Nein-Sager, eine unbeliebte Spezies Mensch. Es sind Menschen, denen immer zuerst einfällt, was nicht funktioniert, warum etwas nicht geht oder welche Probleme überhaupt auftreten könnten. Jede Änderung bringt Durcheinander in ihr Denkgefüge. Solche Typen nerven ganz einfach, weil sie jeden Verdacht auf eine funktionierende Lösung im Ansatz torpedieren. Es gibt allerdings auch Situationen, in denen ein „Nein“ vor Schaden und Ärger bewahren kann.

Als ich auf das Thema "Neinsager" stieß, da fiel mir ein, wie vor vielen, ganz vielen Jahren mir ein „Nein“ ziemlich viel Ärger und Kosten ersparte. Ich war damals als Produktmanager eines US-Unternehmens in Bonn beschäftigt. In unserem Büro mit Blick auf die herrliche Landschaft saß mir gegenüber mein dänischer Kollege Trols. Wir verstanden uns sehr gut, waren beide immer etwas kreativer als der Rest der Mannschaft, wurden deshalb von manchem Reichsbedenkenträger gelegentlich belächelt oder nicht verstanden. Egal, uns machte unser Job Spaß, weil wir viel bewegen und verändern konnten.

Eines Sonntags Morgen klingelte es an unserer Wohnungstür. Entgegen unserer Gewohnheit waren wir etwas früher aufgestanden, waren gerade beim Frühstück. Trols stand vor uns. Er war irgendwie aufgeregt, heute würde man vielleicht sagen, er war irgendwie high. „Trols, du hier, bei uns, am Sonntag, was verschafft uns die Ehre?“. „Ich muss unbedingt mit dir reden“. Und er redete. Er hatte nämlich in der Nacht einen Traum, wie wir richtig Geld verdienen könnten.

Der Hintergrund - kurz erzählt. Trols war liiert mit einer Freundin aus Jugoslawien. Das gab es damals tatsächlich noch, ein Land, über das der ehemalige Regierungschef Tito einmal sagte: „Lüftet nie den Deckel, den ich über dieses Land gestülpt habe“. Damals sprach man noch über Jugoslawien als Staat und nicht über Slowenien, Kroatien und all die Teilstaaten, die nach Titos Tod sich untereinander bekriegten und sich mehr oder minder auch heute noch untereinander nicht grün sind.

Trols Freundin stammte aus diesem Staatsgebilde. Ihr Name war R. (aus Datenschutzgründen abgekürzt). Sie hatte Trols öfter davon berichtet, dass die jugoslawischen Gastarbeiter sich häufig darüber beklagten, dass sie in Deutschland keine Literatur in ihren Heimatsprachen (Serbisch, Kroatisch usw.) fänden. Trols nächtlicher Traum: wir gründen einen Verlag für diese Zielgruppe. Eine echte Marktlücke. Ich fand die Idee super, erfolgversprechend. In den nächsten Tagen entwickelten wir (während unserer Arbeitszeit) Ideen, wie man das Geschäft organisieren könne. Trols Freundin wäre wegen ihrer, für das Geschäft unbedingt erforderlichen, Sprachkenntnisse die ideale Kontaktperson zu Lieferanten und Endkunden. Eigentlich wäre sie die eigentliche Schlüsselperson des Geschäfts.

Wir nahmen Kontakt auf zu Druckereien für die Herstellung von Werbeprospekten (damals gab es noch kein Internet), Kontakte zu Verlagen in Jugoslawien und einigen potenziellen Kunden zur Eruierung von Marktpotenzialen. Als wir unser Konzept weitestgehend fertiggestellt hatten, ging es um die entscheidende Frage: wer von uns wäre in kritischen Situationen letztendlich der Entscheider, wessen Wort würde für das Weitergehen entscheidend sein? Uns waren nämlich aus diversen Branchen Firmen bekannt, die wegen unterschiedlicher Auffassungen der Inhaber nicht mehr auf dem Markt präsent waren.

Trols kam auf die Idee, die Frage per Münzentscheid zu klären. Ich stimmte sofort zu. Wir nahmen eine (damals noch existierende) 50-Pfennig-Münze als Entscheidungshilfe. Bliebe die Zahl oben, wäre ich der Boss. Wäre die Rückseite der Münze oben geblieben, dann hätte Trols das Sagen gehabt.

Die Entscheidung lag in der Luft. Trols schnippte die Münze hoch. Sie drehte sich in der Luft und kam zum Stillstand – im wahrsten Sinne des Wortes: sie blieb nämlich stehen. Ich glaube zwar weder an Religionen noch an Gottesurteile, aber in diesem Moment kam ich echt ins Grübeln. Die Münze stand senkrecht. Wir schauten uns gegenseitig an und dachten beide im selben Moment dasselbe: das war’s wohl.

Mein „Nein“ wurde von ihm zeitgleich synchron erwidert: „Nein, vorbei“. Wohl eigentlich keine logischen Begründungen. Aber häufig gewinnt das Bauchgefühl über die rationalen Überlegungen. Unser Bauchgefühl war der Sieger, denn kurze Zeit später wurde Trols von seiner Freundin verlassen, der tragenden Säule unserer Geschäftsidee. Wie hätten wir dann dagestanden, ohne adäquate Sprachkenntnisse und ohne Wissen über die südländische Mentalität und die Bedürfnisse der Menschen aus dieser Region?

Trols und ich haben später häufiger aus Spaß 50-Pfennig-Stücke in die Luft geworfen, uns ist aber nie mehr der „50-Pfennig-Ständer“ gelungen. Kein Wunder eigentlich, denn das Geldstück war nicht nur extrem schmal, sondern besaß auch eine Riffelung am Rand. Stehen bleiben war eigentlich unmöglich. Das „Nein“ hat uns, im Nachhinein betrachtet, vor Verlusten und Ärger gerettet. Wir haben uns häufiger über die Situation nach dem Weggang von R. unterhalten und beide festgestellt, dass unser „Nein“ für unser Leben eine positive Entscheidung war. Nein sagen ist also nicht immer schlecht (wie so mancher Investor bei vermeintlich todsicheren Finanztipps schon feststellen musste).

Als ich Trols vor einigen Jahren zufällig im Stockholmer Flughafen traf, war seine erste Frage: „Hast du einen 50er dabei?“ Wir konnten uns vor Lachen kaum halten. Die umstehenden Passagiere schauten etwas verblüfft. Sie konnten nicht ahnen, wie ein „Nein“ unser beider Leben vereinfacht hatte.

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