Ich habe ihn endlich gefunden. Den Schalter für die Abmeldung. Ich stelle dich auf eine Ablage. Du bist ganz ruhig. Wahrscheinlich bist du eingeschlafen. Tief eingekuschelt in die Decke deiner Tragtasche. „Nina“. Das bist du. Ein neuer Name in unserer Familie. Und ein neues Leben. Mir hat schon immer die unbeugsame Nina Hagen gefallen. Dieser energiesprühende Wirbelwind. Ich weiß nicht ob der Name passen wird. Ich kenne dich ja noch nicht. Es ist nur eine Idee davon, wie du werden könntest. Du bist meine Tochter. Ich bin dein Vater. Wir haben deine Geburt hinter uns. Du hattest Verspätung. Mama musste an den Wehentropf. Du wolltest aber noch nicht kommen. Wir wurden wieder heim geschickt. An dem Morgen, der der erste deines Lebens werden sollte, weckte sie mich auf. Die Tasche war gepackt. Wir fuhren ins Wilhelminenspital. Für mich hatte ich Lesestoff dabei. Ich wollte meine Rolle eher traditionell anlegen. Vor der Türe des Kreissaales stand ein Sessel. Dort setzte ich mich. Du kennst mich ja – jetzt tust du es -, ich habe große Angst vor Spitälern, Ärzten, ja sogar vor dem Geruch der Reinigungs- und Desinfektionsmittel. Aber hier kam noch etwas dazu: Genau dort, hinter dieser Milchglasscheibe, würde etwas Besonderes geschehen. Wichtiger als alles, das bisher in meinem Leben passiert war. Ich wollte mich dem vorsichtig annähern, wollte mir wohl noch einen Moment Atempause verschaffen. Wenn du meinst, dass das ganz schön feig war, tja dann hast du natürlich recht. Aber es kam ohnehin nicht dazu. Eine resolute Schwester nahm mich bei der Hand, führte mich in den Kreissaal und sagte, dass das mit dem Lesen und meinem Sessel vor der Türe nicht in Frage käme. Lach nicht! Die hatte sicher das technische Wissen und die Möglichkeit mir eine Spritze reinzujagen. Da gab es keinen Widerspruch! Außerdem hatte sie Recht und ich war ihr dankbar, als ich dein Köpfchen das erste Mal sah. Deine Geburt ging schnell. In etwa zwei Stunden warst du da. Ich war nicht ganz nutzlos. Die meiste Arbeit hatten zwar Mama und du, aber ich konnte meinen Beitrag leisten. Der Arzt erklärte, dass der Geburtsvorgang beschleunigt würde, wenn Mama dabei stehen könnte. So schlang sie ihre Arme um meinen Hals. Das war kein großes Problem. Zwischen den Wehen wenigstens. Wenn die aber einsetzten, zog sie immer die Füße an. Ich hatte euer beider Gewicht um den Hals hängen. Es war ein heißer Tag im August 1993 und die Klimaanlage war ausgefallen. Als du da warst, war ich komplett durchgeschwitzt. Sogar die neue Bundfaltenhose, die ich mir anlässlich deiner Geburt gekauft hatte. Du weißt ja, eigentlich trage ich nur Jeans. Ich hatte so etwas „feines“ nicht im Kasten. Ja, so war das. Der Start in unser neues Leben.

Das ist jetzt fast 25 Jahre her. Wir haben viel gemeinsam erlebt. Schöne aber auch schwierige Tage haben wir durchlebt. Ich habe mich immer bemüht, dir ein guter Vater zu sein. Der beste, der ich sein konnte. Ich hoffe, es ist mir gelungen. Erziehungsbücher waren mir verhasst. Ich mochte diesen theoretisierenden Ansatz nicht. Ich glaube, dass das Beste aus einem selbst kommt. Vorausgesetzt, man macht es sich nicht leicht. Und wirklich glaubhaft kann mahn ohnehin nur das vermitteln, was man selbst vorlebt. Ich könnte dir mit allem erzieherischen Ehrgeiz nicht vorleben, wie man sich in einer großen Menschenmenge wohl fühlt. Eine Fertigkeit, die sicher nützlich sein kann. Aber sie ist mir nicht gegeben. Wie sollte ich sie dir vermitteln? Du gleichst mir in vielen Dingen. Dein wenig ausgeprägtes mathematisches Talent hast du zweifellos auch von mir. Egal, die Schule hast du ja trotzdem gepackt. Du studierst sogar sehr erfolgreich. Ich bin so stolz auf dich! Mehr als dieser messbare Erfolg freuen mich aber deine „weichen“ Tugenden. Du hast ein empfindsames Herz. Du bist verletzbar. Um Tiere kannst du weinen. Ich mag auch, dass du manchmal seltsam bist. Das kenne ich gut. Hüte diese Andersartigkeit wie einen Schatz. Auch wenn es manchmal weh tut, alleine unter Vielen zu stehen. Es macht dich zu etwas Besonderem.

In 16 Tagen ist es so weit. Du wirst heiraten. Ich sag dir was: Es ist für mich ein bisschen wie dieser Tag im August vor 25 Jahren. Ich freue mich, fürchte mich aber auch ein wenig. Was wird deine Rolle sein und was meine? Wird sich Grundlegendes ändern? Du weißt ja, dass ich kein großer Freund von Veränderungen bin. Ach was, lassen wir den Euphemismus: Ich hasse Veränderungen. Aber, viel wichtiger als das, ich liebe Dich! Und ich glaub, damit sind wir gut gerüstet. Was auch kommt, darauf kannst du dich verlassen! Die gemeinsamen 25 Jahre haben mir gezeigt, dass alles Andere nicht so wichtig ist. Probleme kommen und gehen. In der Rückschau verliert Vieles an Bedeutung. Was bleibt ist dieses besondere Band, das uns verbindet.

Ich hab mir gedacht, die Bundfaltenhose deiner Geburt war Zeuge eines gelungenen Starts in dein Leben. Ich hab mir daher, anlässlich deiner Hochzeit, ein Sakko – so heissen diese seltsamen Jäckchen – beim Zucha auf der Hütteldorferstrasse gekauft. Von dort stammte mein einziger selbst gekaufter Anzug. Den trug ich zur Hochzeit mit deiner Mama vor über 30 Jahren. Ich wollte damit zweierlei. Einmal ein äußerliches Zeichen setzen. Ich kenn mich in so einem Gewand ja selbst nicht, wenn ich in den Spiegel schaue. Die Fotos werden sagen, dass das kein gewöhnlicher Jeans-Tag war. Du hast mir zwar erlaubt „unverkleidet“ zu erscheinen; trotzdem. Aber andererseits hat dieses kleine, sehr anachronistisch anmutende Geschäft, eine Verbindung zu unserer weiteren Vergangenheit. Der Franz und der Johann waren Freunde deiner Oma und deines Opapa. Sie kannten mich schon, als ich noch nicht geboren war. Der Johann glaub ich wars, der mit deinem Opapa die Übungsfahrten für seinen Führerschein gemacht hat. Von ihm hat er auch seinen ersten Wagen, einen „Moskwitsch“ gekauft. Meine frühesten Autoerinnerungen hängen damit zusammen. Ich bin ganz stark mit meinen Vorfahren verbunden. Es tut mir unendlich leid, dass meine Eltern bei deinem großen Tag nicht dabei sein können. Sie hätten sich so gefreut. Leider sind sie zu früh gestorben. Aber weißt du, wenn etwas Besonderes für unsere Familie passiert ist, dann hat mein Papa, dein Opapa, auch dort eingekauft. Auch er war eigentlich ein Jeans-Mann. Ein riesiger Bär, der eigentlich selbst immer irgendwie verkleidet gewirkt hat, wenn er sich „fein“ gemacht hat. Er hat das für Fremde auch nie getan. Also aus opportunistischen Gründen kam das nicht in Frage. Bei meiner Hochzeit allerdings, war er schon ein bissl gestriegelt. Ich werd das also auch so machen. Aus traditionellen Gründen sozusagen. Ich hab mir von meinem Vater viel abgeschaut. Was bedeutet es Vater zu sein? Wie lebt man diese Rolle. Wie wird mehr als ein biologischer Umstand daraus? Ich bin aber nicht er, und musste daher meine eigene Version entwickeln. Ich hoffe, es ist mir halbwegs gut gelungen. Und ein Versprechen gebe ich Dir: Ich werde nicht aufhören mich an jedem Tag meines Lebens zu bemühen, dir der beste Vater – daddy sagst du – zu sein, der ich sein kann. Und sollte es das Leben beschließen, na dann werd ich mich auch in eine Opapa-Rolle einfühlen.

Hab dich sehr lieb!

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