Im Schwammerlwald war nichts. Es ist ja eigentlich noch nicht die richtige Zeit. Ich wollte aber trotzdem nachsehen – zur Sicherheit. In Tschechien gibt es schon Pilze. Ich habe Fotos gesehen. Jemand hat einen Korb voll gefunden. Mauerbach bei Wien ist aber anders. Da ist der Spätsommer Schwammerlzeit. Letztes Jahr habe ich viele gefunden.

Ich bin auf dem Heimweg. Mein Hund Willi liegt müde hinter mir im Auto. Es war für ihn ganz schön anstrengend. Wir waren doch einige Zeit im steilen Gelände unterwegs. Ich werde, wie immer wenn es möglich ist, einen Weg am Rande der Stadt wählen. Über den Wolfersberg, rauf zur Jubiläumswarte und dann heim. Ich bin in guter, trauriger Stimmung. Das Wetter passt dazu. Es ist windig und die Wolken hängen schwer und tief über mir. Ich suche die „richtige“ Musik dazu. Ich finde auf meinem USB-Stick „schee wars wennst do warst“, von den Seern. Das Lied ließ ich meiner Mutter zum Abschied spielen. In meinem Brustkorb wird es warm. Traurigkeit ist warm und dunkel. Nicht unangenehm. Eigentlich ist mir das Gefühl näher, als ein strahlender Tag im Frühling, an dem die Menschen ins Freie drängen, laut sind, auf Fröhlichkeit bestehen und Kontakt einfordern. Es ist dieses inhärente „ja zum Leben“ – zu diesem Leben – das ich so gar nicht teile. Menschen die sich aneinander reiben, bisschen streiten, manchmal lachen und wissen, dass das so sein soll, weil wir eben solche sind – Menschen. Seltsam, dass mich das so abstößt. Ich präsentiere den Befund wie eine Anklage, wie einen Beweis für Fehlerhaftigkeit. Das war schon so, als ich Kind war. Als die größte Angst der anderen war, sich von der Menge zu unterscheiden, enttarnt zu werden als jemand, der nicht voll und ganz dazu gehört, funktionierte ich gänzlich anders. Ich fürchtete viel mehr eingestehen zu müssen, auch nicht anders zu sein und ähnlichen Mustern zu folgen.

Ich fahre die Ulmenstraße hinauf. Es ist wenig Verkehr. Die letzte enge Linkskurve und ich habe den Punkt erreicht, von dem man aus auf der gegenüberliegenden Hügelkette die Wiese der Sophienalpe erkennen kann. Dort bin ich im Winter oft. Es ist ein Windloch. Dort bläst es oft so, dass der Wind den Schnee über den Hang treibt, dass du die Hand nicht vor Augen siehst. Das Auto vor mir bremst leicht ab und beschleunigt wieder. Am rechten Straßenrand steht eine Frau. Dunkles langes Haar, eine Haube auf dem Kopf. Sie steckt in einem schwarzen Trainingsanzug mit weißen Streifen. Es ist so einer, wie man ihn auf dem Brunnenmarkt kaufen kann. Aus diesem glänzenden Synthetikmaterial. In einer Hand hält sie ein Plastiksackerl. Was sie in der anderen hält, kann ich nicht erkennen. Sie gibt Zeichen. Nicht dieses Autostoppsignal. Eher ein beschwichtigendes auf und ab der Finger. Unaufgeregt und nicht dringend. Dabei lächelt sie zurückhaltend. Sie wirkt wie aus einer Wolke gefallen. Wie der Flaum einer Pusteblume, den der Wind jederzeit wegblasen kann. Eigentlich bleibe ich nicht stehen. Nie. Nicht aus Angst vor einem Überfall, sondern weil ich ein Gespräch, das mich anstrengen würde, befürchte. Die Konstellation die ich erwarte und vermeide ist die, dass jemand ein Ziel hat, ich ihm helfen soll es zu erreichen, und der Benefit für mich ist, dass ich etwas von dem Menschen erfahre – im schlimmsten Fall in Form eines lähmenden Smalltalks. Nein, ich bleibe also nicht stehen – an anderen Tagen.

Ich lenke an den Straßenrand und halte an. Die Frau wirkt so, als hätte sie das erwartet. Sie macht die Türe auf und setzt sich unaufgefordert neben mich. Eigentlich sollte mich jetzt eine Welle des Unbehagens unter sich begraben „ich muss mir überlegen, worüber ich mich mit ihr unterhalten könnte. Wo wird sie aussteigen wollen? Was, wenn sie nicht raus will?“ Aber nichts passiert. Ich lege den Gang ein und fahre weiter. Wohin sie will weiß ich nicht. Sie beginnt mit mir zu sprechen. Ich verstehe kein Wort. Ist das italienisch? Es hört sich so an. Sie wirkt fröhlich aber auch ein wenig entrückt. Ich sehe sie von der Seite an. Die Linien ihres Gesichtes sind hart. Aber sie wirken trotzdem fröhlich und auch freundlich. Als hätte man in eine zu grelle Farbe etwas Deckweiß gemischt und so einen sanfteren Ton erzeugt. Sie ist sehr mager. Das Sackerl hat sie zu ihren Füßen abgestellt. Es ist prall gefüllt. Ich will nicht lange hinsehen. Ich glaube, ich könnte damit in zu Privates eindringen. Sie hat mir viel erzählt – ich weiß nicht worüber. Ich frage auf englisch ob sie Italienerin sei. Sie schüttelt den Kopf und sagt: „Hungary“. Es ist aber völlig klar, dass das was sie spricht, kein Ungarisch ist. Hat sie mich nicht verstanden? Sie greift in die Tasche ihres Trainingsanzuges und überreicht mir ein grünes Pockerl. Sie hält es mir hin, nickt und will, dass ich es annehme. Sie macht mir ein Geschenk. Ich freue mich und nehme es an. Ich rieche daran und zeige ihr, dass ich den harzigen Duft mag. Sie schenkt mir ein zweites. Ich lege beide in den Getränkehalter neben meiner Handbremse. Sie schaut nach Vorne, wirkt plötzlich abwesend.

Ich sehe jetzt, dass sie einen Strauß Wiesenblumen in der Hand hält. Wilde Schafgarbe und Löwenzahn kann ich erkennen. Was für eine ungewöhnliche Situation. Es überrascht mich, dass sie sich nicht wie eine solche anfühlt.

Sie schaut mich plötzlich wieder strahlend an, und hält mir das Sträußlein hin. Auch das will sie mir schenken. Ich lehne ab. Es ist ihres. Sie hält es so liebevoll in den Händen. Die sind sehr rau. Es sind geschundene Hände. Eigentlich interessiere ich mich nicht für Menschen. Bei den meisten habe ich das Gefühl, nach zwei Sätzen und einen Blick auf Kleidung und Auftreten, alles über sie zu wissen. Eindimensional und langweilig. Hier ist das anders. Ihre Geschichte beginnt mich zu interessieren. Was macht sie hier am Waldesrand. Sie beginnt wieder zu reden. Ich verstehe etwas wie „Switzerland“. Sonst nichts. Ich sage: „i dont understand“ und lächle, um zu signalisieren, dass das nicht schlimm ist. Sie legt ihren Kopf schräg und hält die gefalteten Hände darunter „schlafen Platz“ sagt sie. Dann verstehe ich „Mariahilferstraße“. Sie lacht. Sie wirkt ein wenig entrückt. Ja, das trifft es wohl. Hat sie vielleicht irgendetwas genommen? Ich glaube eigentlich nicht. Die Augen sind zwar müde aber klar. Sie wirkt eher wie ein Kind, das oft in eine eigene Welt abgleitet. Ich kann mir kaum vorstellen, dass diese zarte Frau, die Nächte auf der Straße verbringt. Ich lege eine Hand unter meinen geneigten Kopf – die andere lasse ich auf dem Lenkrad – und sage: „vorsichtig sein“. Es ist egal ob ich englisch oder deutsch spreche. Sie versteht mich eh nicht. Doch sie nickt ernst. Sie schaut wieder auf die Blumen in ihrer Hand. Was überlegt sie? Sie lacht und beginnt vorsichtig die in sich verschlungenen Stängel der Wiesenblumen zu trennen. Sie macht zwei gleich große Büscherl und hält sie mir hin. Ich soll mir eines aussuchen. Ich nehme das linke und lege es vorsichtig auf den Rücksitz. Inzwischen haben wir die engen Serpentinen der Straße die den Wald durchschneidet hinter uns gelassen. Rechts neben uns liegen der Eingang zu den Steinhofgründen und die Feuerwache.

Sie schreit auf! Was ist los. Sie wirbelt auf dem Sitz herum und zeigt aufgeregt aus dem Fenster. Ein Eichkatzerl sitzt in einer Baumscheibe und huscht dann flink den Stamm hinauf. Sie ist außer sich. Sie jauchzt und gluckst. Was ist das für ein Wesen, das da meinen Weg gekreuzt hat. Lebt sie in einer Baumhöhle, spricht mit den Tieren und wurde von einer bösen Zauberin sichtbar gehext? Hab ich irgendeine Rolle in der Geschichte?

Gleich muss ich abbiegen. Dort wo es richtig ernst wird, mit der mir verhassten Stadt – ich kann schon in die stadteinwärts führende Thaliastraße sehen – krieg ich noch die Kurve.

Sie aber will ja auf die Mariahilfer Straße, wenn ich das richtig verstanden habe.

Ich zeige auf mich und dann nach links. „Mariahilfer Straße“ sage ich und weise mit dem Kopf in Richtung Stadt. Sie nickt. Sie hat das ohnehin gewusst, glaube ich. Ich fahre an den Straßenrand. Ich schaue sie an „alles Gute“ sage ich. Sie lacht und öffnet die Türe. Draußen dreht sie sich um, winkt und geht ihres Weges.

Auf dem Beifahrersitz liegen bunte, abgebrochene Blüten. Wiesenblumenblüten.

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