Warum wir Schönheit brauchen - brauchen wir Schöneit? Ein poetisch-politischer Text

Dürfen wir heute angesichts der vielen Probleme in unserer Gesellschaft über die fehlende Schönheit von Bauwerken und Räumen sprechen?

Ja, wir müssen darüber sprechen. Sehr dringend sogar.

Gerade als ich an diesem Text über die Schönheit schreibe, kommt auf meiner FB-Seite ein neuer Beitrag mit einem Bild des Taj Mahal. Im wahrsten Sinn des Wortes geht mir das Herz auf und ich versinke in der Schönheit dieses Bildes. Die Erinnerungen – das Taj Mahal bei Vollmond, die Blumen-Intarsien an den Außenwänden vom Licht des Mondes versilbert; die Gerüche des nahen Flusses Yamuna; die hörbare Stille …

Sehe ich hingegen ein Bild des Veranstaltungszentrums in unserer Stadt – nur so als Beispiel, geht mir keineswegs das Herz auf. Die Räume, in denen Kunst erblühen und verzaubern sollte – ein „Potenzialentfaltungsraum“ (Jan Teunen *)) – ist ein kahler und ungemütlicher Zweckbau. Da verabschiedet sich berührende und inspirierende Kunst sehr schnell und ich auch. Was bleibt ist Konsum-Kunst. Ein Mausoleum lebendiger als ein Veranstaltungszentrum? Da kann ja was nicht stimmen.

Im Juli 2006(!) habe ich über „Die Notwendigkeit von neuen Sprach- und Lebensräumen“ geschrieben. Damals habe ich in einigen zivilgesellschaftlichen Projekten gearbeitet und wir hatten immer wieder das Problem, schöne „und“ leistbare Räumlichkeiten für unsere Arbeitstreffen zu finden. Handelt es sich doch bei den vielen Projekten und Initiativen, die von BürgerInnen gemacht wurden und werden um unbezahlte Arbeit für das Gemeinwohl. Meistens waren und sind es hässliche Räume, um die Kosten gering zu halten.

Heute – 9 Jahre später – hat sich nichts an dieser Problematik geändert.

Aus meinem damaligen Text (2006):

„Wenn wir über neue gesellschaftliche und politische Strukturen nachdenken, sollten wir das nicht in den alten Strukturen der Räume tun, sondern umziehen in neue Räume, um diese Prozesse zu fördern oder überhaupt einmal gut in Gang zu bringen. …

Neue, lebendige Sprach-Räume (damit meinte ich neue dialogische Kommunikationsmethoden) sind schwer umzusetzen in alten Lebens-Räumen die nicht geschaffen sind für den Ausdruck von Lebensfreude und Lebensfreundlichkeit. …“

Heute – 9 Jahre später – spricht Jan Teunen in einem Vortrag über „Räume und Potenzialentfaltung“. Er meint damit, dass alle Häuser, nicht nur die Schulen, Bildungshäuser seien. Häuser sollten insgesamt Lebensräume sein, in denen es Menschen möglich ist, sich zu entwickeln und ihre Potenziale zu entfalten. Er nennt dieses Lebensräume – „Potenzialentfaltungsräume“. Er betrachte die Welt im Ganzen als einen Bildungsraum.

Erfreulich, dass ich nach 9 Jahren mit meiner Ansicht nicht mehr allein bin.

Wenn wir uns nun unsere Häuser ansehen – die Häuser der Bildung (Schulen), der Arbeit (Bürohäuser), die Häuser der Gesundheit (Krankenhäuser) und der alten Menschen (Plegeheime), unsere Wohnhäuser, etc. – dann muss man feststellen, dass viele dieser Häuser nicht in Ordnung sind. Vor allem sind sie nicht förderlich für verbindende Werte wie Dialogbereitschaft, Solidarität, Achtsamkeit und Verantwortung (für sich selbst, für ein Miteinander mit Mensch und Natur). Vor allem in Schulen und Pflegeheimen fällt mir immer wieder auf, dass zwar die Böden strahlen, die Augen der Kinder und Alten jedoch nicht.

Warum wir die Schönheit auch für unsere politische Arbeit brauchen?

Nochmals ein Zitat aus meinem Text 2006: „Es ist wichtig eine Umgebung zu schaffen, die Gefühle von Ungezwungenheit und Vertrautheit schaffen – die Kraft und Bedeutung von Räumen, die sich sicher und einladend anfühlen. Wenn Menschen sich „wohl fühlen in ihrer Haut“, können sie am kreativsten denken, sprechen und zuhören. …“

Warum besetzen PolitikerInnen die schönsten Häuser (vielfach Barockbauten)? Um zu repräsentieren?

Im Duden finde ich bei der Bedeutung des Wortes „Repräsentation“:

  • Vertretung eines Staates, einer öffentlichen Einrichtung o. Ä. auf gesellschaftlicher Ebene und der damit verbundene Aufwand
  • an einem gehobenen gesellschaftlichen Status orientierter, auf Wirkung nach außen bedachter, aufwendiger [Lebens]stil

Um einmal polemisch zu werden – an Potenzialentfaltung ist dabei offensichtlich nicht gedacht, und der gehobene gesellschaftliche Status verhindert von vornherein eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe.

Wenn ich nochmals auf das Taj Mahal zurückkomme, dann erscheint mir dieser Bau lebendiger und anziehender als die Repräsenationshäuser. Von den Amtshäusern mit ihrer schwer lastenden Stille in Räumen und Gängen, in denen sich Menschen unsicher und bedrückt fühlen, ganz zu schweigen. Obwohl dort hauptsächlich geschwiegen wird. Von Lebendigkeit keine Spur.

Muss das so sein? Ich sage nein.

Und ich frage mich, warum sich BürgerInnen, die seit 30 Jahren für das Gemeinwohl arbeiten, nach wie vor auf Raumsuche begeben müssen. Was bedeutet das für die Wertschätzung ihrer Arbeit? Warum sollen und müssen BürgerInnen in ungemütlichen und z.T. hässlichen Räumen ihre wertvolle Gemeinwohl-Arbeit machen. Warum können sie das nicht auf gleicher Augenhöhe mit PolitikerInnen in schönen und angenehmen Räumlichkeiten machen? Haben sie doch darauf genauso ein Recht wie PolitikerInnen, die für ihre Arbeit bezahlt werden.

Muss das so sein? Nein.

Jan Teunen: „Das Haus kann zum Ort der Geborgenheit und Sicherheit werden, der dem Menschen die Möglichkeit bietet, sich zu sammeln und eine Mitte zu finden. Es kann ein Ort der Intimität sein; aber auch ein Ort der Geselligkeit und Gemeinschaftlichkeit, da er ihn mit anderen teilt. So erweisen sich Bildungshäuser und Bildungsräume als grundlegende, existentielle Orte des Menschen. Häuser sind Einrichtungen, die den Menschen positiv ansprechen und motivieren und ihm geistige, seelische und psychische Orientierung geben.“

So fordere ich ein Haus für die BürgerInnen, die für das Gemeinwohl arbeiten. Ein Haus das inspiriert und Potenzialentfaltung möglich macht, ein Haus das Gemeinschaft stiftet, und in dem Lebensfreude und Lebendigkeit durch Räume und Gänge flirrt.

In meiner Vision sehe ich das BürgerInnen-Haus, lebendig wie ein Bienenstock, mit einem ReparaturCafe, Räumen für Handwerksarbeiten, Kochsalon, Seminarräumen. Im Rathaus gegenüber finden die offiziellen Versammlungen statt, an denen die VertreterInnen der Parteien und der Zivilgesellschaft gleichwertig und gleichberechtigt teilnehmen. Welch gemeinsame Potenzialentfaltung … !

Ja, Menschen brauchen Schönheit zu ihrer Entfaltung!

*) Jan Teunen, Vision Entrepreneur in The Network of Responsable Innovaters; er erarbeitet Konzepte für Unternehmer, die dazu beitragen, eine nachhaltige Unternehmenskultur zu entwickeln, zu der dann auch die wirksame Kommunikation nach innen und außen gehört.

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