Hummeln hilflos ertrinken könnten, ließ mich auch nachts aufstehen, um nach dem Rechten zu sehen. Es gab eine Wasserabdeckung, aber wenn ein heißer Abend in einen heißen Morgen mündet, deckt man nicht unbedingt den Pool ab, sondern will in der Früh gleich hineinspringen.

Seit einiger Zeit weiß ich, dass es auch Sinn macht, scheinbar ertrunkene Insekten aus dem Wasser zu ziehen, denn oft sind sie nur bewusstlos und werden nach wenigen Stunden im Trockenen wieder lebendig. Kürzlich habe ich das eindrücklich bei zwei stattlichen Insekten erlebt, die wie kleine Hornissen aussahen. Die eine blieb leider tot, die andere kämpfte sich, auf einem Holztisch in der Sonne liegend, mühsam ins Leben zurück, bis sie schließlich wegflog. Das machte Freude!

Eines Tages drehte ich wieder meine Runde um den Pool. Es war in der Abenddämmerung. Ruhe lag über dem Wasser. Und da sah ich sie: Zwei Libellen saßen auf der Wasseroberfläche und bewegten sich nicht. Sie hatten ihr "Gesicht" einander zugedreht und hielten sich mit den vorderen Beinenpaaren umschlungen. Sie mussten ertrunken sein und sich im Moment des Todes umarmt oder umklammert haben. Ertrunkene Libellen schwimmen normal auf dem Wasser. Vielleicht hatte ein Windhauch ihre fragilen Körper wieder hochgerichtet und damit für dieses andächtige, Respekt einflößende Bild gesorgt, das wie ein Naturgemälde auf dem Wasser stand, reglos, bestaunenswert. Noch heute erfasst mich Ehrfurcht, wenn ich an dieses Bild zurückdenke.

Ich ließ die beiden Libellen in ihrer Todesumarmung ein oder zwei Tage lang auf dem Wasser sitzen, sodass sie noch andere Personen bestaunen konnten.

Kürzlich ist mir das Bild der sterbenden Libellen wieder eingefallen, als ich von der geplanten Sterbehilfe der politischen Entscheidungsträger hörte. Die Körper der Alten und Schwachen, die nicht mehr um das Leben kämpfen können, wirken ähnlich fragil wie die Körper von Libellen. Libellen umarmen sich, wenn sie dem Wasser des Todes nicht mehr entrinnen können.

Was aber tun Menschen? Sie sitzen an den Betten der Sterbenden und warten auf die Auszahlung der Lebensversicherung und die Übernahme des Hauses. Und nun will man ihnen noch ermöglichen, dem Tod nachzuhelfen, der es in manchen Fällen gar nicht so eilig hat wie es zu sein scheint.

Lolame/pixabay https://pixabay.com/de/photos/libelle-insekt-fl%c3%bcgel-flug-insekt-6510395/

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