In einem anderen Blog hier geht es um Recht, seine Anwendung und Durchsetzung und welche Rolle Richter dabei spielen. Sie sollen, darin herrscht Einigkeit, Gesetze anwenden und durchsetzen, nicht jedoch einer politischen Agenda zur Durchsetzung folgen.

Bei nachhaltigen Rechtsstreitigkeiten gibt es in allen Ländern oberste Gerichte, die auf die eine oder andere und meist ähnliche Weise die Rechtsanwendung vor dem Hintergrund der jeweils geltenden Verfassung prüfen.

Wenn lange geltendes Recht durch ebendiese Gerichte in Frage gestellt und gekippt wird, darf man sich fragen, ob und wie sehr diese obersten Richter ihren eigenen politischen Überzeugungen, der ihrer Ernenner bzw. der gerade tätigen Regierung oder aber schlicht dem Wandel der Gesellschaft folgen. Können Gerichte (mit übrigens vergleichbarer politischer Zusammensetzung) zu so grundlegend unterschiedlichen Auffassungen kommen wie es z.B. bei den Abtreibungsregeln geschah?

Es ist richtig, dass in der amerikanischen Verfassung nichts über Abtreibungen steht. Es ist auch nicht die Aufgabe einer Verfassung, konkrete Lebensereignisse zu formulieren. Sehr wohl beinhalten Verfassungen überall auf dieser Welt die Rechte der Bevölkerung des jeweiligen Landes. Es ist Aufgabe der obersten Gerichte, diese so auszudeuten, dass die konkreten Ereignisse die allgemeinen Regeln der Verfassung einhalten.

1973 stellte das Oberste Gericht der USA fest, dass das bis dahin geltende Abtreibungsverbot gegen den 14.Zusatzartikel (Recht auf Selbstbestimmung) verstieß und kippte es. Damit erhielten Frauen die, wenn auch zeitlich beschränkte (24.Schwangerschaftswoche), Möglichkeit, unerwünschte Schwangerschaften abzubrechen.

Allerdings war dieses Recht nie unangefochten. Klagen in den Bundesstaaten, Bombenanschläge auf Abtreibungskliniken, Morde von deren Mitarbeitern zeigten, dass und in welchem Umfang die Regelung

von aktiven Teilen der konservativen Bevölkerung ungewollt war.

War sie deshalb verfassungswidrig und die Entscheidung des Obersten Gerichtes aus 1973 falsch?

Die Richter damals (7 R/2 D)hatten sich die Entscheidung nicht einfach gemacht. Sie wichteten, wer (und darum geht es ja in der Verfassung) welche Rechte hat. Kann ein Zellhaufen die gleichen Rechte haben wie die Person, die dessen Existenz erst möglich macht, und ohne die dieser Zellhaufen nicht überleben kann? Sprich: Ist ein Fötus, der aus sich selbst heraus nicht lebensfähig ist, eine Person, der verfassungsgemäße Rechte zustehen?

Das Oberste Gericht entschied sich dagegen und erlaubte Schwangerschaftsabbrüche bis zu dem Zeitpunkt, an dem - auch wissenschaftlich - angenommen werden kann, dass ein Überleben außerhalb des Mutterleibes möglich ist. Diese Entscheidung wurde 1992 bestätigt.

2022 nahm das Oberste Gericht eine weitere Klage zum Thema an und gab den Klägern Recht mit der lapidaren Begründung, dass die Verfassung der USA keine Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch enthalte. Abgesehen davon, dass das nicht Aufgabe einer Verfassung ist, wussten wir das schon.

Allerdings eröffnete diese mehr als vage Nicht-Entscheidung den bundesstaatlichen Gerichten den Weg für eigene Entscheidungen, die vom Totalverbot (auch bei Vergewaltigung, voraussehbarer Schwerstbehinderung des Kindes, Gefahr für die mütterliche Gesundheit) bis hin zu verschiedenen Fristenlösungen ermöglichte.

Gerne genommen wird in mehreren Bundesstaaten das Herzschlag-Gesetz. Dieses geht davon aus, dass eine Abtreibung möglich sein soll bis der erste Herzschlag des Kindes hörbar ist. Aber ... dieser Zeitpunkt wird auf die 6. Schwangerschaftswoche festgelegt. Auf einen Zeitpunkt also, zu dem viele Frauen (zwei Wochen nach der ausgebliebenen Regel) noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind.

Mediziner bestreiten z.T. heftigst, dass der "Herzschlag" ein wirklicher Indikator sein kann, weil sich in der 6. Schwangerschaftswoche ALLE Organe, einschließlich des Herzens, erst noch herausbilden. Es sind vielleicht erste Herzzellen angelegt, die vielleicht auch elektrisch hörbar zu machende Signale aussenden. Aber ein Herz ist es (noch) nicht.

Diese höchst willkürliche Festlegung macht durch den lediglich zweiwöchigen Aktionszeitraum (und wenige Kliniken, zu beschaffende Geldmittel für den Eingriff und evtl.Reisekosten) den Abbruch quasi unmöglich.

Andere Staaten haben sich darauf verlegt, den Schwangeren zwangsweise die "Herztöne" und ein Ultraschallbild des Fötus als Voraussetzung zur Abtreibung aufzuzwingen, um einen Gesinnungswandel herbeizuführen.

Jedoch: Die Abtreibungsgegner, die sich bei Schwangeren so rührig vor den Kliniken postieren und denen alles Mögliche versprechen ... wie lange bleiben sie bei den Schwangeren? Ist es nicht das Höchste der Gefühle, wenn sie den überzeugten Schwangeren eine minimale Erstausstattung überreichen und dann verschwinden (bestenfalls eine Adoption empfehlen, die den durch den gehörten Herzschlag weich gewordenen Jungmüttern ja nun auch nicht weiter hilft)? Da ist Keiner, der den Müttern zu einem Einkommen verhilft, zu einer bezahlbaren Kinderunterbringung, da sie ja nun arbeiten müssen, zu einer Wohnung, die sie auch bezahlen können. Warum, fragt man sich, interessiert sich die - ach so! christliche - Welt für Kinder, an deren Wohlergehen sie letztlich nicht teilhaben wollen?

So oder so fragt man sich, warum ein Land (viel zu viele Länder auf dieser Welt) Kinder in dieses Leben zwingen wollen, deren Wohlergehen nicht gesichert ist. Ebenso wie man sich fragen darf, warum über 10 000 minderjährige Mütter in den USA lediglich weniger als 500 angeklagten Vergewaltigern gegenüber stehen, wo doch jeder Sex mit Minderjährigen juristisch als Vergewaltigung gilt.

Fragen über Fragen. Aber zuvorderst die, wie Oberste Richter so einen Schwachsinn von sich geben können wie die Aussage, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht in der Verfassung stehen. Das tun sie natürlich nicht. Und eben dafür war dieses Gericht da.

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u_jqskahw9 / pixabay https://pixabay.com/photos/maternity-pregnant-woman-pregnancy-4569911/

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