Ich sah gestern Franz „Vranz“ Vranitzky bei einer Diskussionsrunde. Und war sehr emotional. Er ist der Kanzler, der mich politisch geprägt hat. Ich war 13, als er Kanzler wurde. Und 24, als er zurücktrat.  Daher sehne ich mich nach einem Polittypus wie Vranitzky. Es ist das Sozialliberale, das mir in der heutigen Politik so abgeht.

Die gestrige Diskussion drehte sich natürlich um Rot Blau bzw mögliche (weitere) Zukunftschancen der „grossen“ Koalition oder besser gesagt der Systemparteien. Vranitzky erklärte nachhaltig und eindeutig, warum er mit der Haider FP brach. Seine Argumentation wirkt noch fast 30 Jahre später mehr als schlüssig.

Kein Nein zur FPÖWarum gilt diese also nicht auch für die heutige Zeit? Aus plebiszitären Gründen? Jein. Vielleicht daher, weil es von keiner Partei mittlerweile ein klares Nein zu einer Koalition mit der FPÖ gibt. Und damit der FPÖ das Wesen einer sogenannten Antisystempartei konstatiert wird. Die schwammige Haltung zur FPÖ macht diese stark und erst dadurch als potentiellen Koalitionspartner interessant bzw wählbar. Und: der machtpolitische Faktor ist in den 00er Jahren des 21. Jahrhundert immer präsenter geworden. Das war in Wahrheit der Tabubruch Schüssels: den Zug zur Macht gegen die bis dato gültigen Spielregeln und scheinbar vor die Interessen des Staates zu setzen. Ungeachtet der diskussionswürdigen politischen Reformziele, die ihn dazu motivierten.

Damals in den 90er Jahren, fand in Österreich trotz Jörg Haiders langsamen Aufstiegs eine Politik mit vergleichsweise liberalen Ansätzen statt. Sozial-Liberal von Seiten der SPÖ, konservativ-liberal von Seiten der ÖVP (Bunte Vögel). Auch der spätere Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ein politischer Ziehsohn von Busek) war ein Impulsgeber des liberalen Aufbruchs. Keine Rede davon, dass die Haider FP ein möglicher Koalitionspartner wäre. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung und Berichterstattung. Die Grosse Koalition brachte das Land in der Stern Hälfte der 90er Jahre politisch, gesellschaftspolitisch und wirtschaftspolitisch weiter. Vranitzky schaffte es mit einer sehr behutsamen Politik, die Waldheim Jahre für Österreich so zu managen, dass die internationale Isolation sich in Grenzen hielt. Ihm gelang der Spagat zwischen USA und Israel, er räumte 1991 erstmals somit von offizieller Stelle nach fast 50 (!) den Opfermythos Österreichs beim Anschluss 1938 beiseite und sprach von einer Mitverantwortung.

EU Beitritt

Das Paradestück der Koalitionären Zusammenarbeit war vor allem die Volksabstimmung zum EU Beitritt und in weiterer Folge der Beitritt. SPÖ und ÖVP waren Europa-Parteien. Um vieles mehr, als sie es heute sind , in Zeiten, in denen über 90% der Entscheidungen in Brüssel fallen. Damals wurde darüber disputiert, ob die VP Aussenminister in ihrer aussenpolitischen Funktion zu engagiert sind und dass diese sich in der Aussenpolitik mit dem Nachfolger Waldheim um diese Auftritte zankten. Aussenpolitik und vor allem EUPolitik war ein zentrales Thema in Österreich.

Und innenpolitisch schaffte das Finanzduo Ferdinand Lacina als Minister mit Johannes Ditz als Staatssekretär einen grossen Wurf mit der Steuerreform. Die Vranitzky gestern durchaus selbstbewusst als weitaus besser als die jetzige taxierte.  (Interessanterweise hat zb der jetzige Finanzminister trotz immenser Aufgabenstellung und Komplexität keinen Staatssekretär).

Integrität – wo bist du

Was Vranitzky vor allem hat, ist Integrität. Vranitzky tauchte nicht wie viele seiner Ex Kollegen als Berater autoritärer Regime in den ehemaligen UDSSR Teilrepubliken auf und dies verbunden mit einer hohen Honorarsumme. Er steht in einer Reihe mit Helmut Schmidt, der als „Elder“ Statesman seine Meinungen zu aktuellen Entwicklungen wiedergibt. Ihm ist bewusst, dass die Form von „Altersversorgung“ das Image des Politikers nachhaltig weiter verschlechtert und damit auch Antisystemparteien wie die FPÖ in ihrer Aktivität stärkt.

Und er steht für einen Typus Homo politicus, nach dem man sich in Zeiten wie diesen sehr sehnt. Unter seiner Führung hatte Österreich erstmals eine sozialliberale Politik, die auch dem Wort „sozial“ seines Koalitionspartners in dessen historischer Bezeichnung „Christlich-sozial“ entgegenkam. Hier gilt es meiner Meinung nach anzusetzen: die Stärkung des „Sozialen“ im politischen Diskurs. Gerade inmitten der 4. Revolution, der Digitalisierung, ein zentrales und unabdingbares wichtiges Thema. Zuckerberg und Co haben das schon verstanden. Und haben den Begriff Social Media etabliert.

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