Krise in Griechenland: Was eine ehemalige Nachbarin von Alexis Tsipras aus Wien denkt.

„Alle haben ihm vertraut, aber alle warten noch immer auf eine Änderung. Viele Griechen sind enttäuscht von ihm“, sagt Marilena (19) über Premier Alexis Tsipras und schüttelt den Kopf. Sie sitzt in einem Lokal am Naschmarkt in Wien, ihrer neuen Heimat. Vor zwei Jahren wanderte Marilena nach Österreich aus, sie spricht nach zwei Jahren Gymnasium im Ersten Bezirk sehr gut Deutsch und hält sich derzeit mit zwei Jobs über Wasser. Dieser Tage wird sie wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt: Das finanzgeplagte Griechenland steht einmal mehr vor der Pleite, am 18. Juni gibt es eine letzte Deadline, die Angst vor dem „Grexit“ beutelt Europa und Griechen wie Marilena müssen sich weltweit für ihre Heimat rechtfertigen. „Unsere Geschichte ist eine tragische. Denn in Wahrheit befindet sich Griechenland in einer Ausweglosigkeit", sagt die 19-Jährige.

Marilena wuchs in einem der neureichen Viertel von Athen auf, gleich in unmittelbarer Nähe des Elternhauses von Tsipras. „Ich kenne seine Familie gut und habe ihn früher oft gesehen. Er kommt nicht aus der Mitte der Gesellschaft, das ist sein Problem“, erklärt die junge Frau. Dass Griechenland so viele Schulden anhäufte, habe mehrere Ursachen: Alles habe begonnen, so Marilena, als die Banken über Jahre hinweg leichtfertig hohe Kredite vergeben hatten, an Unternehmen und an Private. Und dann habe auch die griechische Bevölkerung das Ihre zur Krise beigetragen. „Die Mehrheit der Griechen geht nicht gut mit Geld um. Wir wollen gut leben, gut essen und gut trinken. Wir denken nicht an die Zukunft“, sagt Marilena. Die Folge: Privatkonkurse, finanzmarode Firmen, Staatskrise.

Die angespannte Lage hält bis heute an. Ihre Eltern und Freunde berichten Marilena Schlimmes von zu Hause. Die neuen Steuern kann niemand mehr begleichen. Jobs sind durchwegs schlecht bezahlt, eine Freundin von Marilena verdient im Call Center gerade einmal 400 Euro pro Monat. Sie und viele andere Junge müssen deshalb bei den Eltern wohnen. „Wir Griechen haben gehofft, dass durch Tsipras alles besser wird. Deshalb haben wir ihn gewählt. Aber es ist viel zu schwierig, die Lage jetzt noch zu ändern.“ Mittlerweile überzeugen sie weder Tsipras noch Finanzminister Janis Varoufakis: „Mir kommt vor, dass beide wie Kinder im Kindergarten agieren. Sie haben große Ideen, aber völlig fernab der Realität.“

Nachrichten aus Griechenland verfolgt die 19-Jährige nur noch über Blogs. Europäischen Medien steht sie kritiksch gegenüber und unterstellt ihnen teilweise Propaganda. Der schlechte Ruf der Griechen in Europa sei eine direkte Folge davon. „Ich verstehe zum Beispiel nicht“, sagt sie, „dass viele Deutsche auf Griechenland schimpfen, aber trotzdem alle zu uns auf Urlaub fahren wollen“. Heuer erwartet Griechenland 25 Millionen Gäste, das wäre nach 2014 zum zweiten mal hintereinander ein Gästerekord. Der Tourismus ist der letzte Strohhalm dieses krisengebeutelten Landes, ein Einbruch ist nicht in Sicht: „Mein Onkel auf der Insel Thassos erzählte mir von 25 Prozent mehr Buchungen, Griechenland ist und bleibt für viele Länder das Urlaubsland Nummer 1“, so Marilena.

Wie es mit ihrem Heimatland weitergehen soll, das weiß sie nicht. „Ein Austritt aus dem Euro zurück zur Drachme wäre für uns schwer, denn alleine werden wir uns nicht erholen. Aber auch der Euro hat uns bisher kein Glück gebracht. Aber es wird schon einen Grund haben, warum uns Europa behalten will“, sagt sie.

Marilena hofft trotzdem, dass es bald zu einer Lösung kommt, will sie doch in ein paar Jahren wieder in Griechenland leben. "Österreich ist manchmal viel zu perfekt, oft vermisse ich einfach das griechische Chaos.“

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