Die Genfer Kirche Sankt Hagop: Ein kleines Stück Armenien in der Schweiz

Ungefähr neun Millionen Menschen mit armenischen Wurzeln leben in der Diaspora. Das sind ca. dreimal so viele wie in der heutigen Republik Armenien. Dementsprechend zahlreich können die armenischen Kirchen rund um den Globus beziffert werden.

Im äußersten Südwesten von Genf und gleichzeitig auch der Schweiz liegt der ruhige und beschauliche Stadtteil Troinex, wo sich die armenisch-apostolische Kirche des Heiligen Hagop befindet.

In Erinnerung an seine Eltern und als Zeichen der Wertschätzung ihnen gegenüber ließ Hagop Topalian das, am 14. September 1969 eingeweihte, Gotteshaus erbauen.

Was sie in Westeuropa besonders und einzigartig macht, ist vor allem ihre Architektur. Sie orientiert sich am klassischen Stil alter armenischer Kirchen. Zu verdanken hat das Gotteshaus von Troinex sein Erscheinungsbild dem Architekten Eduard Uttudjian. Er konstruierte es auf kreuzförmigem Grundbau mit einem deca-hexagonalen Turm in der Mitte, den eine typische Kuppel schmückt.

Nur wenige Meter entfernt sieht man die Hänge steiler Ausläufer der Alpen. Mit etwas Fantasie hat der Besucher einen Moment lang das Gefühl, Mitten in der Kaukasusrepublik statt Mitten in Europa zu stehen.

Julian Tumasewitsch Baranyan

Die Lehre der armenisch-apostolischen Kirche

Die armenische Kirche erkennt die drei ökumenischen Konzile von Nicäa im Jahr 325, Konstantinopel im Jahr 381 und Ephesus im Jahr 431 an.

Das nicänische Glaubensbekenntnis, welches während des ersten der erwähnten Konzile formuliert wurde, wird in armenischen Kirchen während der Sonntagsmesse gesungen.

Die armenische Kirche glaubt gemäß Kyrill von Alexandria (374-444) an die Lehre der Dreifaltigkeit, wonach Jesus Christus Mensch und Gott zugleich war.

Die armenische Kirche lässt alle sieben Sakramente empfangen; Taufe, Firmung, Eucharistie, Buße, Weihe, Ehe und Krankensalbung, wobei Taufe und Firmung zusammen durchgeführt werden. Zu diesem Anlass empfangen Kinder darüber hinaus die Erstkommunion.

Symbole der bewegten Geschichte eines betrogenen Volkes

Armenien ist eines der ältesten christlichen Länder der Erde.

Die beiden Apostel Judas Thaddäus und Bartholomäus sollen bereits im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung das Christentum dorthin gebracht haben.

Zusammen mit der griechisch-orthodoxen und der römisch-katholischen zählt die armenische somit zu den drei ältesten christlichen Kirchen.

Bereits zu Beginn des vierten Jahrhunderts wurde das Christentum unter König Trdat III. und dem geistlichen Führer Sankt Gregor Lusaworitsch (St Gregor der Erleuchter) in Armenien als erstem Land der Welt zur Staatsreligion.

Der Überlieferung nach konvertierte Letztgenannter das damalige Königreich, nach überstandener Krankheit aus Dankbarkeit für seine Genesung, von einer Art zoroastrisch-polytheistischen Mischreligion zum Christentum.

Offiziell datiert die armenische Kirche dieses Ereignis auf das Jahr 301. Einige Historiker halten es jedoch für wahrscheinlicher, dass es tatsächlich zwölf bis 13 Jahre später stattfand.

Auf Sankt Gregor Lusaworitsch geht des Weiteren die Errichtung der Kathedrale von Etschmiadsin zurück, die bis heute das spirituelle Zentrum der armenisch-apostolischen Kirche beherbergt.

Mit dem Gesicht vor dem Eingang stehend, fällt linker Hand eine Steintafel mit sowohl armenischer als auch französischer Inschrift ins Auge. Auf ihr werden sowohl der Stifter des Sakralbaus als auch Etschmiadsin gewürdigt.

Ihre Inschrift lautet:

„Durch die Gnade Gottes und unter dem obersten Patriarch-Katholikos aller Armenier Vazgen I. im Heiligen Etschmiadsin, hat Hagop Topalian im Jahr des Erlösers 1969 diese Kirche St. Hagop in dankbarer Erinnerung seinen verstorbenen Eltern, Kevork-Garabed und Ardem Topalian, der Nutzung durch die Kinder der heiligen armenisch-apostolischen Kirche gewidmet."

Julian Tumasewitsch Baranyan

Über lange und dunkle Jahre hinweg war die armenische Kirche Fackelträger der christlichen Zivilisation im Nahen Osten.

Mit den blutigen Massakern des osmanischen Sultans Abdülhamid II.

gegen Ende des 19. Jahrhunderts, dem erlittenen Völkermord 20 Jahre später und der beinahe vollständigen Vernichtung und Vertreibung der Armenier aus Anatolien durch den Vertrag von Lausanne von 1923 und das damit verbundene Aus für die Republik Hayastan, suchten und fanden viele von ihnen Asyl in der Schweiz.

1921 gründete Antony Krafft-Bonnard, ein Pastor aus dem Kanton Waadt, dessen Hauptstadt ausgerechnet jenes Lausanne ist, wo das Ende armenischen Lebens in Anatolien beschlossen wurde, das armenische Zentrum von Begnins, wo er und seine Helfer zwischen 1922 und 1930, zwischen 142 und 170 Genozidwaisen und armenische Flüchtlinge empfingen und betreuten.

„Ihre Namen? Verloren! Ihr Alter? Vergessen! Ihr Vaterland? Unbewohnbar! Sie besitzen nichts mehr außer zwei Dingen: Ihr Leben und ihr Bewusstsein Armenier zu sein“ schrieb „Papa Krafft“, wie einige ihn liebevoll nannten, über seine Schützlinge.

Mitzuerleben wie ihnen durch den Beitritt der Türkei zum Völkerbund im Jahr 1932 unumkehrbar jegliche Chance auf eine Rückkehr in ihre alte Heimat genommen wurde, war für ihn eine schmerzliche und prägende Erfahrung.

Krafft-Bonnard wurde später Vizepräsident der Association internationale pour le Proche Orient (Internationale Gesellschaft für den Nahen Osten) und setzte sich Zeit Lebens für die christlichen Minderheiten des Orients ein.

Das Flüchtlingszentrum von Genf nahm damals insgesamt 85 Personen, vor allem Witwen, Waisen, Greise, Kranke, Altersschwache und Arbeitsunfähige auf, um sie zu unterstützen.

An diesem humanen und beispielhaften Verhalten der schweizer Bevölkerung hatte die armenischstämmige Gemeinschaft wesentlichen Anteil.

Dank armenischer Lehrer und Erzieher, erhielten die Flüchtlingskinder in Begnins zweisprachigen Unterricht auf Französisch und Armenisch in den sprachlichen Fächern, Religion, Geschichte und Kultur, was zu Erhalt und Entwicklung eines armenischen Bewusstseins beitrug.

„Ziel war es die Kinder in armenischer Sprache und Kultur zu bilden, um die künftige Elite des Landes heranzuziehen“, sagte Pierre Krafft, Enkel von Antony Krafft-Bonnard, 2015 gegenüber der schweizer Presse.

Religiöser Ort und Mahnmal zugleich

An die tragische Geschichte der Armenier, die untrennbar mit der Entstehung ihrer Genfer Gemeinde verbunden ist, erinnert ein Kreuzstein, ein sogenannter Chatschkar, wenige Meter neben dem Eingang von St Hagop.

Diese typischen Kreuzsteine sind seit Jahrhunderten feste und markante Bestandteile armenischer Geschichte und Kultur.

Julian Tumasewitsch Baranyan

Die vier Platten aus Metall unter dem Chatschkar sind als Landkarten von verbliebenen wie auch verlorenen historischen Siedlungsgebieten der Armenier zu verstehen.

Stellt man sich sie zusammengefügt vor, erhält man ein zusammenhängendes Gebiet, das von der heutigen türkisch-irakischen Grenze bis ins südliche Georgien hineinreicht.

Im Nordosten (oben rechts) sind die Umrisse der heutigen Republik Armenien erkennbar, die seit dem Ende der Sowjetunion ein unabhängiger Staat ist. Die Aussparung ist in den Umrissen des Sewansees gehalten.

Im Südosten (unten rechts) erkennt man die Umrisse von Nakhchivan in seinen historischen Grenzen, die nicht 100%ig mit jenen der, heute zu Aserbaidschan gehörenden, Provinz übereinstimmen. Noch 1917 machten Armenier dort beinahe die Hälfte der Bevölkerung aus. 1999 lebten dort nur noch weniger als 20 von ihnen.

Das Metallstück im Nordwesten (oben links) entspricht Dschawachetien bzw. der heutigen südgeorgischen Region Samzche-Dschawachetien, wo die Dschawacheti-Armenier heute etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmachen.

Das größte Stück im Südwesten (unten links) ist in den Grenzen des historischen Westarmenien gearbeitet, dem Hauptschauplatz des Völkermords im Osmanischen Reich. Seine Umrisse sind zu etwa zwei Dritteln identisch mit der, im Vertrag von Sèvres anerkannten und durch den Vertrag von Lausanne zerschlagenen, bereits angesprochenen, Republik Hayastan.

Die Inschrift auf der Gedenktafel darunter lautet:

„Der Du hier vorüber gehst, Mensch unter Menschen,

erinnere Dich,

dass 1 ½ Millionen Armenier, Deine Brüder, massakriert wurden, damit dieses Volk christlichen Glaubens auf seinem Land ausstirbt

Erinnere Dich,

damit ein solcher Völkermord nie wieder gegen andere Kinder Gottes verübt wird.

Wir schrieben den 24. April 1915 im Osmanischen Reich“

Julian Tumasewitsch Baranyan

Kirche und Kulturzentrum als Ort der Gemeinschaft

Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in der Schweiz ungefähr 300 Armenier.

Heute sind es nach Schätzungen ihrer eidgenössischen Gemeinden etwa 5000.

Die ersten armenischen Liturgien in Genf fanden erst ab 1925 statt, nachdem sich ein kleiner Kirchenrat zur Organisation religiöser Feierlichkeiten gebildet hatte.

Weil der liturgische Ablauf der Armenier nicht wirklich mit jenem evangelischer Kirchen übereinstimmt, verfügen sie nicht über die, für die Durchführung einer Eucharistie nach armenischem Ritus notwendigen, Altäre.

Daher wurde aus mehreren Optionen schließlich der „Salle Centrale“ zur Feier der ersten armenischen Liturgien in Genf ausgewählt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem nahezu gleichzeitigen Ende des französischen Völkerbundmandats in den Gebieten des Nahen Ostens, die armenischen Völkermordüberlebenden nach dem Ersten Weltkrieg als Hauptzufluchtsorte in der Region dienten, wanderten viele von ihnen mit ihren Nachkommen aber auch einige ihre Landsleute aus der Sowjetunion in die Schweiz aus.

Durch die vielen Neuankömmlinge aus vor allem dem Libanon, Syrien, dem Iran und Konstantinopel wuchs auch die Gemeinde von Genf.

Mit der Zeit entwickelte sich der Wunsch nach einer eigenen Kirche, den Hagop Topalian 1969 schließlich erfüllte.

Das Kirchgebäude gehört heute einer Stiftung, die nach St Gregor Lusaworitsch benannt ist. Das religiöse Leben wird vom armenisch-apostolischen Kirchenrat und einem Priester vor Ort geleitet, der sich schweizweit um Kirchengemeinden kümmert.

In den 1980ern wuchs die Zahl der Armenier in Genf weiter.

Die Stiftung des Heiligen Gregor entschied daher, ein Kulturzentrum auf dem Grundstück der Kirche zu errichten.

Die Bauarbeiten hierfür begannen und stoppten mehrmals, bevor 2006 die Fertigstellung erfolgte.

Julian Tumasewitsch Baranyan

Dies lag u.a. darin begründet, dass die Genfer Gemeinde zwischenzeitlich ihre ganze Energie bündelte, um ihren Beitrag zur Hilfe für die Opfer des Erdbebens von Spitak 1988 zu leisten.

Heute beheimatet das Kulturzentrum eine Mehrzweckhalle mit Platz für 300 Personen, eine Bibliothek, deren Sammlung ca. 3000 Werke umfasst, zwei große Foyers, mehrere Tagungsräume und ein Kiosk, der Bücher und diverse Artikel aus und rund um das Thema Armenien anbietet.

Quellen

- Internetseite des armenischen Zentrums von Genf: Église apostolique arménienne de Suisse Saint Hagop

- Anetka Mühlemann: Begnins, village refuge de 170 orphelins arméniens, erschienen auf 24heures.ch am 24. April 2015

- LE PROBLÈME ARMÉNIEN, Le feu brûle encore sous les cendres..... von A. KRAFFT-BONNARD

Société générale d'imprimerie. 18, Pélisserie, GENÈVE, Mai 1924, digitalisiert auf imprescriptible.fr

- Internetseite des armenischen Zentrums von Genf: Historique de la communauté arménienne en Suisse Romande

- Abel Oghulkian: Die armenisch-apostolische Kirche in der Schweiz, erschienen in der Schweizerische Kirchenzeitung Ausgabe 27-28 / 2001

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