[John Lennon/Paul McCartney]

Die Allgemeingültigkeit dieses wunderbaren Satzes besteht darin, dass er nicht etwa nur passiv, sondern vor allem auch aktiv gilt. Man könnte leicht verstehen: ich hatte es schwer, alles, was ich noch brauche, ist Liebe und Verständnis, Zuwendung und Solidarität meiner Mitmenschen. Vielmehr ist es umgekehrt: da die Welt Liebe braucht, muss ich sie ihr geben. Liebe entsteht durch geben. Es ist nur da, was ich und meinesgleichen produzieren. Der Neid produziert nichts als Missstimmung und Zerstörung, und zwar nicht nur beim Beneideten, sondern vor allem auch beim Neider. Ein ganz ähnliches, fast arithmetisch zu nennendes Verhältnis zeigt uns, dass durch Rache das Leid zu- und nicht abnimmt, durch Neid die schlechte Laune befördert wird, nicht die Gerechtigkeit.

Überhaupt: der Markt mag ergebnisorientiert sein, das Leben ist erlebnisorientiert. Wenn man Liebe als Investition ansehen wollte, so darf man doch nicht erwarten, dass sie das gewünschte Ergebnis hat. Das wird schon dem Pubertierenden klar: seine Sehnsucht sucht sich einen Gegenstand, der für ihn unerreichbar bleibt. Die Lösung ist ein entstehendes Idol oder Ideal.

Die Botschaft des Satzes erreichte die Welt zu einem Zeitpunkt, als sie glaubte, alles mögliche zu brauchen. Die Massenkonsumgüterproduktion lief zwar schon mehr als sechzig Jahre, aber war immerhin und immer wieder von der massenhaften Produktion von Waffen und Rettungsgerät unterbrochen worden. Erst die großen Konjunkturen, in Deutschland als dem an sich gläubigsten Land Wirtschaftswunder genannt, brachten die Botschaft, dass und was man alles braucht, um glücklich zu sein. Diese Annahme, dass wir vom Pappbecher bis zur Atombombe (Jean Luc Goddard) alle diese überflüssigen Gegenstände benötigen, führte zu der umfassendsten Produktionskrise, die die Menschheit bisher erlebt hat, denn sie entstand auf dem Boden der größten Produktion und Verfügbarkeit von Dingen. Es wird nicht abwegig sein zu vermuten, dass auch die Überhandnahme von Geld, und damit sein vermeintlicher Mangel, zusammenhängt. Gleichzeitig schritt aber die Säkularisierung mit einer fast total zu nennenden Informierung und Kommunikation einher, so dass die bisher professionellen Wertebewahrer, also Religionen und Staaten einschließlich ihrer Bildungssysteme, ebenfalls in eine tiefe Krise gerieten, zumal sie sich innerlich nicht von ihrer bisherigen Monopolstellung befreien können. Keinesfalls sind die alten Werte wie Liebe, Solidarität oder Kooperation überholt. Dagegen ändern die Sekundärtugenden so schnell ihre Bestimmungen, wie sich die hinter ihnen liegende reale Welt wandelt. War eine zwar kohärente, aber auch starrsinnige Welt an Konditionierung, an Lohn und Strafe, gebunden, die auch in das Verhältnis zu Gott hineinprojiziert wurde, so konnte die darauffolgende Arbeitsgesellschaft als einzige und Höchststrafe die Arbeitslosigkeit anbieten. Diese hat im fast religiös anmutenden und funktionierenden Sozialstaat ihre Wirksamkeit verloren.

Eine ganze Generation kann das Leben ohne Arbeit ausprobieren, ohne zu verhungern. Auch in den hungernden Regionen, die glücklicherweise schrumpfen, träumen viele Menschen nicht von Arbeit, sondern zum Beispiel von Fußball und Musik.

Liebe ist nur zu erlangen, als Konsum und als Instrument, durch Liebe. Das ist keine Tautologie, sondern ein Hinweis darauf, dass es keiner weiteren Bedingungen bedarf. Man muss nicht noch einem Verein zur Verbreitung der Liebe beitreten, damit die Liebe sich verbreite. Es reicht, wenn man sie verbreitet. Das ist natürlich immer auch institutionalisiert möglich, vor allem aber auch individuell. Gegen das Institut spricht dessen Abhängigkeit vom Zeitgeist, der Summe aller Interpretationen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Wo Menschen zusammenkommen streben sie nach Konsens, sie vergleichen ihre interpretativen Ausgangspunkte, und so entsteht eine neue Abteilung des Zeitgeistes. Das Wunder der Menschheit vollzieht sich im Verständnis. Zum Missverständnis bedarf es keiner Anstrengung. Jähzorn, Vorurteil, Neid, Missgunst, Wahrheit (also die Monopolisierung einer einzigen Interpretation), deren Folge dann oft der Hass ist (also ist Hass das organisierte Gefühl einer so genannten Wahrheit), das alles sind die gewöhnlichen Hinderungen der Liebe. Sie muss man im täglichen Leben einfach überwinden. Das ist alles sehr schwer.

Viele von uns können sich nicht an den Gedanken gewöhnen, dass es keine ‚Wahrheit‘ gibt, also keine längerfristig gültige Interpretation. Vertrauen in die Welt entsteht, man will es nicht glauben, durch die Liebe unserer Eltern zu uns, nicht dadurch, dass jemand die Teilbarkeit der Teilchen voraussetzt oder nicht voraussetzt. Der Unterschied zwischen einem Gleichgewicht und einem stabilisierten Ungleichgewicht ist im Alltagsleben gleich null. Die Wissenschaft einschließlich der Evolutionstheorie, das ist inzwischen ein ebenso legendärer wie trivialer Vorwurf, hat sich einfach an die Stelle der alten ‚ewigen‘ Wahrheiten gesetzt und ein ganzes Jahrhundert ist ihr willig gefolgt. Man kann den Alltag bestehen, ohne an Gott zu glauben, ohne die Relativitätstheorie zu kennen oder auch ohne Shakespeare. Wieviel Shakespeare, Relativitätstheorie und Gott allerdings in den vorhandenen Interpretationen und Dingen steckt, das wiederum vermag niemand zu bestimmen. Wer Shakespeare nicht kennt, wird ihn auch nicht entdecken können. Das ist das einfache Paradoxon der Bildung, nicht des Lebens.

Wenn man nun alle Lebenserleichterungen, vom Eisenerzabbau (physisch) über die Espressomaschine (psychosomatisch) bis hin zur Psychotherapie (psychisch), auf den berühmten Nenner (eine der wunderbarsten mathematischen Metaphern) zu bringen versucht, so kommt entweder Gier heraus oder Liebe. Die Gier ist ein Erzeugnis der Sattheit und des daraus sich ergebenden Überdrusses, weshalb Völlerei schon zu den antiken sieben Todsünden zählt. In der Sattheit zu erkennen, was einem fehlt, ist auch schon seit der Antike diskutiert worden. Wir suchen einen Sinn unseres Lebens. Die einen sagen, der Sinn des Lebens ist nichts als das Leben selbst. Die Existenz kann nicht über sich hinausdenken, wohl aber über sich hinaus handeln. Den Folgen meines Handelns folgen meine Nachfolger. Die anderen sagen, der Sinn des Lebens besteht in einem Leben nach dem Leben, in einer fortdauernden Existenz, die bilderbuchhaft vorgestellt werden kann. Beides ist hilfreich. Hilfreicher ist es aber, zu einem Pool der Liebe beizutragen. Hilfreicher ist es, wie Kinder immer wieder zu einer Unvoreingenommenheit zu gelangen. Es spricht nichts dagegen, sich dabei von denjenigen helfen zu lassen, die das auch schon so gesehen haben, die großen Religionsstifter, die großen Künstler und die großen Sätzeschreiber. Aber es ist andererseits nicht nötig, immer nach dem Großen und Alten zu sehen. In deiner Nachbarschaft, bei den so genannten schlichten Menschen entsteht genau so viel Menschlichkeit durch Liebe wie Liebe durch Menschlichkeit, wie in den großen Religionen, Philosophien und Kunstwerken. Sie alle sind Liebeswerke.

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Liliane Licht

Liliane Licht bewertete diesen Eintrag 29.10.2017 17:58:57

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