Der polnische Reporter Tomasz Maciejczuk plant eine Reportage über Bergkarabach. Seit dem Ende 1980er, kurz vor dem Ende der Sowjetunion, streiten Armenien und Aserbaidschan um die Region. Auch 13 Jahre nach Ende der Kriege um die Provinz flammen immer wieder bewaffnete Kämpfe um das mittlerweile beinahe ausschließlich armenisch besiedelte Gebiet auf. Dies könnte bald Grund genug für den polnischen Reporter Tomasz Maciejczuk sein, der Region eine Reportage zu widmen.

Maciejczuk war bereits im Donbass aktiv

„Tomasz Maciejczuk ist Pole und unterstützt die ukrainische Armee im Donbass.“ So stellte die Zeitung „Die Zeit“ ihn vor ziemlich genau zwei Jahren vor, als Steffen Dobbert für das Blatt ein Interview mit ihm führte.

In der Tat ist der Reporter und Journalist aus der fünftgrößten polnischen Stadt Posen in Osteuropa eine bekannte Persönlichkeit. Das rührt nicht zuletzt daher, dass er 2016 im russischen Fernsehen einen Eklat provozierte, in dessen Folge er vor laufender ins Gesicht geschlagen wurde. Dem Faustschlag voraus ging die Äußerung Maciejczuks, Ukrainer würden im Gegensatz zu Russen nicht „in der Sch**** leben“ wollen.

Der polnische Reporter Tomasz Maciejczuk / Foto: Radio Swoboda http://armedia.am/static/news/b/2017/01/44768.jpg

Die Position des polnischen Reporters sprengt gängige Schemen

Nun zieht der unermüdliche Maciejczuk mit den oft ungewöhnlichen und manchmal etwas fragwürdigen Methoden ein neues Projekt in Erwägung, einen Film über die umkämpfte Region Bergkarabach im Kaukasus.

Das in türkischer und armenischer Sprache erscheinende Internetportal „Ermeni Haber“ veröffentlichte unter Berufung auf die russische Ausgabe von „Panarmenian“ jüngst einen Bericht zu seinen Absichten.

Demnach erhielt der polnische Reporter im sozialen Netzwerk VKontakte, dem russischen Facebookpendant, zahlreiche Drohungen, weil er Partei für die Unabhängigkeit der armenischen Enklave ergreift.

Die Republik Bergkarabach ist international nicht anerkannt. Die Münchener Osteuropahistorikerin Arpine Maniero beschrieb im April 2016 die Lage im umstrittenen Gebiet wie folgt:

„Der Frieden ist aber trotz der regelmäßigen Angriffe Aserbaidschans doch Realität geworden. Der Beweis dafür ist, dass in Bergkarabach ein Staatswesen aufgebaut wurde, gleichgültig, ob Sie das wahrhaben wollen oder nicht. Die Städte wurden wieder aufgebaut, es gibt Schulen, Universitäten, Wirtschaft, Politik und Wahlen, die im Übrigen regelmäßig von ausländischen Beobachtern überwacht werden. Bergkarabach ist ein de facto unabhängiger Staat mit eigenem Militär, das die eigenen Grenzen zu schützen versucht.“

Wenn im deutschsprachigen Raum über den Konflikt berichtet wird, baut man meistens die Information ein, dass Russland als Schutzmacht Armeniens und der Armenier im Arzach, wie sie selbst die Republik Bergkarabach nennen, fungiert. Das ist zwar richtig. Jedoch unterhält Russland ebenfalls enge Beziehungen zu Aserbaidschan. Die Verquickungen zwischen Ankara und dem in zweiter Generation in Baku herrschenden Aliyew-Regime kommen selten oder gar nicht zur Sprache.

Dass sich mit Maciejczuk, jemand der alles andere als ein Freund Russlands ist, auf die armenische Seite schlägt, ist bemerkenswert und sprengt einige, gerade westlich der Oder, weitverbreitete Schemen osteuropäischer und eurasischer Zusammenhänge.

Karte der Region aus der Zeit des Eisernen Vorhangs http://www.armenian-history.com/images/maps/Soviet-Armenia.gif

Karte von Armenien und dem angrenzenden Bergkarabach, zusammen flächenmäßig etwa so groß wie Nordrhein-Westfalen http://winar.am/images/armenia_map.gif

Europa muss Armenien und Bergkarabach schützen

Der Reporter und Journalist aus Posen nimmt kein Blatt vor den Mund. Ermeni Haber zitiert ihn mit folgenden Worten:

„Armenien ist ein Teil der europäischen Zivilisation, und wir haben die Pflicht es gegen Angriffe der islamischen Welt und turanistischer Bündnisse zu schützen. Die Bedrohung durch ihre Brutalität darf nicht vernachlässigt werden. Als Pole werde ich niemals auf der Seite der Türkei oder Aserbaidschans gegen Armenien stehen. Unser Nationalheld König Jan Sobieski hat gezeigt, wie man Turanisten begegnen muss. Das muss in derselben Art und Weise fortgeführt werden. Genau so sieht es aus!“

Das klingt zunächst sehr reißerisch und pathetisch. Sicherlich muss man dazu sagen, dass die armenische und aserbaidschanische Minderheit in Georgien friedlich zusammenleben. Diesbezüglich sorgten beispielsweise Berichte über das Zusammenleben im Dorf Tsopi aus den Jahren 2013 und 2014 für Rührung und Interesse. Sie verbreiteten sich zumeist unter der Überschrift "Armenians and Azeris make dolma not war" (Armenier und Azeris [Mehrheitsvolksgruppe Aserbaidschans] machen Dolma und keinen Krieg).

Auch die armenischen Minderheit im Iran, der mit den Aserbaidschanern gemeinsam hat, dass seine Einwohner mehrheitlich Anhänger des schiitischen Islam sind, lebt ohne Repression und erfreut sogar einiger veritabler Privilegien.

Die schiitische Konfession spielt aber in der Staatsdoktrin des Landes zwischen Kaukasus und Westküste des Kaspischen Meeres allenfalls eine untergeordnete Rolle, seit die Familie Aliyew dort an der Macht ist. Der Aliyewclan herrscht seit 1993 über die ehemalige Sowjetrepublik und ihre Bodenschätze, vor allem reiche Öl- und Gasvorkommen. Der aktuelle Machthaber Ilham beerbte 2003 seinen Vater Haydar. Die Herrscherfamilie verordnete dem Land eine turanistische Staatsraison. Turanismus oder Panturkismus meint eine Form des türkischen Nationalismus, dessen Endziel die Errichtung eines türkischen Reichs, des Turans, ist, welches von der Westgrenze Bulgariens über die heutige Türkei, Aserbaidschan, den postsowjetisch-zentralasiatischen Raum bis weit hinein nach China ins Siedlungsgebiet der Uiguren reicht.

Obschon der Konflikt um Bergkarabach eigentlich kein Religionskonflikt ist, wird er doch seit einiger Zeit mit den Mitteln eines solchen geführt.

Seit dem Eintreffen des saudi-arabischen Kommandanten Emir Ibn al-Chattab, Sohn tscherkessischer Eltern, 1995 in Tschetschenien sind nämlich Dschihadismus und Turanismus im Kaukasus untrennbar miteinander verbunden. U.a. der norwegische Islamismusexperte Thomas Hegghammer nennt in Bezug auf ihn neben seinen Hauptfinanciers aus Saudi-Arabien des Weiteren die Türkei, Aserbaidschan als wichtige Fixpunkte, für die Rekrutierung von Nachschub für Milizen unter seinem Kommando.

So pathetisch und propagandistisch Maciejczuks Worte zunächst erscheinen, sie besitzen doch deutlich mehr historischen Tiefgang, als es den Anschein hat. Angesichts seiner Vita kann davon ausgegangen werden, dass er sich dessen bewusst ist.

Für den Polen jedenfalls steht fest:

„Europa muss aufwachen und sich Konsequenzen daraus ziehen, dass der Völkermord an den Armeniern kein Zufall war. Wenn Arzach (Bergkarabach) fällt, wird sich dieses Kapitel der Geschichte vor unseren Augen wiederholen.“

Es sind Worte, die sich ein Europa, das am Anfang Februar den aserbaidschanischen Diktator Ilham Aliyew in Brüssel empfing, zu Herzen nehmen sollte.

Twitterscreenshot: Der Empfang des aserbaidschanischen Präsidenten seitens der EU ist umstritten https://twitter.com/HRHFoundation/status/827171179081273344

Hauptquellen:

- Karabağ hakkında bir belgesel çekmek isteyen Polonya'lı gazeteci tehdit ediliyor,Ermeni Haber, 30. Januar 2017

- Польский журналист стал получать угрозы после решения снять докфильм о Карабахе, Panarmenian, 30. Januar 2017

- Polish journalist is PUNCHED in the face during Russian TV show after telling debate panel 'Ukrainians want to live like normal people, not in s*** like Russians', Daily Mail, 24. November 2016

- "Die Waffenruhe hat meine Freunde getötet", Zeit Online am 18.Februar 2015

- Proteste gegen verzerrende Medienberichterstattung über Berg-Karabach, Arpine Maniero auf AGA Online, 04. April 2016

- In Georgian Village, Armenians And Azeris Find Common Ground, Radio Free Europe / Radio Liberty, 24. Juli 2013

- Hegghammer, Thomas (2010): Jihad in Saudi Arabia: Violence and Pan-Islamism since 1979, Cambridge University Press, S.56, ISBN 113948639X, 9781139486392

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