"A Bam kaun net wochsn, wenn er koan Bodn hot" - was man bei einer Biografiearbeit gewinnen kann.

Dieser Satz hat sich in die Erinnerung meines Vaters tief eingeprägt und dieser Satz veränderte sein Leben und wahrscheinlich auch meines. Nachhaltig.

Im Rahmen meiner Ausbildung zur zertifizierten Biografiebegleiterin, welche eine wertvolle Bereicherung meines Rucksackgangebotes ist, wählte ich die Lebensbiografie meines Vaters für meine Projektarbeit. Eine der ersten von vielen weiteren Erkenntnissen war die, dass vor allem jene Eigenschaften meines Vaters, gegen die ich in meinen jungen Jahren am meisten rebellierte, die größten Stärken und Ressourcen meiner eigenen Biografie darstellten.

Was ist Biografiearbeit? Nach Ruhe (1998) ist es der „Versuch, Mensch-Sein als Körper, Geist und Seele in den individuellen, gesellschaftlichen und tiefenpsychologischen Dimensionen wahrzunehmen. In der Rückschau auf das eigene Leben, geschieht Einbettung in das gesellschaftliche Leben, wächst Verständnis für das Eigene. Biografiearbeit ermöglicht, sich sinnhaft als Bestandteil eines Kontinuums zu definieren.“

Kurz: Biografiearbeit ist die Reflexion der Vergangenheit zur Gestaltung der Zukunft. Es ist „strukturiertes, angeleitetes Erinnern“

Zurück zur Biografie meines Vaters. Mit seinen 89 Jahren(1927) hat er einen unglaublich scharfen Verstand, wobei die Alterssturheit für uns MitbewohnerInnen manchmal eine Herausforderung darstellt.

„Einmal Chef, immer Chef“ meinte eine Bekannte lapidar, während sie eine seiner Aktionen live miterlebte. Bei einem ihrer Besuche standen wir ins Gespräch versunken im Garten, als mein Vater hinzutrat und mich beauftragte auf der Stelle und sofort eine Leiter beim Kirschbaum aufzustellen. Besuch hin oder her, die Kirschen waren zu ernten und jede Minute, die dies hinauszögerte war seiner Meinung nach reine Verschwendung und hatte deshalb höchste Priorität. So schleppten wir, meine Bekannte und ich die Leiter herbei und lehnten sie an den Baum. Die Welt war gerettet und mein Vater stieg,trotz massiver Einwände seitens meiner Mutter und mir, hinauf. Der glückselige und zufriedene Gesichtsausdruck, beim Genuss der ersten Kirschen, löste meine Wut schlagartig in Luft auf. Ja, einmal Chef immer Chef.Durchsetzen konnte er sich, der alte Mann.

Doch um Chef zu werden musste mein Vater noch einen steinigen Weg beschreiten. Für jemanden, der nur die Volksschule besucht hatte, war dies mit harter Arbeit, lernen und großem Durchhaltevermögen verbunden. In der Winterschule am Ortweinplatz besuchte mein Vater den Vorbereitungskurs für die Zimmermeisterprüfung und legte 1958 erfolgreich die Meisterprüfung ab.

Doch die Hürden waren damit noch lange nicht überwunden.Der damalige Bürgermeister unternahm alles, damit mein Vater keinen Betriebsstandort in seiner Heimatgemeinde bekam. Die Intrigen gegen den „Häuslerbuam“, dem „Habenichts“ trieben arge Blüten. Trotz der vielen Knüppel, die meinem Vater zwischen die Beine geworfen wurden, gewann er durch seine gesellige und weltoffene Art, seinem großem Handwerkstalent und nicht zuletzt durch sein Spiel auf der Steirischen Ziehharmonika viele Gönner, Förderer und Kunden.Sein Onkel schenkte meinem Vater Grund und Boden für die Gründung seines Betriebes mit den eingangs zitierten Worten.

„Man muss Respekt und Wertschätzung gegenüber jenen Menschen haben, die für einen arbeiten“. Diese Botschaft bekam ich von Kindesbeinen an mit. Nicht ein einziges Mal in all den Jahren musste in unserer Firma ein Arbeiter auf seinen Lohn warten. Auch hatte mein Vater einigen seiner Arbeiter mit einem zinsenlosen Kredit die Familien bzw. Existenzgründung ermöglicht.

Als ich viele Jahre später einen Lehrgang zur Zertifizierung als Nachhaltigkeitsmanagerin machte, musste ich immer wieder feststellen: “Wie bitte? Das was die hier als Social Entrepreneurship verkaufen, lebte mein Vater schon vor 40 Jahren und ist für mich eine Selbstverständlichkeit".

Mein Vater war innovativ und blickte über den Tellerrand hinaus. Von einer Exkursion mit der Wirtschaftskammer ins Ausland brachte er eine neue Geschäftsidee mit nach Hause, welche für sein kleines Zimmereiunternehmen den Durchbruch bedeutete. Sein Kleinunternehmen wuchs damit in den Siebzigerjahren zum mittelständischen Betrieb mit 35 Mitarbeitern heran.

Mut, Durchhaltevermögen, Zielorientierung, Durchsetzungskraft, Weltoffenheit, Neugier, Fleiß, unternehmerisches Geschick, eine Brise Schlauheit und Glück, verbunden mit sozialer Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern, machten meinen Vater weit über die Grenzen seiner Heimatgemeinde bekannt und man brachte ihm große Anerkennung entgegen. Bis heute.

Im Rahmen meiner Ausbildung durfte ich tief in meine eigenen Wurzeln eintauchen und konnte meinen Werdegang besser verstehen. Vor allem aber durfte ich feststellen, dass ich meine Fähigkeiten und meine Talente zum großen Teil meinem Vater zu verdanken habe, ebenso meine weltoffene Haltung vor allem gegenüber Fremden. Dies erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit.

Biografiearbeit ist keine Psychotherapie, sondern eine strukturierte Anleitung zur Erinnerung. Hauptsächlich wird Biografiearbeit bei alten Menschen und Menschen mit Behinderungen eingesetzt.

Biografiearbeit kann jedoch gerade in der heutigen rastlosen Zeit eine Möglichkeit des sich Besinnens bieten. Sie bietet die Chance Schätze in der eigenen Geschichte, aber auch in der Unternehmensgeschichte zu heben. Sie kann die Basis für tragfähige Entscheidungen sein.

Ich persönlich habe bei meiner eigenen Biografiearbeit und bei der Biografiearbeit mit meinem Vater ein starkes Selbstwertgefühl gewonnen und ein Bewusstsein von Kraft, welche man aus den eigenen Wurzeln ziehen kann.

Möglichkeit zur Arbeit an der eigenen Biografie von 8-12.August 2016 in Tirol Stift Fiecht

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