oder: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf
Vorab: Ich diskutiere nicht gern politisch.
Nicht, weil ich keine Meinung habe, sondern weil es nichts bringt.
Viel zu viel erinnert mich bei Gesprächen, die sich meist sehr ungewollt ergeben, an das was ich dunnemals in der DDR erlebte.
Da war auch klar, welche Meinung man zu haben hatte. Und jegliches Abweichen vom Pfad der Tugenhaftigkeit wurde auf die eine oder andere Weise abgestraft. Verbale Ächtung war noch das Wenigste, das einem passieren konnte.
Dennoch: Den Zusammenbruch der DDR konnte diese große Meinungskontrolle nicht verhindern. Da waren zu viele, die anders dachten als vorgeschrieben. Und als es dann so weit war, traten die mit den anderslautenden Meinungen zutage, gingen auf die Straße und schienen zu manchem bereit.
Welch Glück, dass es vorbei war, noch ehe unter diesen Möglichkeiten der Bereitschaft auch Gewalt war.
Dass ich dermaleinst mit ähnlicher Verdrossenheit oder mindestens Vorsicht an politische Diskussionen gehen würde, habe ich mir damals nicht träumen lassen.
Zu Anfang war ich ganz arglos. Schließlich hatte mich das Schwesterland mit der großen Meinungsfreiheit mit weit offenen Armen aufgenommen.
Ein mir harmlos scheinendes Gespräch über die damals wirklich saudummen Öffnungszeiten von Kindergärten führte zu einer Diskussion über Freiheit, die darin hätte gipfeln sollen, dass ich angesichts dieser tollen Errungenschaft doch bitteschön den Mund zu halten hätte.
Gleichwohl bringen mich große Worte in kleinen Zusammenhängen, Worte als Totmacher, erst richtig in Fahrt. Und wirklich waren diese blödsinnigen Kindergartenöffnungszeiten kein Zeichen von Freiheit, sondern machten, im Gegenteil, aus mir ein hechelndes Muttertier, dem es ganz gut in den Kram passte, dass der Gesprächspartner noch obendrauf setzte: "Den Wohlstand, den wir heute haben, haben wir uns hart erarbeitet." Na, prima, das wollte ich doch auch, mir Wohlstand erarbeiten, während mein Kind gut untergebracht ist.
Als ich mein Visavis fragte, wie seine Freiheit sich denn ausdrückte, erklärte er was von Reisen-können, nach Amerika zum Beispiel. Musste aber auf meine Anfrage zu seinem Urlaubsziel dieses Jahr bekennen, dass er nicht verreise. Und warum? Weil er es sich nicht leisten könne.
Den Rest spare ich mir. Dass Freiheit in der Mehrzahl der Fälle ein eher theoretisches Konstrukt und häufig sehr von der Fülle der eigenen Geldbörse abhängig ist, wissen die meisten selbst. Nicht darum soll es gehen. Sondern um die Art, Gespräche zu führen.

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Offenbar ist es kein DDR-Problem gewesen, dass die Richtigkeit des eigenen Standpunktes um jeden Preis verteidigt werden muss. Es scheint, als bräche die Welt zusammen, würde der Andere Recht bekommen. Und obwohl wir alle auf die eine oder andere Weise irgendwann erklärt bekommen haben, dass eine faire Gesprächsführung das "A" und "O" jeder Diskussion ist, neigen wir doch allzu schnell dazu, sich jede bietende Gelegenheit zur persönlichen Schmähung zu nutzen. Dann, und zwar meist sehr schnell, geht es gar nicht darum, "eine Sache zu diskutieren = untersuchen, erörtern, besprechend erwägen" (Wiki), sondern ums sture Rechthaben.
Wenn aber Schmach das Mittel der Wahl ist, anderen Standpunkten zu begegnen, bedarf es keiner Nachfrage, wie so eine Diskussion endet. Vielleicht halte ich deswegen nicht viel von Schmähgedichten. (Nicht dass ich erwarten würde, Herr E. wäre mit vernünftigen Argumenten zu begegnen.) Egal ob Gedichte, Karrikaturen, oder einfach nur Verbal-Schubladen, in die ich jemanden schiebe ... all das sind Zeichen dafür, dass ich nicht bereit bin, mich auf etwas einzulassen, das sich vernünftig nennen darf.
Klar habe ich dann meine Meinung gesagt, aber sie bewirkt so viel, als hätte ich nichts gesagt oder mit meinem Spiegel gesprochen. Jemand, den ich von vornherein als was-auch-immer (z.B. neo-völkisch) beschimpfe, wird mir doch nicht zuhören, sich schon gleich gar nicht weiter mit meinen Argumenten befassen, weil er weiß, dass ich es ja auch nicht tue: mich mit seinen Argumenten befassen.
So, scheint es, hat die große Freiheit der Meinung zu nichts anderem geführt als zu der altbekannten Botschaft "Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich" (Matth.12,30) die nicht zufällig auch in den auf zwölf zusammen geschrumpften tausend Jahren gebraucht wurde. Das schließt jegliche Gesprächsbereitschaft aus. Scheint zu unterstellen, dass alles bereits gesagt ist.
Und das ist es dann wohl auch.
Jedoch ... wenn Meinung weiterhin frei sein soll, muss man sich auf die Argumente des anderen einlassen, ihnen folgen oder sachliche(!) Gegenargumente bieten. Sonst führt das, was wir einst als Demokratie so priesen, zu nichts anderem als einem Diktat der Meinungen.
Und so sind doch schließlich Diktaturen.
Wollt ihr die totale Sprachlosigkeit???

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