„Zuckerhahn zu. Erdäpfelhahn zu. Rapsölhahn zu. Getreidehahn zu.“ Wütender Post eines Zuckerrüben-Bauern auf Facebook geht viral

„Diese Wut musste jetzt mal raus!“ so endet ein Facebook-Post des Weinviertler Landwirtes Lorenz Mayr. Angesichts seines völlig vom Derbrüsselkäfer zerstörten Zuckerrübenackers packt den mir als ausgesprochen umsichtig und freundlich bekannten jungen Mann der heilige Zorn. Zorn vor allem auf die „selbsternannten Umweltschützer und Landwirtschaftsexperten“, die, so Lorenz, „Panik und Angst“ verbreiten würden, was die Gefährlichkeit der im Pflanzenschutz eingesetzten Mittel anbelangt. Was dazu führt, dass dem Landwirt sukzessive jene Werkzeuge verboten werden, die seine Ernte retten könnten. Ich habe mir die vielen Kommentare zum Post genau angesehen und lange mit Lorenz darüber gesprochen.

„Biblische Plage“,...

...„In der Karwoche hat das Leiden begonnen“, „Meinen Rüben wird die Auferstehung nicht gelingen“ – Lorenz greift instinktiv von Anfang an ins einschlägige Vokabular. Wie ein Rufer in der Wüste kommt er mir vor inmitten seines tatsächlich einer Wüste gleichenden Zuckerrübenackers, der vom Derbrüsselkäfer kahl gefressenen wurde.

Der religiöse Kontext rund um Ostern liegt nahe und die Drastik seiner Jeremiade lässt denn auch nichts zu wünschen übrig. Aber was will er uns, denn an uns Konsumenten wendet sich sein Post, eigentlich sagen? Geht es ihm nur darum Dampf abzulassen? Nein, Lorenz hat eine Botschaft, er will über seine momentane Wut hinaus, etwas, jemanden, möglichst viele erreichen. Dass ihm das jetzt ausgerechnet mit einem „Wutanfall“ in unerwartetem Ausmaß gelungen ist, gibt ihm schon zu denken. Seit langem nämlich bemüht er sich schon via Facebook und seit kurzem auch über den Verein Boden.Leben Menschen – vor allem auch außerhalb der Landwirtschaft – zu erreichen.

Mit Bildern und leicht verständlichen Erklärungen dazu bringt Lorenz nahe, was ihm wichtig ist: die Vorgänge im Boden, die Zusammenhänge, die Basics landwirtschaftlicher Praxis, das Geschäft und die Leidenschaft des Bauern – UND alles, was es ihm, dem Landwirt schwer macht diese zu leben und jenes zu erzielen. Am Telefon beschreibt er die Absicht seines digitalen Engagements ungefähr so: Er wolle vor allem erreichen, dass dieses massive Unwissen über seine Arbeit kleiner wird, wie es in der Gesellschaft vorherrscht. Dass nicht alles, was aus einer bestimmten Richtung darüber verlautet wird, was er oft genug als Verleumdung und mindestens als gezielte Desinformation erkenne, von den Mitbürgern als bare Münze genommen wird. Ich weiß natürlich, wen Lorenz hier anspricht und überlasse es gerne dir, lieber Leser, es herauszufinden...

Aufklärung also...

...Und diesmal mit dem wütenden Unterton. Scheinbar kommt das an. Hier eine Kostprobe:

„Selbsternannte Umweltschützer und Landwirtschaftsexperten ziehen nun seit einigen Jahren durchs Land und versuchen mit Verunsicherung der Menschen Spenden zu erhaschen. Diese Leute hatten noch nie selbst einen Betrieb zu verantworten, aber sind angeblich Experten. Ihre guten Beziehungen zu den Medien setzten sie gekonnt ein, um Panik und Angst zu verbreiten. Doch die Kehrseite der Medaille sieht niemand.“

Des Pudels Kern und die im Grunde unverhohlene Forderung von Lorenz: Sinnvoller Einsatz von ehemals zugelassenen und zwischenzeitlich verbotenen Pflanzenschutzmitteln oder wie die andere Seite diese lieber bezeichnet: Pestiziden. Und hier genau scheiden sich die Geister, scheidet sich die gesteuerte Außenwahrnehmung des Bauern in gut (= bio, die, die – angeblich – nicht spritzen) und böse (= die konventionelle Mehrheit, die Ackergifte – angeblich – wahllos einsetzen). Diese Scheidung der Geister aber müsste, geht es nach Lorenz, gerade nicht sein,

„denn das Leben ist nicht nur schwarz-weiß. Die Folge der immer weniger werdenden Werkzeuge in der pflanzenbaulichen Produktion sind enorme Explosionen der Schadinsekten. Der Rübenanbau und damit die österreichische Zuckerproduktion stehen kurz vor dem aus. Ohne Rohstoff - kein Zucker.“

Gerade auch der Bio-Zuckerrübenanbau...

...wurde vom Käfer und zwar noch erheblich stärker heimgesucht als sein konventionelles Pendant. 70 Prozent Ertragsverluste beim Bio-Zucker in 2018 sprechen eine deutliche Sprache. Das Problem ist ein gemeinsames, es trifft die „guten“ wie die „bösen“…

Lorenz sieht also das Ende des heimischen Zuckerrübenanbaus und damit auch des Wiener Zuckers nahe, wenn so wie heuer allein in seinem Bezirk Korneuburg, einer Rübenhochburg, nach Insider-Schätzungen ca. die Hälfte aller Rübenäcker umgebrochen werden mussten.

Die Trockenheit und der Derbrüsselkäfer, der mit den hohen Temperaturen in Scharen angekrochen kommt, sind es, die den kleinen Rübenpflänzchen den Garaus machen. Gegen die Trockenheit ist – ohne künstliche Bewässerung – zurzeit noch kein Kraut gewachsen. Gegen den Käfer könnte man sich schon schützen, aber dürfen tut man nicht, wie der Wiener sagen würde. Hier beweist Lorenz Galgenhumor, indem er schreibt:

„Ich habe alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen gesetzt. Doch es war mir unmöglich meine Rüben vor dieser biblischen Plage zu retten. Therapiesitzungen, austauschende Gespräche und Angebote anderer Pflanzen an den Rübenderbrüssler haben keinen Erfolg gezeigt. Er ist eine sture kleine Bestie.“

Dass er alles ihm Mögliche getan habe,...

...wollen ihm nun einige wohlmeinende Kommentatoren nicht so recht abnehmen und sie glauben die Lösung für Lorenz‘ Problem zu kennen. So wird ihm ganz herzlich geraten doch endlich mit der ewigen Monokultur Schluss zu machen und stattdessen eine Fruchtfolge zu betreiben. Gerne auch wird der Umstieg auf Bio oder gleich Permakultur empfohlen und auf natürliche Feinde des Käfers zu setzen. Letzteres meist nicht ohne den bitterbösen Nachsatz, dass jene wahrscheinlich durch Monokultur und Chemie bereits so weit vom Bauern dezimiert worden seien, dass sie ihm jetzt eben nicht mehr zu Hilfe eilen können. Nach dem Motto: Selbst Schuld, jetzt bekommst du die Rechnung für deine Gier, für dein nicht nachhaltiges Wirtschaften, für dein Vergehen an der Natur.

Bei dieser Art Ratschlägen bleibt Lorenz geduldig und seiner Linie treu, hier erst mal die allergängigsten Vorurteile auszuräumen. Und wieder und wieder erklärt er deshalb, dass Fruchtfolgen längst selbstverständlich sind bei ihm und bei allen Kollegen, die er kennt. Dass Bio zwar eine super Sache sei, dem Derbrüsselkäfer aber – vgl. weiter oben – ebenso wenig, wenn nicht noch weniger entgegenzusetzen wisse. Dass Permakultur nicht ganz so einfach und überall funktionieren würde, wie längst vielfach bewiesen sei und dass die natürlichen Feinde zwar vorhanden wären, aber gegen die schiere Überzahl der Käfer wenig auszurichten wüssten.

Am Telefon lässt er schon erkennen, dass derlei Anfragen Nerven kosten. Dass die eingefleischten Vorurteile vor allem gegenüber der konventionellen Landwirtschaft manchmal zum Verzweifeln sind. Am allerschlimmsten empfindet er An- und Untergriffe aus der Bio-Kollegenschaft, wie sie sich als Kommentare getarnt auf seinem Facebookpost ebenfalls eingefunden hätten. Auf meine Nachfrage betont er, dass er mit seinen biologisch wirtschaftenden Nachbarn ein ausgezeichnetes Verhältnis pflege. Er selbst habe viel von Bio gelernt und werde das auch weiterhin tun. Andererseits habe er vor allem bei bodenschonenden Anbaumethoden gegenüber den Bio-Kollegen den Vorteil die (chemische) Notbremse ziehen zu können. Was ihm erlaube hier mehr zu experimentieren. Im Idealfall so lange bis die Methode dann auch bio-tauglich sei.

Das sei alles längst gängige Praxis, die leider von einigen wenigen hardcore Bio-Kollegen in Frage gestellt werde. Einer Minderheit, wie sich Lorenz sicher ist. Aber halt einer, die laut sei und deshalb über Gebühr wahrgenommen werde. Ähnlich jenen weiter oben schon zitierten „selbsternannte(n) Umweltschützer(n) und Landwirtschaftsexperten“ welche „versuchen mit Verunsicherung der Menschen Spenden zu erhaschen.“

Die heimische Zucker(rüben)produktion sieht Lorenz also akut gefährdet...

...Ähnliches blühe der Kartoffel-, der Rapsöl und sogar der Getreideproduktion. Die Gründe hierfür seien dieselben: Trockenheit in den Hauptanbaugebieten zur Unzeit und vermehrter Schädlingsdruck nicht zuletzt aufgrund fehlender Werkzeuge im Pflanzenschutz. Warum diese die heimische Selbstversorgung a la longue gefährdende Situation nach wie vor zumeist stillschweigend hingenommen werde, hänge schlicht damit zusammen, dass sie dem Konsumenten immer noch viel zu wenig auffalle. Was in Österreich unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht oder zu wenig produziert werden könne, das importiere man einfach. Die Regale sind voll. Der Konsument ist satt. Und damit basta. Damit will und kann sich aber ein Landwirt nicht abfinden und deshalb lässt uns Lorenz wissen:

„Folglich liegen nun Erdäpfel aus Nordafrika in unseren Regalen. Diese Erdäpfel werden so produziert, dass sie den äußeren Ansprüchen der österreichischen Konsumenten entsprechen. Doch was ist mit den ganzen Wirkstoffen die dazu benötigt werden und bei uns nicht eingesetzt werden dürfen? Was ist mit diesen Ansprüchen? Nach dem Motto aus den Augen aus dem Sinn, kauft man dann diese Produkte mit reinem Gewissen. Doch das Gewissen sollte alles andere als rein sein! Denn dort wird produziert ohne so hohe Umwelt- und Humanstandards wie bei uns. Dort wird bewässert in der Wüste und daneben leiden Menschen an Durst. Diese Lebensmittel werden klimaschädigend zu uns transportiert und wir diskutieren über den Klimawandel. Wo bleiben hier die Umweltschützer? Warum schreit da niemand auf? Bringt das keine Spenden?

Die alternative zum Rübenzucker ist Rohrzucker. Seht euch dessen Produktion bitte mal an. Furchtbar! Rohrzucker gefährdet den Regenwald. Menschen werden ausgebeutet. Transport rund um den Globus. Doch das stört uns anscheinend nicht. Wir verbieten alles, das für eine Produktion im Inland notwendig ist. Zerstören landwirtschaftliche Betriebe. Treiben Unternehmer entlang der Produktionskette in den Ruin und pfeifen auf die Arbeitsplätze in den Werken.

Mit derlei unverblümter Sprache hat Lorenz Mayr mittlerweile viele Menschen auf Facebook erreicht. Ich persönlich wünsche dem sympathischen und engagierten jungen Landwirt noch ein viel größeres Publikum und dass er die Freude an seiner Arbeit und die Geduld mit uns unwissenden Konsumenten nicht verliert!

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