Chemische Kastration: Warum die meisten ihre Triebe nicht steuern wollen.

Es gibt Mythen, die entgegen jeglicher Erfahrung immer wiederkehren. Sehr oft haben sie mit Sexualität zu tun, und dies deshalb, weil wir im sexuellen Erleben mit Vergrößerungen – nicht nur von Organen sondern auch von Phantasien, Werbe- und Protzverhalten, eigenem wie auch fremden  – konfrontiert sind wie auch umgekehrt von kämpferischen oder unterwürfigen Reaktionen darauf und Besserwissern – elterlichen wie auch gesellschaftlichen – die uns „zu unserem Besten“ vor Negativerlebnissen behüten wollen.

Zu diesen Mythen gehört auch der vom übergroßen Sexualtrieb.

Bei Frauen hieß dies vor hundert Jahren noch Nymphomanie, weil man dachte, dass „unschuldige“ und „reine“ Frauen allem Sexuellen abhold seien. In dem Film „Analyse this!“ („Reine Nervensache“) weist der Mafiaboss entrüstet die Zumutung seines Psychoanalytikers zurück, zugunsten seiner Ehefrau auf Prostituiertendienste zu verzichten, weil er von ihr doch nichts verlangen könne in Hinblick auf ihren Mund, mit dem sie den Kindern den Gute-Nacht-Kuss gäbe. (Eine ähnliche Argumentation benützen hochrangige Kirchenfürsten gegen Priesterehen, weil man ja „den Leib Christi“ nicht mit Händen berühren dürfe, die Genitalkontakt gehabt hätten ... der eigene wird geflissentlich ignoriert).

Heute weiß man, dass Frauen die unabhängig von Einsamkeit häufigen Sexualkontakt zu fremden Männern suchen, „sexualisiert“, d. h. durch sexuelle Missbrauchshandlungen dazu „konditioniert“ wurden. Männer auch. Man weiß auch, dass z. B. frühzeitige Konfrontation mit harter Pornographie ähnliche Wirkungen hervorruft: Kinder verstehen die Inszenierung nicht und ahmen nach um herauszufinden, was das wäre  ... und bräuchten eigentlich jemand Sprachkundigen, der hilft, das Geschaute im Dialog zu verarbeiten.

Genau solch eine Gesprächsperson braucht man auch, wenn manfrau erstmals die drängende Wirkung der Sexualhormone erfährt. Leider kennen wenige andere Methoden der Selbststeuerung zu vermitteln als Drohungen und Angstmache. Die gibt es aber. Sie geben stattdessen das weiter, was sie selbst erfahren haben – johlendes Auftrumpfen zur Überwindung der pubertären Selbstunsicherheit und Machtspiele zur Unterwerfung all derer, bei denen sie rechnen, Überlegenheit genießen zu können.

Wir sind aber nicht mehr in der spracharmen Urzeit des Menschen mit deren vermutlich animalischen Begegnungsformen, als körperliche Attacken die einzigen Kommunikationsformen darstellten.

Wie jeden Trieb kann man auch den sogenannten Sexualtrieb (der übrigens bei Mangelernährung erlischt) steuern – wenn man das will.

Die meisten wollen nicht, weil sie nicht wissen, wie das geht und nicht als blöd dastehen wollen.

Man braucht dazu Modelle, Übung und soziale Bestätigung (wie bei jedem Lernen).

Wir alle spielen Vorbilder nach, außer wir prüfen diese kritisch und lernen neue Verhaltensweisen. Die wahren Abenteuer sind im Kopf (© André Heller). Deswegen ändert chemische Kastration von sogenannten Sexualstraftätern nicht das „Kino im Kopf“, dessen Nachahmung zwanghaft versucht wird.

Ich erinnere mich aus der Zeit (um 1990), in der ich in der Ersten Wiener Sexualberatungsstelle (1090 Lustkandlgasse 50) mitarbeitete, an einen derart „behandelten“ Delinquenten, der zwanghaft nur mehr an sein verpöntes Verhalten dachte und jede Gelegenheit suchte um zu beweisen, dass er noch „Manns genug“ sei. Er hatte es auf über 30 Vorstrafen gebracht ehe er zur Psychotherapie kam.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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