by Richard Krauss EMET - NEW - PRESS - 03.06.2016

"Die Seele hat die Farbe deiner Gedanken" - ein Ausspruch von Marc Aurel. Und diese Farbe unserer Gedanken ist das, was uns Menschen Tag für Tag und Jahr für Jahr umtreibt. Diese Gedanken bestimmen unser Reden und unser Handeln und das Miteinander von Menschen.

Es sind Menschen, die an verschiedenen Orten dieser Welt geboren wurden, aufgewachsen sind und dort leben. Sie sind von dem geprägt, was ihnen im Laufe ihres Lebens widerfahren ist.

Im Guten wie auch im Schlechten. Darunter sind Frauen und Männer, Junge und Alte, Redner und Zuhörer als auch Aktive und Passive.

Jeder von ihnen hat einen ganz persönlichen Blick auf dieses eigene Leben.

Ein Leben in einer höchst persönlich gestalteten Umgebung, beeinflusst von täglichen Erfahrungen. Diese aufgenommenen Informationen bedürfen einer Einordnung und einer differenzierten Bewertung.

Im Ergebnis führt dies zu einem richtig oder falsch, ist mir sympathisch oder nicht, will ich oder lehne ich ab. Es findet ein Teil der persönlichen Meinungsbildung statt.

Diese Meinungsbildung - dieses Gedankenbild - kann vielseitig schattiert und sehr bunt sein, jedoch auch einseitig, grau und pessimistisch. In jedem Fall die Farbe der Gedanken, um mit Marc Aurel zu sprechen.

Der Pessimist sieht das Glas halb leer, der Optimist sieht es als halb voll an und doch sehen beide das Gleiche.

Nun, welches ist die Richtige Sichtweise ? Gibt es eine richtige Sichtweise ?

Ist es "halb leer", muss ich befürchten, dass ich bald nichts mehr habe und ich verdursten werde und dieses "halb voll" gibt mir die Zuversicht, das reicht noch eine Weile und der Duft und das Aroma dieses herrlichen Getränks kann sich in diesem halbleeren Glas ausbreiten und verhilft mir zu einem fantastischen Genuss ?

Eine weitere Perspektive die sich anbietet ist der Blick von unten auf dieses Glas. Spätestens an diesem Punkt wird es schwierig ein "halb voll" oder "halb leer" festzustellen.

Das Glas und die Flüssigkeit mag unstrittig sein.

Die Frage des "wie viel" und eine Überprüfung ob sich die Flüssigkeit im Glas oder Glasboden befindet, ist schwieriger zu klären.

An diesem Punkt setzt die theoretische Diskussion um die vermeidlich richtige Antwort ein - sofern es sie gibt.

Argumente werden ausgetauscht, Fakten werden herangezogen eine Diskussion um die wahrscheinlich richtige Antwort wird engagiert geführt. Es geht um nichts wirklich Wichtiges, es geht um die einfache Frage, ist in dem Glas Wasser enthalten und wenn ja wie viel.

Wird das "Glas Wasser" gegen abstrakte Begriffe wie Gerechtigkeit, Sicherheit, Freiheit, Transparenz, Demokratie oder Wohlstand ausgetauscht, richtet sich der Blick auf den Glasboden. Eine sofortige Feststellung der Fakten und der Konsequenz erscheint unmöglich.

Keine Frage, "Sicherheit" ist, wenn meinen Nächsten oder mir nichts widerfährt was ihnen Leid zufügt oder ihnen das Leben nimmt.

Das ist eine mögliche subjektive Definition. Ein Jeder von ihnen hat eine gänzlich andere oder vielleicht ähnliche Deutung.

Dennoch hilft es an diesem Punkt nicht weiter, weil eine Konsequenz im Raum steht.

Wie wird Sicherheit erreicht, wie wird Gerechtigkeit erreicht, wie wird Freiheit erhalten oder erreicht ?

In dieser scheinbar harmlosen Frage, der Frage nach Gerechtigkeit, Sicherheit, Demokratie offenbart sich eine Fülle von unbewussten Manipulationen. Der Autor unterstellt, dass dieses

" wie wird erreicht..." Konsens ist.

Und die zweite Manipulation ist, dass Jeder die gleiche Definition verwendet und als Konsens ansieht - was Gerechtigkeit, Sicherheit, Wohlstand oder Demokratie ist.

Warum auch nicht, ein Teller ist ein Teller, eine Gabel ist eine Gabel und ein Messer ist ein Messer. Und mit diesen Hilfswerkzeugen nehmen wir unsere tägliche Nahrung auf. Damit alles gut ?

Schlage ich ihnen diesen Teller über den Schädel, ramme ich ihnen das Messer oder die Gabel in den Bauch, dann, ja dann wird dieses Hilfswerkzeug zur Tatwaffe.

Betrachten wir die Kernfrage. Wer setzt sich zur Wehr ? Der Bedrohte oder der Angreifer ?

Eine Binsenweisheit. Der Bedrohte, wer sonst.

Wer fühlt sich bedroht und was wird bedroht? Derjenige, der Gerechtigkeit, Sicherheit, Wohlstand, Demokratie, Transparenz in Gefahr sieht

oder derjenige der sich und seine Interessen durch Gerechtigkeit, Sicherheit, Wohlstand, Demokratie, Transparenz etc. in Gefahr sieht ?

An dieser Stelle ist ein aus meiner Sicht entscheidender Punkt erreicht, die Konsensfrage.

Die Konsensfrage nach dem vermeidlich Richtigen und Falschen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene.

Die Frage nach dem cui bono - nach dem Motiv, nach der Interessenslage und die Nutzenfrage in Hinblick auf Macht und Einfluss im Sinne von Entscheidung.

Ist gesamtgesellschaftlicher Konsens, dass Freiheit, Demokratie, Meinungsfreiheit, Wohlstand und Toleranz aufrecht zu erhalten oder anzustreben sind ?

Ist es gesamtgesellschaftlicher Konsens, dass Unternehmen im globalen Wettbewerb ständiges Profitwachstum anstreben müssen um dem Verdrängungswettbewerb Stand halten zu können um ihre Existenz absichern zu können ?

Ist es gesamtgesellschaftlicher Konsens, dass eine Minorität über die Majorität herrscht indem das nur eine Minderheit zur Wahl geht und sich die Nichtwähler danach beschweren von eben dieser Minorität regiert zu werden ?

Warum oder auch nicht ist ein gesamtgesellschaftlicher Konsens erforderlich ?

Was geschieht wenn ein regional existierender gesellschaftlicher Konsens in wichtigen Fragen auf nationaler und internationaler Ebene nicht akzeptiert wird und abhanden gekommen ist?

Was geschieht, wenn das eigene Argument im lauten Chor der vielen Stimmen in Parlamenten, Parteien, Medien und sozialen Plattformen nicht gehört wird, unterzugehen droht und das Megafon in welcher Form auch immer nicht in Sicht ist ?

Stellt sich dann ein Gefühl von Ohnmacht, Zorn und Hilflosigkeit ein, das ein Ventil sucht ?

Sehr häufig und in verstärktem Maße ist dann in der vergangenen Zeit zu beobachten, dass an Stelle des differenzierten Arguments und eines angemessenen Diskurses eine grobe, polemische, verletzende und herabwürdigende gewalttätige Sprache und Intension in Erscheinung tritt.

Quer durch Parteien, quer durch Familien, quer durch einen ganzen Kontinent.

In dieser "verbalen Vergewaltigung" geht es nicht mehr darum, den anderen vom eigenen Argument zu überzeugen oder gemeinsame Schnittmengen zu entdecken, sondern darum dem Anderen zu versichern, dass er zu schweigen habe und sich im Unrecht befinde.

Der politische und gesellschaftliche Konsensdialog und ein substantieller Diskurs wird ersetzt durch billige, laute, provokative Polemik. Es ist das verbale Faustrecht um sich Gehör und Zustimmung zu verschaffen.

Das dies so ist, darin sind sich viele einig. Land auf Land ab wird die Verrohung der Sitten und das Abhandenkommen "gesellschaftlicher Normen" beklagt um genau im selben Atemzug das eben beklagte unter Beweis zu stellen.

Und dass dies kein beklagenswerter Zufall ist, lässt sich seit geraumer Zeit beobachten.

In einer sehr durchdachten Systematik bilden sich unheilige globale Allianzen, die sich in Rücksichtslosigkeit und unterschiedlich motiviert gegenseitig in ihrem Verhalten und ihrer wie auch immer ausgeprägten Gewalttätigkeit gegenseitig überbieten.

Schon Thomas Jefferson bemerkte zurecht: "Schlechte Kandidaten werden von Bürgern gewählt, die nicht zur Wahl gehen". Dem ist nichts hinzuzufügen.

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