Außenpolitik Großbritanniens nach dem Brexit

Der Beitrag ist verfasst von Silvia Todorova vom Varna Friedensforschungsinstitut:

Einer der wichtigsten Momente in der Geschichte der europäischen Integration ist der Vetrag von Maastricht. Dieser „Akt“ markierte den Beginn eines homogenen und funktionierenden Subjekts auf der Bildfläche der internationalen Beziehungen. Es ist ein Projekt des Friedens, welches nach dem Zweiten Weltkrieg eine große Rolle in der Weltpolitik spielen sollte. Maastricht und das EU-Projekt markierten auch einen wichtigen Ausgangspunkt für grundlegende Trends in den internationalen Beziehungen. Heute scheint es so, als ob einer der (Mit-) „Gründer“ (Beitritt: 1973), nämlich Großbritannien (GB) die Beziehung zu diesem Friedensprojekt abbrechen will. Aus dem ergeben sich zahlreiche Fragen und Szenarien bezüglich der Entwicklung der EU und dem Vereinigten Königreich. Eines der wichtigsten Aspekte hierbei spielt die Richtung der Außenpolitik auf die ich besonders eingehen werde.

Stichwörter: Großbritannien, Geopolitik, Außenpolitik, Brexit und EU

Nach dem Brexit wird sich die Fahrtrichtung der Außenpolitik von Großbritannien (GB) grundlegend ändern und sich auf die folgenden Bereiche konzentrieren:

Die „objektiv erscheinenden“ und essentiellen Elemente der britischen Außenpolitik bleiben unverändert. Dazu gehört: Die formelle Mitgliedschaft in den internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, G7, NATO, Vereinbarungen über die gemeinsame Zusammenarbeit der Sicherheits- und Geheimdienste (UKUSA – auch „Five Eyes“ genannt) und nicht zuletzt dem Commonwealth. Großbritannien (GB) hat diplomatische Netzwerke und Sicherheitsdienste auf dem höchsten internationalen Niveau. Und nach den jüngsten Ereignissen (in welchem der Terrorismus Fahrt aufnimmt) beabsichtigt Großbritannien (GB) zusätzliche Mittel darin zu investieren. Im Juli 2015 kündigte die britische Regierung, dass sie künftig ein Budget von 2% des BIP für die NATO (für die nächsten fünf Jahre) investieren möchte. Das Ziel ist eine reale Erhöhung des Verteidigungshaushaltes auf 47,7 Mrd. britische Pfund bis zum Jahr 2020. Damit will GB eine solide Grundlage für eine wirksame Außen- und nationale Sicherheitspolitik sorgen.

Nach dem Brexit will GB sowohl seinen Feinden als auch seinen Verbündeten ein Signal senden, dass das Land offen sich für den internationalen Markt und für die internationale Sicherheit engagieren möchte. Dieses entschlossene Handeln in diesen Bereichen soll vor dem Anschein eines britischen Isolationismus schützen. Durch diese Neudefinition der Beziehungen zu anderen Ländern (vor allem den USA und Deutschland) ist GB in einer stärkeren Position am Verhandlungstisch.

Das erste kurzfristige Ziel der Außenpolitik von GB ist eine erfolgreiche Verhandlung mit der EU bzgl. dem Austrittsregelungen. Es gibt bereits viele gemeinsame Wirtschaftsinteressen zwischen einigen EU-Ländern und GB. Diese Gespräche sollten im Rahmen einer erneuerten globalen Strategie angesehen werden. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass diese Gespräche zwischen vier bis sechs Jahre andauern könnten. Es werden Anstrengungen beobachtet, das Land in eine neue diplomatische und politische Richtung zu führen und zwar mittels neuen Handelsabkommen und Engagement mit Ländern außerhalb der EU.

Obwohl GB die EU verlassen will, hat das Land ein großes Interesse daran, dass es mit der Zukunft der EU bergauf geht und wird dabei bei dieser Entwicklung förderlich sein. Wenn es Lehren aus der Vergangenheit gibt, so ist es die Lehre, dass die Stabilität des europäischen Kontinents stets eine der wichtigsten Prioritäten bezüglich der nationalen Sicherheit Großbritanniens war (und bleibt). Das Land kann und soll eine positive und aktive Rolle spielen in der Kooperation mit der EU, sollte sich aber in Rechnung stellen, dass es als „heimtückisch“ angesehen werden könnte. Deswegen sollte GB bemüht sein, die gewünschten Reformen der EU bezüglich der wirtschaftlichen Verteilung des Wohlstandes und der Förderung der sozialen Harmonie, zu unterstützten. Auf der anderen Seite ist die Schaffung eines „Superstaates“ innerhalb der EU etwas, dass GB bedroht, weil es die bestehende NATO-Armee grundsätzlich in Frage stellen wird.

Der Austritt von GB kann auf die europäischen Sanktionen gegen Russland erhebliche Auswirkungen und den Zusammenhalt der NATO haben. Seit vielen Jahren haben sich die Räder der NATO und der EU scheinbar synchron bewegt. Wir haben den NATO-Gipfel in Warschau gesehen, bei dem dies angedeutet worden ist. Der französische Präsident Holland sagte, dass die NATO nicht bestimmen darf, welche Beziehungen Frankreich mit Russland hegt. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass Deutschland die Beziehung zu Russland verbessern möchte: Die Mehrheit der Deutschen will ein normales bzw. freundschaftliches Verhältnis mit Russland.

Aufgrund der neuen geopolitischen Dynamik entwickelt sich scheinbar die Notwendigkeit, den Sinn von „Gleichgewicht der Kräfte“ wieder zu entdecken. Dies war eine Jahrhunderte-lange britische „Tradition“ bezüglich Europa. Aufgrund der Handelsbeziehungen von GB mit „Nicht-EU“ Staaten, sieht GB ähnlich wie Deutschland großes Interesse im Handel mit außer-europäische Staaten. GB war das Gegengewicht von Deutschland in der EU und das nicht nur im militärischen Sinne. Man vermutet, dass sich Deutschland nach dem Brexit an die Vereinigten Staaten annähern wird. Die Frage ob der Austausch von Sicherheits- und Nachrichtendienste in Takt bleibt zwischen Deutschland und GB bleibt eine offene Frage. Es besteht meiner Meinung die Möglichkeit, dass sich GB nicht länger als „atlantische Brücke“ zwischen den USA und Deutschland sehen wird, sondern eine bilaterale Beziehung zu Deutschland anstreben will.

Im Rahmen der genannten Veränderungen, sollten wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die Beziehung von GB zu den östlichen EU-Mitgliedsstaaten lenken: Diese Länder stellen einen wichtigen Faktor in der strategischen Ausrichtung des Kontinents dar. Dies hat mehrere Gründe. Zum bestand GB auf die EU-Osterweiterung. Zum Zweiten haben viele dieser Länder eine gewisse Angst vor einer Annäherung von Frankreich und Deutschland an Russland, welche auf ihre Kosten ausgetragen werden könnte. Dabei suchen die östlichen EU-Länder die Hilfe Dritter (meistens der USA). Drittens, einige von diesen Staaten – wie etwa Polen und Ungarn – sind auch besorgt über die wachsende Macht Deutschlands und die Tendenzen des Föderalismus in der EU. Viertens gibt es eine wachsende Diaspora osteuropäischer ArbeiterInnen in GB, die sich dort integrierten. Schon allein aus diesen Gründen sollten die Verhandlungen über den „freien (Personen-) Verkehr“ gut durchdacht sein.

Brexit betont sehr stark die zentrale Bedeutung der „speziellen Beziehungen“ zwischen den USA und GB. GB musste immer ein delikates Gleichgewicht und eine Atlantikbrücke darstellen. Ein Verlassen der EU hingegen ermöglicht eine Umgestaltung der Prioritäten. Dabei werden die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA ausschlaggebend sein: Die USA wird als Rettungsanker gegen eventuelle Sanktionierungsmaßnahmen im Rahmen des EU-Austrittes darstellen. Dies ist ein wichtiger Trumpf im Verhandlungspoker.

Im Prozess der Neuorientierung wird Großbritannien einen neuen „Drehpunkt“ suchen. In diesem Rahmen erscheint eine asiatisch-britische Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaft, Sicherheit und Politik von großer Bedeutung. Mit anderen Worten, entsteht ein „neuer globaler Ansatz“ bzw. eine neue globale Ausrichtung. Dies könnte sich im Rahmen des internationalen Rechts abspielen, wobei GB als eine Art Schiedsrichter fungieren könnte. Die „asiatische Ausrichtung“ hängt jedoch auch stark von der US-Außenpolitik unter Donald Trump ab.

GB sollte sich meiner Meinung nach von alten traditionellen merkantilistischen Außenpolitik fernhalten. Während neue Handelsabkommen im Gange sind, wird GB seinen Platz in der EU und in der NATO sichern. Diese Verhandlungen erscheinen aber nicht losgelöst von der geopolitischen Situation im Nahen Osten oder in Asien. Die bestehenden Partner erwarten diesbezüglich eine Kontinuität in der britischen Außenpolitik. Jede Rückkehr zu einer „Neo-Elisabethianischen“ Außenpolitik würde den diplomatischen und militärischen Prinzipien von GB und auch der Öffentlichkeit diametral entgegenstehen.

GB wird sich bemühen die bestehende Ordnung, welche es seit dem Zweiten Weltkrieg gib, beizubehalten. Die Außenpolitik, welche sich nach 1945 als postliberale Weltanschauung entpuppte, riskiert sich als „Selbsterfüllende Prophezeiung“ zu verwirklichen. Und tatsächlich ist es auch für die USA nicht vom Interesse, dass eine „neue“ militärische Macht als dynamischer Akteur auf der internationalen Bühne auftritt. Insbesondere sind hier die Beziehungen zu Russland und den Nah-Ost Staaten von Wichtigkeit.

Die schwerste Prüfung für GB ist die NATO-Partnerschaft. Hierbei ist die Erhöhung des Militärhaushalts von großer Bedeutung, die nach dem Brexit deutlich festzuhalten ist. In der Tat schafft Brexit nicht die Schwächung, sondern die Stärkung der NATO. Das Entfernen der EU-bezogenen Verpflichtungen und Interessen, macht London zu einem reaktionsfähigen und effektiven Partner der NATO (vor allem der USA).

GB sucht in der nahen Zukunft große militärische Operationen zu vermeiden. Das Thema Krieg und Frieden müssen wir hierbei genauer Analysieren: Die nähere Anbindung an den Regeln der internationalen Ordnung ist eng gekoppelt mit der Verpflichtung der Lastenteilung. Die Welt scheint immer instabiler und gefährlicher zu werden und die Auswirkungen sehen wir schon im „Hinterhof“. Das letzte was die sozialen und politischen Institutionen in solch einen Moment wollen, wäre eine Debatte um die nationale Sicherheit. Aber die Geschichte lehrte uns, dass solche Momente zu den unpassendsten Augenblicke geschehen können. Der Bürgerkrieg in Syrien geht weiter und die Sicherheitslage im Irak und Libyen verschlechtert sich ständig. Die Neuausrichtung der US-Politik unter Trump stellt GB vor großen Herausforderungen.

Großbritannien hat hervorragende Werte im Bereich der „Soft Power“ (weiche Macht), übt also große politische Macht auf der Grundlage der anziehenden Ideologie und Kultur. Dennoch macht sich GB nicht die Illusion, dass es in den internationalen Beziehungen ohne „Hard Power“, also ohne militärische und ökonomische Macht auskommen wird. Daher setzt GB nicht nur auf den internationalen Handel und seine kulturellen Werte, sondern auf die langfristige Sicherheit.

Innenpolitisch ist die höchste Priorität des Landes, die Integrität des Vereinten Königreiches zu bewahren. Schottland ist nach dem Brexit wichtiger denn je. November 2015 kündigte die Regierung an in Schottland rund 8 Mrd. Pfund zu investieren und zwar in Kriegsschiffe. In diesem Zusammenhang der Verteidigungsausgaben, wurde auch eine breitere Strategie für die „unterentwickelten“ Regionen des Landes, also vor allem Schottland und den Nordosten Englands zu stimulieren.

Unter Tereza Mey werden die Leitlinien für die neue globale Ausrichtung entwickelt. Die große Frage wird in der nahen Zukunft sein: „Welche Rolle in der Welt nimmt Großbritannien nach dem Brexit ein?“

Auf diese Frage, wie wir gesehen haben, kann man auf sehr unterschiedliche Weisen antworten. Die Wahrheit ist jedoch, dass viele Variablen die Fahrrichtung entscheiden werden und somit keine endgültige Aussage getroffen werden kann. Man kann jedoch einen gewissen „roten Faden“ in der Geschichte der internationalen Beziehung feststellen. Die wichtigste Ausrichtung von GB hängt vom Aufbau eines europäischen Superstaates unter der Federführung von Deutschland stark ab. Dieses Szenario ist verbunden mit dem Wiederaufleben des deutschen Nationalismus. Auch die Schaffung einer europäischen Armee wird in diesem Aspekt die Interessen der NATO untergraben und auch GB in Frage stellen können. Eine mögliche Folge ist eine Intensivierung einer „Deutsch-Russisch-Französischen“ Annäherung. Die anderen Mitgliedsstaaten der EU werden protektionistische Maßnahmen treffen können, die sich auf den freien Handel und somit auf die Wirtschaft von GB auswirken könnte.

Veröffentlicht von Silvia Todorova Stamenova und übersetzt von Josef Muehlbauer aus dem bulgarischen – am 26.03.2017 - im Rahmen des Varna Friedensforschungsinstitut (VIPR).

Varna Peace Insitute for Peace Research - www.vipr-bg.com/de

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