Über das Wort "sehen"

Im Bharata Natyam heißt es gleichsam als Anleitung für indische Tänzer*innen: „Wohin die Hand geht, dorthin geht der Blick.“ Die Augen betrachten die eigene Bewegung und erfüllen sie damit erst mit Leben, machen sie damit erst zum Ausdruck eines seelischen Vorgangs.

Im alten Kinderspiel „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist ...“ hingegen betrachten wir nicht die Eigenbewegung, sondern etwas Unverrückbares in unserer Umwelt. Es ist fixiert – und ich habe es zuerst erspäht. Kommst du darauf, was ich meine, wenn du meinem Blick folgst? Aber ich werde mein Pokerface aufsetzen und dich nicht sehen lassen, worauf meine Augen lasteten.

Sehen als folgen, sehen als In-Besitznahme, sehen als Vorsprung. Unser Wort „sehen“ hat seinen Ursprung im mittelhochdeutschen „sehan“, das laut Duden mit dem lateinischen „sequi“, folgen verwandt ist. Zugrunde läge vermutlich ein „altes Wort der Jagdsprache“, „das sich auf den verfolgenden und spürenden Hund bezog.“

Die Beute eines Jägers ist nicht unverrückbar, fixiert. Er fixiert sie erst mit seinem Blick. Und dann folgt sein Auge dem Lauf seines Gewehrs.

Insofern hat „sehen“ auch was mit dem Schuss des Fotografen zu tun, der etwas ins Bild bannt, um der Welt zu zeigen, wie er sie sieht.

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